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Groteske Fehler und Zweikampfallergie: Der BVB bleibt ein ewiges Rätsel
Meinung
Borussia Dortmund, das ewige Rätsel: Nach der Nicht-Leistung beim 1:3 in Rom nehmen die Diskussionen um Team und Trainer sofort wieder Fahrt auf. Jürgen Koers kommentiert.
Borussia Dortmund begeht immer wieder alte Fehler, kassiert so regelmäßig neue Rückschläge. Die Muster wiederholen sich auch beim 1:3 in Rom, des Rätsels Lösung muss noch gefunden werden.
Stichwort Widerstand: Das altbekannte Muster, dass kampfkräftige Gegner die hohe individuelle Qualität im Kader der Borussia zur Randnotiz degradieren, wiederholt sich in fataler Frequenz. Dem BVB gelingt es einfach nicht, diesen Kardinalfehler abzustellen. Großer Aufwand und Leidenschaft reichen, um diese Mannschaft zu knacken. Da stehen Spieler mit einer Körpersprache auf dem Platz, als ginge es um das Absitzen einer 90-minütigen Zeitstrafe. Einzig Erling Haaland vermittelte in Rom einen wehrhaften Eindruck.
Eine ganze Reihe von Topspielern, angefangen bei Kapitän Marco Reus bis zum 120-Millionen-Mann Jadon Sancho, tat das nicht. Wenn Hacke und Spitze nicht zum Ziel führen, ist der BVB mit seiner latenten Zweikampfallergie erschreckend schnell mittellos. Vollmundigen Ankündigungen folgen keine Taten. „Wir müssen uns besser konzentrieren, wir müssen kämpfen und wir müssen präsent sein“, forderte Lucien Favre. Das gelang wieder einmal nicht. Lazio machte viel richtig, seine Mannschaft fast gar nichts. Im Gegenteil.
Stichwort Aussetzer: Der haarsträubende individuelle Fehler von Thomas Meunier vor dem 1:0 der Römer reiht sich ein in eine saisonübergreifend lange Liste von Blackouts, die einer Spitzenmannschaft auf diesem Niveau einfach nicht passieren dürfen. Nicht in der Bundesliga, nicht in der Champions League. Lazio setzte seine begrenzten Mittel sinnvoll ein, den Rest erledigte der BVB mit freundlichen Einladungen zum Toreschießen. Nominell unterlegene Gegner werden so stark gemacht, und wenn das Selbstvertrauen erstmal schwindet, fehlen die Impulse für eine Kehrtwende.
Gestandene Nationalspieler bekommen Zitterfüße, manchmal ist die Angst vor weiteren Aussetzern fast greifbar. Offensichtlich werden die Spieler intern nicht gestärkt, nicht mit Zutrauen vollgepumpt, um ihre Leistung auch abrufen zu können, sondern viel zu sehr auf mögliche Defizite und Gefahren hingewiesen. Während schwäche Gegner starkgeredet werden. Das ist der falsche Fokus. Im Ergebnis tritt die Mannschaft - besonders in den Topspielen - kolossal schlechter auf als die Summe ihrer Einzelteile es eigentlich zulässt.
Stichwort Defensivverhalten: Die Stichprobe der ersten Saisonspiele mit kollektiv ordentlichem Spiel gegen den Ball entpuppte sich in Rom als Trugschluss. „Vorne, in der Mitte und hinten“ habe seine Mannschaft schlecht verteidigt, stöhnte Favre. Keine Balleroberungen, zu wenig Laufbereitschaft, löchrig wie ein altes Tornetz. Und selbst wenn es nicht gelingt, dem Gegner den Ball frühzeitig wieder abzujagen - wie auch ohne funktionierendes Gegenpressing oder Forechecking im Mittelfeld? - muss doch zumindest die Restverteidigung kompakt stehen.
Für Lazio war es ein Leichtes, Angriffe abzufangen und dann ohne Gegnerdruck Pässe in die empfindlichen Zonen der Dortmunder Abwehr zu spielen. Chancen ergaben sich phasenweise im Minutentakt, ein ums andere Mal kollabierte der schwarzgelbe Verbund. Diese verheerende Anfälligkeit abzustellen galt als ein zentrales Ziel für diese Saison. Die angedeutete Tendenz zur Besserung hat die Mannschaft in Rom ad absurdum geführt.
Stichwort Schwankungen: Es ist schon grotesk, wie der BVB unter Lucien Favre mit unschöner Regelmäßigkeit mit dem Hintern einreißt, was man mit den Händen aufgebaut hat. Konstanz ist für diese Borussia eher eine Stadt am Bodensee als eine Grundbedingung für sportlichen Erfolg. Vor allem auswärts, vor allem in den großen Duellen, bleibt diese Mannschaft ihren Anhängern zu viel schuldig. Ob München oder Paris, Madrid, Tottenham, Bremen oder jetzt Rom: Spitzenmannschaften setzen sich durch, wenn es darauf ankommt, aber Borussia Dortmund steht dann serienweise leistungsmäßig neben den Schuhen. Das Vertrauen, dass sich dies mit der aktuellen Belegschaft ändert, schwindet bei den Verantwortlichen wie bei den Fans.
Die Probleme sind vielschichtig und tiefliegend. Diese Borussia bleibt auch sich selbst ein Rätsel, dessen Lösungen nicht nur bei einzelnen Personen zu suchen sind.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
