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Schüsse und Explosionen vor dem Haus: Julia Rudde fürchtet um Familie
Ukraine-Krieg
Seit dem Wochenende toben schwere Kämpfe um die ostukrainische Stadt Charkiw. Die Hebamme Julia Rudde aus Ahaus fürchtet um ihre Angehörigen in der Stadt.
Beschuss, direkt in der Nachbarschaft. Die Videos, die Julia Rudde aus Charkiw im Nordosten der Ukraine an unsere Redaktion weiterleitet, sollen den Krieg in der zweitgrößten Stadt der Ukraine zeigen. In ihrer Heimatstadt toben seit Samstag heftige Kämpfe.
Die wackeligen Handyvideos zeigen Raketen oder Granaten, die mitten zwischen Wohnblocks explodieren. Die Wohnblocks verschwinden regelrecht in Detonationen und Rauch.
Menschen hinter der Kamera brechen in Tränen aus. Auch verletzte und getötete Zivilisten sind zu sehen. Julia Rudde macht deutlich, dass es sich tatsächlich um tagesaktuelle Aufnahmen aus Charkiw handelt.
Unabhängige Meldungen aus dem Kriegsgebiet oder der umkämpften Stadt gibt es indes kaum. Während die russische Regierung seit dem Wochenende berichtet, die russische Armee sei in die Stadt eingedrungen, spricht die ukrainische Regierung davon, dass man die Russen wieder aus der Stadt herausgedrängt hat.
Bestätigt ist allerdings ein Beschuss der örtlichen Klinik für Blutspenden. Davon hatte Julia Rudde am Samstag gegenüber unserer Redaktion berichtet. Bei dem Angriff war ein Blutspender getötet worden. Drei weitere wurden verletzt.
Die Klinik, die aus dem Großraum Charkiw pro Tag etwa 350 Blutspender betreut, hat ihre Arbeit inzwischen in die Keller verlegt. Am Wochenende soll eine große Gasleitung beschossen worden und explodiert sein. Davon spricht Julia Rudde nicht.
Bombardierung macht 42-Jährige sprachlos
Die 42-Jährige, die seit fünf Jahren in Ahaus lebt und im Krankenhaus Bocholt als Hebamme arbeitet, bekommt die Nachrichten aus erster Hand: Ihre Eltern, ihre Großmutter sowie ihre Schwester mit ihrer Nichte leben noch in der Stadt. Ihnen gehe es aber gut. „Genau vor meinem Haus fallen Bomben und Granaten“, erklärt sie unserer Redaktion. Sie sei einfach nur sprachlos.
Ihre Schwägerin war am Samstagmorgen aus der Stadt geflohen und hatte sich auf den Weg zu ihr nach Ahaus gemacht. „Sie ist noch unterwegs, aber inzwischen sicher in Polen angekommen“, erklärt Julia Rudde. Wie es für sie allerdings von dort weitergehe und wie lange das dauere, könne sie nicht sagen. Die Schwägerin von Julia Rudde ist eine von momentan ungezählten Flüchtlingen aus der Ukraine.
Städte und Gemeinden im Kreis Borken stellen sich auf Flüchtlinge ein
Die EU erwartet Millionen von Flüchtlingen, eine Flüchtlingswelle historischen Ausmaßes. Schon am Samstag hatten sich die 17 Städte und Gemeinden im Kreis Borken per Videokonferenz über die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine abgestimmt. Auch am Montag haben sich die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister erneut abgestimmt. „Alle Kommunen arbeiten an dem Punkt zusammen“, sagt der städtische Beigeordnete Werner Leuker.
Er verfolgt die Entwicklungen natürlich aus der Perspektive der Verwaltung: Die UNHCR, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, schätze, dass bis zu fünf Millionen Menschen wegen der Angriffe aus der Ukraine flüchten könnten. „Wir haben das für unsere Stadt schon einmal heruntergerechnet“, sagt Werner Leuker. Je nachdem liegt die Erwartung zwischen hundert und mehreren hundert Flüchtlingen, die nach Ahaus und in die Ortsteile kämen. Das sei natürlich nur eine erste Schätzung.
Unterkünfte müssen noch organisiert werden
„Aus dem Stehgreif könnten wir 50 Personen unterbringen“, sagt er. Alles, was darüber hinaus gehe, müsse neu organisiert werden. „Je nachdem, wie schnell das gehen soll, kämen dann auch beispielsweise die Turnhallen in der Stadt ins Gespräch“, ergänzt er.
Klar sei aber auch noch etwas anderes: Komme es zu einer Flüchtlingswelle aus der Ukraine, sei das eine deutlich größere Aufgabe, als alles, was bisher dagewesen sei.
Julia Rudde bleibt bei ihrer Aussage von Samstag: „Nur das russische Volk kann Putin bremsen“, erklärt sie. Doch die Menschen seien noch blind und würden dem russischen Präsidenten glauben.
Ursprünglich Münsteraner aber seit 2014 Wahl-Ahauser und hier zuhause. Ist gerne auch mal ungewöhnlich unterwegs und liebt den Blick hinter Kulissen oder normalerweise verschlossene Türen. Scheut keinen Konflikt, lässt sich aber mit guten Argumenten auch von einer anderen Meinung überzeugen.
