Mit rund 100 Zuhörern war der Kolpingsaal beim Bürgergespräch rund um den Tierskandal fast ausgebucht. Die Emotionen kochten hoch und entluden sich unfreiwillig auf einen Veterinär, der mit auf dem Podium saß.

© Jörg Heckenkamp

Emotionen kochen hoch: „Ich habe Mecke-Fleisch gegessen und könnte immer noch kotzen“

rnBürgergespräch in Werne

Der Tierquälerei-Skandal in Werne sorgt für Diskussionsstoff, Wut, Entsetzen. Die angestauten Emotionen entluden sich nun beim Bürgergespräch der Soko Tierschutz. Kritik bekam vor allem ein Veterinär ab.

von Andrea Wellerdiek

Werne

, 19.08.2021, 14:16 Uhr / Lesedauer: 3 min

Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill. Das Video, das auf der Leinwand im Kolpingsaal zu sehen ist, ist erschütternd, eigentlich nicht auszuhalten. Für einige Zuschauer ist es so unerträglich, dass sie wegschauen. Andere können aufatmen, weil sie in hinteren Reihen nicht alles erkennen können. „Das müssen Sie jetzt aushalten“, sagt Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz.

Für diejenigen, die im Saal wegschauen, beschreibt er den Schrecken. Ein abgemagertes und geschwächtes Rind bricht zusammen, kollabiert, liegt im Stall zwischen anderen lebenden Leichen. „Es ist in dieser Stallung verendet“, sagt Mülln. Nachdem die anderen Tiere aus dem Stall geführt werden, vollendet ein Mitarbeiter in der Viehsammelstelle sein schreckliches Werk, nachdem er mit einer Forke über das Tier zieht, um sich zu vergewissern, dass es tot ist.

„Hat Herr Löhr diese Aufnahmen gesehen?“

Mit einem Bolzenschuss und einem Schnitt durch die Kehle lässt der Mann es so aussehen, als würde das Tier noch leben und es sich hier um eine Notschlachtung handelt. Das Rind ist längst elendig verreckt. „Das ist nicht auszuhalten. Hat Herr Löhr diese Aufnahmen gesehen?“, ruft eine Zuschauerin, die sich schon zuvor kaum beruhigen kann, durch den Saal.

Ja, der Landrat des Kreises Unna habe dieses Videomaterial erhalten, antwortet Friedrich Mülln. „Es ist ein Glücksfall, dass man so etwas beweisen kann“, fügt er hinzu. Das Video zeigt aufgrund einiger Anhaltspunkte auch, dass die Tiere mutmaßlich in die Schlachterei an der Lippestraße gebracht worden sind. „Ein ehemaliger Mitarbeiter hat sofort erkannt, dass es sich um die Lippestraße handeln muss, als er die Bilder gesehen hat“, erzählt Mülln.

Fleisch kranker Tiere landete wahrscheinlich in Mecke-Wurst

Damit deutet vieles daraufhin, dass die Mitarbeiter der Firma Mecke kranke und geschwächte Tiere, die nicht einmal mehr transportierfähig, geschweige denn für die Weiterverarbeitung zulässig waren, nicht in die zweite Schlachterei im Froningholz gebracht haben. Hier soll die Schlachtung der Tiere zum Tierfutter für Zoos und Zirkusse stattfinden.

Stattdessen sind Tiere aus der Viehsammelstelle in die für den menschlichen Verzehr vorgesehene Schlachterei in der Lippestraße gekommen. Dafür gibt es mindestens zwei Beweise, wie aus den Videos der Soko Tierschutz hervorgeht. Neben dem Rind gilt das auch für ein totes Kalb. Dieses wird an beiden Ohren zur weiteren Verarbeitung in die Schlachterei gezogen - mutmaßlich von dem Mitarbeiter, der als Tierschutzbeauftragter der Firma Mecke gearbeitet hat.

Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz stellte sich den vielen Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Während es für seine Arbeit Applaus gab, bündelte sich die Kritik der Zuschauer plötzlich auf den Veterinär Dr. Jochen Weins.

Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz stellte sich den vielen Fragen der Bürgerinnen und Bürger. Während es für seine Arbeit Applaus gab, bündelte sich die Kritik der Zuschauer plötzlich auf den Veterinär Dr. Jochen Weins. © Jörg Heckenkamp

Dank GPS-Tracker an dem Transporter konnte die Soko Tierschutz bei ihren verdeckten Ermittlungen erkennen, dass das tote Tier zur Schlachterei in die Lippestraße gebracht wurde. Eben in jene Verarbeitungseinheit, aus der insbesondere Produkte für den menschlichen Verzehr hergestellt wurden. Dass Wurst von dem toten Kalb in der Fleischtheke der anliegenden Metzgerei gelandet ist, ist nach heutigen Erkenntnissen wahrscheinlich.

Befürchtung wird Realität

Das, was viele in Werne seit der Aufdeckung des Skandals befürchtet hatten, wird an diesem Abend für viele Realität. „Ich habe auch Mecke-Fleisch gegessen bei einem unserer Grill-Abende. Ich könnte heute noch kotzen“, ruft eine Bürgerin dazwischen. Nach dem Entsetzen über die gezeigten Bilder entlädt sich bei diesem Bürgergespräch mehr und mehr die Wut der Teilnehmer. Einige lassen ihren Emotionen freien Lauf.

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Die Kritik bündelt sich unfreiwillig auf Dr. Jochen Weins, der nichts mit dem Mecke-Skandal zu tun hat, aber als Experte auf dem Podium des Bürgergesprächs sitzt. Der Veterinär vertritt an diesem Abend den Verein Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft. Als er erklärt, wie die Kontrollen von Viehsammelstellen wie die von Marko Mecke ablaufen, reagieren einige Zuschauer ungehalten.

„Was erwarten Sie von einem Veterinäramt?“, fragt Weins daraufhin. Man sei für grenzüberschreitende Kontrollen bei Transportern von Pferden zuständig. Innerhalb Deutschlands aber gibt es dafür keine Rechtsgrundlage. „Wenn ein Transport sogar innerhalb einer Stadt erfolgt, dann kann nicht immer das Veterinäramt dabei sein“, erklärt Weins.

Er verdeutlicht zudem, wie schwer es ist zu kontrollieren, ob ein Tierhalteverbot, wie es nun gegen Marko Mecke und zwei seiner Mitarbeiter verhängt wurde, eingehalten wird. Nicht selten käme es in diesen Fällen vor, dass die Tiere dann auf ein anderes Familienmitglied überschrieben werden. So könne auch derjenige, dem ein Umgangsverbot ausgesprochen wurde, dennoch weiter Tiere halten. „Da befinden wir uns auf dem schönen Feld der deutschen Justiz“, sagt Weins dazu.

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Die milden Strafen, die Mecke und seinen wegen Tierquälerei angeklagten Mitarbeitern drohen, sorgten ebenso für Empörung. „Steuerhinterziehung wird in Deutschland härter bestraft als Tierquälerei“, ist eine Zuschauerin empört.

„Leider gibt es nur lächerliche Urteile. Wir können nicht auf Politik, Justiz oder Veterinäre hoffen. Wir müssen selbst Druck aus dem System nehmen. Sonst haben die, die den Willen haben, im System etwas verändern zu wollen, keine Chance“, appelliert Friedrich Mülln eindringlich. Auf die Frage zu der Motivation seiner Arbeit: „Wir sind Teil der Lösung, nicht des Problems. Helfen Sie mit, Teil der Lösung zu sein.“

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