
© Felix Püschner
Gutachten: 92 Prozent der Autos würden ein Kind in dieser Spielstraße überfahren
Geschwindigkeitsmessung
Dieses Gutachten hat es in sich: Vier Tage lang hat die Stadt in einem verkehrsberuhigten Bereich die Geschwindigkeit gemessen. Ergebnis: 9 von 10 Fahrzeugen hätten Kinder im Ernstfall überfahren.
Marlene (6) und ihr Bruder Anton (3) sitzen in einem kleinen Garten hinter dem Haus von Familie Swat und spielen mit einem Polizeiauto. Eigentlich würden die beiden auch gerne mal vor dem Haus spielen – sollte in einem verkehrsberuhigten Bereich schließlich möglich sein.
„Aber das dürfen wir nicht, weil die Autos da immer viel zu schnell sind“, sagt Marlene. Papa Torsten nickt. In dem Wohngebiet Am Alten Kurbad ist Schrittgeschwindigkeit angesagt. Zumindest offiziell. Wirklich zu Herzen nimmt sich das hier allerdings kaum jemand.
Messung an vier Tagen
Torsten Swat zückt einen Zettel: „Hier, schauen Sie mal.“ Auf dem Zettel sind die Ergebnisse einer Geschwindigkeitsmessung zu sehen, die die Stadt – auch auf Drängen der Initiative „Lebendige Spielstraße“ – im April hat durchführen lassen. Das Gutachten besagt, dass 95 Prozent der 323 gemessenen Fahrzeuge hier zu schnell unterwegs waren.
Konkret wurde im Kurvenbereich an der Dr.-Hövener-Straße gemessen. Ein am Laternenpfahl angebrachtes Gerät zeichnete an vier Tagen auf, welche Fahrzeuge den Bereich passieren und wie schnell sie unterwegs sind. Das Ergebnis bestätige nun den subjektiven Eindruck, den Swat und seine Mitstreiter zuvor hatten.
Satte 95 Prozent der gemessenen Fahrzeuge waren demnach zu schnell unterwegs, fuhren also schneller als 10 km/h. Besonders auffällig: Kein Transporter und kein Lkw (eine von vier Fahrzeugkategorien), halten sich an die vorgegebene Geschwindigkeit. 51 Prozent fuhren zwischen 15 und 20 km/h. 21 Prozent wurden mit 20 bis 25 km/h gemessen. 10 bis 15 km/h – und damit immer noch zu schnell – fuhren 18 Prozent.
Auch Auto- und Radfahrer bekleckern sich nicht mit Ruhm. So fuhren 43 Prozent der Pkw 10 bis 15 km/h (Radfahrer 35 Prozent) und 38 Prozent 15 bis 20 km/h (Radfahrer 44 Prozent).
Lebensgefährliche Situationen
In dem Gutachten ist auf einem Schaubild zudem skizziert, zu welchen lebensgefährlichen Situationen das führen kann. Zusammengefasst: Alles über Schrittgeschwindigkeit hinaus kann böse enden, sofern plötzlich ein Kind auf die Straße läuft. Erst recht, wenn der Abstand lediglich eine Fahrzeuglänge beträgt. Und solche Situationen sind nicht unrealistisch.
Der Kommentar des Gutachters: „100 Prozent der Transporter und 92 Prozent der Pkw würden laut Verkehrsmessungen das Kind in der Doktor-Hövener-Straße überfahren.“
Initiative kämpft seit Monaten
„Ich glaube, dass viele gar nicht wissen, dass das hier ein verkehrsberuhigter Bereich ist“, sagt Swat und spielt damit auf das Verkehrszeichen an, das inzwischen nicht nur verdreckt ist, sondern auch langsam aber sicher von den Blättern eines Baumes verdeckt wird.
Für Torsten Swat, der wie die 50 weiteren Mitglieder der Initiative, schon seit Monaten darum kämpft, dass sich an der Situation in der Spielstraßen etwas ändert, ist das Gutachten die Bestätigung. Nun hat man es schwarz auf weiß.
Ergebnisse waren „keine Überraschung“
Wirklich überrascht hätten ihn die Ergebnisse nicht, sagt Swat, der nun auch auf die Politik hofft. Die Stadt hatte die Vorschläge der Initiative in den vergangenen Monaten verworfen. Unter anderem die gewünschte „Legostein-Lösung“, bei der Elemente wie Baumscheiben oder Betonklötze als eine Art Stopper fungieren sollen, um die Geschwindigkeit der Fahrzeuge zu drosseln.
In der Juni-Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung, Planung, Umwelt und Verkehr hatte etwa Tiefbauamtsleiter Adrian Kersting signalisiert, dass solche Hindernisse nicht zum Einsatz kommen könnten. Baulich sei in den Spielstraßen nämlich schon „alles ausgelotet“ worden. Kein Platz für Klötze also.
Als einzig mögliche Maßnahme standen zuletzt auf den Boden gemalte Piktogramme im Raum. Die wird es laut Swat aller Voraussicht nach auch geben. Ob das angesichts der Messergebnisse genügt, sei fraglich.
Geboren 1984 in Dortmund, studierte Soziologie und Germanistik in Bochum und ist seit 2018 Redakteur bei Lensing Media.
