Minna (8) hat Down-Syndrom Mutter Nicole Bernhardt (42): „Man muss selber ein bisschen Kind sein“

Leben mit Down-Syndrom: „Man muss selber ein bisschen Kind sein“
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Fröhlich wuselt Minna durch das Haus. Die 8-Jährige ist gerade aus der Schule wieder nach Hause gekommen. Von Müdigkeit ist aber keine Spur zu sehen. Vom Bobbycar geht es wieder in die Küche, um noch ein paar Erdbeeren zu stibitzen.

Heute läuft Minna fröhlich durch die Gegend, dabei war ihr Start ins Leben gar nicht so leicht. Für Mutter Nicole Bernhardt stand früh fest: Einen Test auf etwaige Behinderungen des ungeborenen Kindes wollte sie nicht machen lassen. „Uns ist es egal gewesen. Wir sind beide sehr offen, was Behinderungen jeglicher Art angeht“, erklärt die 42-jährige Vredenerin.

Doch dann stand plötzlich nicht nur der Verdacht auf Trisomie 21 – also das Down-Syndrom – im Raum, sondern Trisomie 18. Damit wäre Minna nicht lebensfähig gewesen. Hinzu kam ein Problem mit dem Herzen. Also musste der Test letztendlich doch gemacht werden.

Ein paar Termine mehr

Es war Trisomie 21, das Kind war lebensfähig. Wegen der Herzprobleme musste Minna trotzdem früher geholt werden. Doch die kleine Kämpferin hielt durch und ist heute ein fröhliches Mädchen. Das Down-Syndrom – für die Familie kein großes Problem. „Es ist ein Mehraufwand, ja. Aber als Baby fällt es nicht so sehr auf. Das Einzige ist, dass man vielleicht ein paar Termine mehr hat.“

Mit einem Jahr ging es in die Frühförderung. „Ob man jetzt zum Babyschwimmen oder zur Frühförderung geht, das macht für mich keinen Unterschied.“ Mit etwas über zwei Jahren fing Minna an zu laufen.

Minna ist ein fröhliches Kind. Weiß man es nicht, merkt man ihr das Down-Syndrom auf den ersten Blick kaum an.
Minna ist ein fröhliches Kind. Weiß man es nicht, merkt man ihr das Down-Syndrom auf den ersten Blick kaum an. © Carina Strauss

Für Kinder mit Down-Syndrom gibt es viele Therapien. Doch Nicole Bernhardt betont: „Es gibt verschiedenste Therapien: Physiotherapie, Logopädie, später Ergotherapie. Wichtig für mich ist, wenn man so ein Kind hat: Man darf es nicht übertreiben.“

Von Anfang an habe Minna nicht mehr als eine Therapie in der Woche besucht. „Sie muss das ja auch verarbeiten. Diese Kinder brauchen für alles länger als normal entwickelte Kinder.“ Ganz nach dem Motto: „Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.“

Im eigenen Tempo

Minna darf sich in ihrer Familie in ihrem eigenen Tempo entwickeln. „Wir sind da entspannt. Sie entwickelt sich so weit, wie sie sich entwickeln kann.“ Und was sie nicht erlerne, das lerne sie eben nicht. „Wir müssen uns da keinen Stress machen. Sie wird ihr Leben lang ihren Weg gehen und auch versorgt sein.“

Gedanken, wie sie sich Eltern von normal entwickelten Kindern machen, wo das Kind später studiert, was es können soll oder muss – diese Gedanken machen sich Minnas Eltern nicht. „Minna soll sich einfach entwickeln.“

Nicole Bernhardt wirkt sehr abgeklärt, sie weiß, was ihr wichtig ist. Hat sie sich entsprechende Methoden angeeignet? „Nein, das kommt alles aus dem Bauch raus. Bloß keine Sachen durchlesen und sich verrückt machen lassen.“ Zwar bekomme man immer wieder Tipps und Hilfen, doch jeder müsse für sich schauen, was für die Familie und das Kind richtig ist.

Liebe und Wut

Darauf angesprochen, dass man dafür doch auch ganz viel Liebe von seinem Kind zurückbekomme, muss Nicole Bernhardt schmunzeln. Liebe ja, aber auch Wut. „Die können auch anders. Die meisten sehen nur die lieben Kinder, die alle herzlich begrüßen. Aber sie können auch eine ganz andere Seite zeigen.“

Zwischendurch nimmt sich die Mutter aber auch Zeit für sich. Möglich macht das die sogenannte Verhinderungspflege. Dann kümmert sich Nicole Bernhardt darum, dass ihre Tochter betreut wird. Das kann zu ganz einfachen Dingen wie einem Friseurtermin der Fall sein. „Oder wenn ich sage, ich brauche jetzt mal einen Nachmittag, um mich zum Beispiel mit jemandem zu treffen, ohne ständig mit einem Ohr und Auge bei Minna zu sein.“

Sie liebe ihre Tochter, das stehe außer Frage. „Aber es ist ein Mehraufwand. Ich bin immer mit meinem Kopf bei Minna und passe auf, dass nichts passiert.“

„Große Akzeptanz“

Mit komischen Blicken oder Abneigung gegenüber ihrer Tochter hat die 42-Jährige zum Glück nicht zu kämpfen. Im Gegenteil: „In Vreden herrscht eine große Akzeptanz.“ Im privaten Bereich sei sie überall willkommen. „Mir wird oft gesagt, dass Minna eine Bereicherung für die anderen Kinder ist.“ Und wichtig sei auch, sich nicht so viele Gedanken über das zu machen, was andere Leute vielleicht denken.

Doch gegenüber Behörden müssen sie sich immer wieder verstärkt einsetzen. Zum Beispiel bei Krankenkassen. „Ich beantrage nicht jeden Kleinkram, ich will nichts ausnutzen. Aber wenn ich dann mal etwas brauche, muss ich dafür kämpfen.“

Natürlich habe auch sie manchmal das Gefühl, dass einfach alles zu viel wird. Das kennen vermutlich alle Eltern: „Aber das ist nur eine Phase, das geht immer vorbei“, sagt die Mutter mit einem Schmunzeln.

Und man dürfe sich selbst nicht immer so ernst nehmen. „Man muss selbst auch noch ein bisschen Kind sein, dann kann man die Kinder gut mitziehen.“

Dieser Artikel erschien zuerst am 5. Mai 2023.

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