
Petra Bröscher, langjährige VHS-Fachbereichsleiterin, ist in den Ruhestand gegangen. Eine Zeit der Neuorientierung nennt sie es. © Bröscher
VHS-Fachbereichsleiterin Petra Bröscher im Ruhestand: „Konnte neue Wege gehen“
VHS-Fachbereichsleiterin
Petra Bröscher, Fachbereichsleiterin der Volkshochschule, hat Selm verlassen. Erwachsenenbildung und Gleichstellungsaufgaben - ihr Portfolio war breitgestreut. Und herausfordernd, wie sie sagt.
Petra Bröscher hat viele Jahre bei der Volkshochschule (VHS) Selm gearbeitet. Im Gespräch mit der Redaktion blickt sie auf diese Zeit zurück, richtet den Blick aber auch nach vorn.
Seit wann haben Sie in Selm gearbeitet und in welchen Bereichen?
Nach einem ausgesprochen umfangreichen Bewerbungsverfahren habe ich meine Arbeit als hauptamtlich pädagogische Mitarbeiterin bei der Volkshochschule Selm am 22.4.2009 angetreten. In der VHS-Welt ist diese Berufsbezeichnung gängig. Mir als VHS-Neuling erschloss sich dieser Begriff anfangs nicht so leicht. Den Begriff der Fachbereichsleitung fand ich griffiger. Tatsächlich war ich anfangs für die VHS-Fachbereiche „Politik und Gesellschaft“, „Kultur & Gestalten“ und „Studienfahrten und Exkursionen“ zuständig. Als übergeordnete Aufgabe wurde mir zudem die Koordinierung und Durchführung des Kulturhauptstadtjahres Ruhr 2010 übertragen.
Was waren wichtige Aspekte für Sie bei Ihrer Arbeit?
Da würde ich auf zwei arbeitsbestimmende Ebenen schauen. Einmal gibt es die Ebene der Grundlagen und des Rahmens der Volkshochschularbeit in Nordrhein-Westfalen, festgelegt im Weiterbildungsgesetz unseres Bundeslandes: Es gilt das Gebot der Neutralität, der Zugang aller Menschen zu den VHS-Angeboten, die Freiheit der Lehre, Demokratieförderung und die Entwicklung gesellschaftlicher und sozialer Prozesse, die sich im Kursangebot spiegeln sollen. So grob gesprochen die wesentlichen Aspekte, also die Pflöcke des Weiterbildungsgesetzes.
Diese allgemeinen ‚Pflöcke‘ sind auch die Basis meiner Arbeit, meiner Angebotsentwicklung zugrunde gelegt. Zwischen diesen Pflöcken, wenn ich einmal weiter in dieser bildhaften Sprache bleiben darf, gibt es viele Möglichkeiten der Gestaltung und Entwicklung, was auch ein Platz für das Ausprobieren von Ideen ist. Hier konnte ich auch neue Wege gehen, die nicht in der klassischen Kursstruktur verankert waren. Die Entwicklung von Projekten, die nicht nur ein Test dafür waren, dass die Menschen nicht politikmüde sind. Aber Mitbestimmungs-/Beteiligungsprojekte durchaus interessant für Bürgerinnen und Bürger sind und in das System Volkshochschule integrierbar sind.
Gemeinsam mit interessierten Menschen habe ich ausgesprochen basisdemokratisch zusammengearbeitet. Das waren gute Erfahrungen für uns alle, und ich würde heute sagen, dass auch ich mich in dieser Arbeit weiterentwickeln konnte. Aber das Wichtigste waren für mich die Begegnung und der Austausch mit den Selmerinnen und Selmern.

VHS-Fachbereichsleiterin Petra Bröscher hat 2017 eine Arbeitsausstellung ins Bürgerhaus geholt. © Arndt Brede (Archiv)
Erwachsenenbildung ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Wie hat sich Ihr Tätigkeitsbereich in all den Jahren verändert?
Nun hat sich die Gesellschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten in einer hohen Schnelligkeit verändert. Themen kommen schneller auf und werden auch wieder schneller durch neue Themen abgelöst. Das ist eine Auswirkung von gesellschaftlichen Veränderungen, Krisen, Kriegen. Eine gewisse Form der Internationalität hat Einzug gehalten, wie sie absolut nicht vorstellbar war.
Was heißt das für die unmittelbare Tätigkeit? Dort, wo in den vergangenen Jahren mit einer gewissen zeitlichen Ressource Kurse geplant werden konnten, ist jetzt sehr viel schnelleres Ad-hoc-Handeln vonnöten. Das erfordert einfach die Situation.
Gleichzeitig habe ich mich gerade durch die Zuwanderung, die für mich eine Form von Internationalität darstellt, gefragt, inwieweit unsere bisherigen Instrumente der Wissensvermittlung überhaupt noch ausreichen. Welche Methoden erreichen Menschen in der Vermittlung von z.B. IT-Wissen, wenn sie weder Deutsch sprechen noch jemals zuvor in ihrem Leben an einem Laptop oder einem PC gesessen haben.
Müssen wir uns mit Blick auf die Herkunftsländer nicht anders an bestimmte Themenfelder heran begeben? Ich denke hier an Diskussionen über den europäischen Blick auf die Länder der ehemals als Dritte-Welt-Länder bezeichneten Staaten, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre in der entwicklungspolitischen Arbeit geführt wurden. Es ist nicht so, dass ich dort nahtlos anknüpfen möchte. Auf keinen Fall. Aber es gibt inhaltliche Aspekte, die heute vielleicht in veränderter Form diskutiert werden sollten.
Also, mit Blick zurück auf meine Tätigkeiten, sehe ich die Erwachsenenbildung vor der großen Aufgabe stehen, einen Wandel zu initiieren, zu gestalten und zu begleiten, ohne dabei an Kontinuität zu verlieren. Denn die Volkshochschulen sind auch Garanten für Kontinuität, die sich u.a. aus dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, der politischen Unterstützung und dem Engagement von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammensetzt. Die Volkshochschule Selm steht, wie alle anderen Volkshochschulen im Land, vor großen Herausforderungen.
Das Gleichstellungsressort war ja auch Teil Ihrer Arbeit. Wie weit ist Selm, was die Gleichstellung von Frauen betrifft?
Die Arbeit als stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte war und ist mir sehr wichtig, und mit der Ernennung bin ich auch in 2019 ein stückweit zu meinen beruflichen Wurzeln zurückgekehrt. Die Frage, die sich immer gestellt hat - auch und gerade in Gesprächen mit den Kolleginnen im Kreis Unna -, ist, wie weit sind wir mit der Gleichstellung eigentlich gekommen?
Formal ist in den letzten Jahrzehnten sehr viel passiert. Gesetze, die Frauen stärken, sind verabschiedet und in Kraft getreten. Dennoch ist das Thema nicht überflüssig geworden, ist Gewalt gegen Frauen in der Familie auch in Selm ein häufiges Thema in Beratungssituationen. Alleinerziehende Frauen haben immer noch ein Problem mit Kinderbetreuung in Vereinbarkeit mit einer möglichen Berufstätigkeit. Und ich betone, die einzelne Frau hat das Problem! Weniger das soziale Umfeld.
Ich beschreibe es holzschnittartig. Selbstverständlich gibt es Angebote. Aber sie sind immer noch nicht ausreichend - bei allem, was sich entwickelt hat. Ich finde es gut, dass sich Frauen und manchmal auch Männer an unterschiedlichen Punkten in der Stadt den Fragen der Geschlechtergerechtigkeit widmen. Sei es ehrenamtlich, parteipolitisch oder auch in beruflicher Funktion. Das Thema wird meines Erachtens noch lange Bestand haben.
Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht eine Einrichtung wie der Fokus Selm mit all seinen Bereichen für eine Stadt wie Selm?
Bei meinem Dienstantritt bei der VHS in 2009 habe ich deren Zugehörigkeit zum städtischen Kultur- und Weiterbildungsbetrieb FoKuS als etwas Besonderes erlebt und würde diese Aussage bekräftigen wollen. FoKuS heißt ja nichts anderes als Fortbildung, Kultur und Sport. Aber dahinter steht ein breites und dichtes Bildungs-, Wissens- und Kulturangebot für Menschen unterschiedlichster Altersgruppen in Selm.
FoKuS bietet den Menschen in Selm die Chance auf soziale Teilhabe und (außerschulische) Bildung, und zwar längst nicht so dröge, wie sich mein Satz vielleicht gerade anhört. Ich halte FoKuS als Einrichtung für die Menschen in der Stadt für unverzichtbar und habe oft gedacht, dass seinerzeit wichtige und richtige politische Entscheidungen getroffen worden sind.
Wie gestaltet sich nun Ihr Ruhestand?
Ihre Frage nach der Gestaltung meines Ruhestands ist ungemein schwieriger zu beantworten als die zu meinem beruflichen Wirken und Denken. Die erste gravierende Veränderung hat Ende letzten Jahres bereits stattgefunden. Mein Mann und ich sind von Selm nach Ahaus gezogen, und ich werde mich jetzt hier neu orientieren. Das war in den vergangenen Monaten nicht wirklich möglich. Es fällt mir noch sehr schwer, nichts zu planen, aber mein Mann ist hier unermüdlich im Einsatz, mir die Freiheiten des Daseins nahe zu bringen.
Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was passiert. Manches werde ich wieder mit der Kamera einfangen. Jetzt ist die Zeit wieder da, um auf Fototour zu gehen. Die Nähe zu Holland finde ich wunderbar, sei es für Konzertbesuche, Einkäufe oder auch einfach nur zu einem Cafébesuch. Für die bessere Verständigung steht ein Niederländischkurs auf der Agenda. Aber nicht gleich morgen.