So fanden diese zwei Selmerinnen neue Jobs

Raus aus der Arbeitslosigkeit

Es ist ein Teufelskreis, in dem sich Silke Flüß und Stefanie Matyssek befanden. Die Jobangebote, die ihnen die Arbeitsagentur vorschlug, konnten sie nicht annehmen. Der Grund: Ein fehlender Führerschein. Den konnten die beiden Selmerinnen aber ohne Job nicht bezahlen. Das Multikulturelle Forum sprang ihnen zur Seite.

SELM

, 11.11.2016, 05:16 Uhr / Lesedauer: 3 min
Stefanie Matyssek (hinten l.) und Silke Flüß (hinten r.) haben nach langer Arbeitslosigkeit eine Jobperspektive. Dank der Zusammenarbeit des Jobcenters, des Multikulturellen Forums und der Reinigungsfirma Schlinke. Dafür haben (v.l.) Elke Nörenberg, Kenan Kücük, Bernd Wagener, Birgit Netzer, Michael Krause und Wolfgang Schlinke ein enges Netz geknüpft.

Stefanie Matyssek (hinten l.) und Silke Flüß (hinten r.) haben nach langer Arbeitslosigkeit eine Jobperspektive. Dank der Zusammenarbeit des Jobcenters, des Multikulturellen Forums und der Reinigungsfirma Schlinke. Dafür haben (v.l.) Elke Nörenberg, Kenan Kücük, Bernd Wagener, Birgit Netzer, Michael Krause und Wolfgang Schlinke ein enges Netz geknüpft.

Silke Flüß war 22 Jahre arbeitslos, Stefanie Matyssek elf Jahre. Langzeitarbeitslos nennen das die Statistiker. Was für die Betroffenen hinter diesem unpersönlichen Begriff steckt, ist Frust, mangelndes Selbstvertrauen, womöglich Resignation. So ging es auch den beiden Frauen. Das ist vorbei. Dank der Zusammenarbeit des Jobcenters Kreis Unna, des Multikulturellen Forums Lünen und der Frauen selbst. Die haben einen Job bei der Gebäudereinigungsfirma Schlinke gefunden.

Innerhalb von zwei Jahren hat sich damit das Leben von Silke Flüß und Stefanie Matyssek dramatisch zum Positiven verändert. Wegen des Projektes „AGH-plus – Arbeitsgelegenheiten an Einrichtungen in Lünen, Bergkamen und Kamen in Kombination mit Erwerb des Führerscheins Klasse B“. Die Frauen – beide ungelernt, beide ohne Führerschein – haben während des einjährigen Projekts gelernt, sich bei gemeinnütziger Arbeit in Schulen an den normalen Arbeitsalltag zu gewöhnen, pünktlich zu sein, soziale Kontakte zu knüpfen, Dinge zu Ende zu bringen. Und sie können durch den Führerschein in Berufsfelder kommen, die ihnen mangels Mobilitätsmöglichkeiten verwehrt wären.

Neue Perspektive durch Fahrstunden

Das sieht Heiligabend 2014 noch ganz anders aus: Silke Flüß und Stefanie Matyssek kennen sich noch nicht. Für beide ist es jeweils ein eher trauriges Fest: Keine Jobperspektive in Sicht. „Durch meine neue Fallmanagerin beim Jobcenter habe ich dann von dieser Maßnahme erfahren“, erzählt die 48-jährige Silke Flüß. „Es war eine Chance, die ich unbedingt ergreifen wollte.“ Denn genau wie bei Stefanie Matyssek (29) hatten bei Silke Flüß fehlende Ausbildung und fehlender Führerschein verhindert, beruflich Fuß zu fassen. Das Projekt sei zu dem Zeitpunkt – Ende 2014 – eine echte Perspektive für die Zukunft gewesen.

Einzelgespräche mit Anleitern beim Multikulturellen Forum folgten. Sie bekam den Zuschlag. Was dann passierte, klingt im Fall von Silke Flüß wie ein Märchen: „Ich habe als Projekthelferin in der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule angefangen, Ende März habe ich den Vertrag mit einer Fahrschule unterschrieben, in den Osterferien hatten wir die Theoriepflichtstunden.“

Hintergrund
- Das Projekt AGH-plus wird finanziert vom Jobcenter Kreis Unna.
- Träger der freiwilligen Maßnahme ist das Multikulturelle Forum.
- Die Teilnehmer werden zu gemeinnütziger, zusätzlicher Arbeit an Schulen als Projekthelfer, Fahrradwachen oder Busbegleiter eingesetzt.
- Mit 30 Wochenarbeitsstunden.
- Zudem machen sie den Führerschein B, verzichten dafür auf die Auszahlung ihrer Mehraufwandsentschädigung.
- Die wird zur Finanzierung des Führerscheinerwerbs angespart.
- Das Projekt AGH-plus gibt es seit August 2007.
- Seitdem wurden über 150 Führerscheine erworben.

Es folgte die theoretische Prüfung. Das Hindernis: „Ich hatte Prüfungsangst.“ Mit Hilfe der Anleiter des Multikulturellen Forums habe sie aber auch diese Prüfung gemeistert. Das war am 5. November. „Ich hatte schon nicht mehr dran geglaubt.“ Wie auch immer: Am 16. Dezember bestand Silke Flüß die praktische Fahrprüfung, am 22. Dezember war der letzte AGH-plus-Maßnahmentag „und am 23. Dezember habe ich bei der Firma Schlinke angefangen.“

Jobs bei einer Gebäudereinigungsfirma

Und so wurde Heiligabend 2015 ein Fest der Freude: Beide haben seit dem Tag einen festen Job, arbeiten zusammen bei der Gebäudereinigungsfirma Schlinke. Der Mann von Silke Flüß war schon Mitarbeiter der Firma Schlinke gewesen, hatte der Firma seine Frau empfohlen. Die wiederum legte der Firma nahe, auch Stefanie Matyssek einzustellen. Was auch klappte.

Vorbei war es mit allem Leid. Silke Flüß: „Ich hatte ja schon aufgegeben. Ich war Ende 40. Das war´s, habe ich gedacht.“ Ähnliche Emotionen auch bei Stefanie Matyssek: „Ich habe nach dem Hauptschulabschluss keine Ausbildung bekommen. Ich habe es immer wieder versucht, aber immer Absagen gekriegt.“ Sie habe Depressionen bekommen. „Ich habe mich nicht mehr getraut, rauszugehen.“ Stellenangebote vom Jobcenter? „Die Voraussetzungen waren immer Ausbildung oder Führerschein.“ Das sei schon sehr frustrierend gewesen.

"Man wird als asozial bezeichnet, weil man Geld vom Staat erhält."

Ein Teufelskreis: Man wolle sich was aufbauen, habe aber kein Geld, weil man keinen Job habe. „Man wird als asozial bezeichnet, weil man Geld vom Staat erhält. Man wird als faul betitelt.“ Sie habe dann beschlossen, es allen anderen zu zeigen, dass man es doch schafft.

Für Bernd Wagener, Anleiter beim Multikulturellen Forum, sind die beiden Selmerinnen Beispiele für einen Grundsatz: „Jeder Mensch hat Talente und Fähigkeiten.“ Dass dieses spezielle Projekt neben Schlüsselqualifikationen wie Pünktlichkeit auch die Chance gibt, den Führerschein zu erwerben und die Jobperspektive durch Mobilität zu erweitern, macht AGH-plus für Kenan Kücük, Geschäftsführer des Multikulturellen Forums, „einzigartig“.

Und wie wird Heiligabend 2016? Es wird für Silke Flüß und Stefanie Matyssek ein normales Fest. Endlich.