
Thorsten Redeker aus Lünen hat die beiden Jugendstilvillen in Cappenberg vor dem Abriss gerettet. Für die Villa Overbeck sucht er Kaufinteressenten - mit einer Auflage. © Sylvia vom Hofe
Retter der Cappenberger Villen sucht Ideen für sein „Hexenhaus“
Wohnen
Thorsten Redeker hat die beiden vom Abbruch bedrohten Cappenberger Jugendstilvillen gekauft. Für das sogenannte Hexenhaus sucht er einen neuen Eigentümer - und Antworten auf manches Rätsel.
Kurvenreich führt die Borker Straße nach Cappenberg. Sobald sich links der dunkle Wald lichtet, gibt er seit mehr als 100 Jahren den Blick frei auf zwei weiße, herrschaftliche Gebäude: vorne die Villa Schmieding, dahinter die Villa Overbeck - jeweils benannt nach ihren Erbauern, dem einstigen Dortmunder Oberbürgermeister und Mitbegründer der VEW, Karl Wilhelm Schmieding, und seinem Schwiegersohn Julius Overbeck, Spross der einst umsatzstärksten Brauerei Westfalens, der Dortmunder Löwenbrauerei. Der neue Eigentümer der beiden Jugendstilvillen an der Borker Straße benutzt zwei andere Namen: Waldschmiede und Hexenhaus.
Immer wieder haben Unternehmer ihr Herz verloren an diese prächtigen Häuser im Grünen. Zuletzt war es Torsten Redeker, der Chef von Elektro Laschinski-Redeker-Wiemann aus Lünen-Wethmar mit weiteren Standorten in Hattingen, Dortmund und Holzwickede.
Als er im November 2021 die Villen zum ersten Mal aus der Nähe sah, war es um ihn geschehen. An diesem Juli-Tag 2022, an dem er vor Ort die nächsten Schritte in dieser Liebesgeschichte erläutert, strahlt die Sonne vom wolkenlosen blauen Himmel: ein harmonischer Kontrast zum Weiß der Wände, dem Dunkelbraun des Fachwerks, dem Rot des Daches und der in allen Grün-Tönen schimmernden Bäume.
Villen sollten Doppelhaushälften weichen: „Eine Sünde“
Diese Häuser abzureißen, damit dort fast 30 Doppelhaushälften entstehen könnten? Redeker schüttelt den Kopf. „Das wäre eine Sünde.“ Genauso befanden das im vergangenen Jahr die Mitglieder des Selmer Stadtrates, als sie von den Plänen hörten, die die Erben des Vorbesitzers entwickelt hatten. Damals hatten sie eine Veränderungssperre erlassen, um zumindest etwas Aufschub zu bekommen. Als Stadt Millionen in die Hand zu nehmen, um selbst die Grundstücke zu erwerben und die ortsbildprägende Bebauung zu bewahren, konnte sich die verschuldete Kommune nicht leisten. Dass sich tatsächlich jemand finden würde, der beide Häuser retten würde, war damals nur eine vage Hoffnung. Dann kam Redeker.
Zu Besuch in den Cappenberger Jugendstil-Villen
Mit seiner Fromm & Redeker Wohnbau GmbH hat er die imposanten Villen gekauft - nicht nur aus Liebhaberei, sondern auch aus der unternehmerischen Überzeugung, „das Bestehende bewahren zu können und gleichzeitig neuen Wohnraum zu schaffen“. Architekt Ralf Lübben aus Sprockhövel hat für ihn auf dem 7500 Quadratmeter großen Grundstück zwei Sechsfamilienhäuser im jeweils hinteren Grundstücksbereich geplant. Ein Stich zwischen den beiden Jugendstil-Bauten mit den Hausnummern 14 (Overbeck) und 16 (Schmieding) hindurch wird die Gebäude erschließen. Der Bauantrag ist inzwischen gestellt. Sobald die Baugenehmigung der Stadt Selm vorliegt, will er loslegen - am liebsten noch in diesem Jahr, wie er sagt. Wenn es um die Nutzung der beiden Villen selbst geht, sammelt Redeker indes noch Ideen.
Villa Overbeck kommt wieder auf den Markt
Die Waldschmiede - so hatte der einstige Dortmunder Oberbürgermeister sein Sommerhaus selbst getauft - will der Lüner Unternehmer behalten. Schon die Vorbesitzer hatten in der 1904 als erstes errichteten Villa an der Borker Straße mehrere separate Wohnungen eingerichtet. Das sogenannte Hexenhaus nebenan will er an den Markt bringen. Die von Bohlen Immobilien GmbH bereitet das gerade vor. Schon seitdem bekannt geworden war, dass er die Häuser gekauft hatte, seien Interessenten bei ihm vorstellig geworden „mit ganz unterschiedlichen Ideen“, sagt er, während er die Stufen zum Eingang hinauf steigt. „Ich bin gespannt, welche Ideen jetzt noch dazu kommen werden.“

1908 bekam die Villa Overbeck diesen Anbau: ein sogenanntes Atelier. Ob Gerta Overbeck, später eine der wichtigsten Vertreterinnen der "Neuen Sachlichkeit", dort malte? © Sylvia vom Hofe
Der Schlüssel dreht sich im Schloss. Als die schwere Holztür aufschwingt gibt sie den Weg in einen Empfangsraum frei. Spiegel und Schrank fehlen. Die Zeiten, als Karl Ebrecht, ein anderer Unternehmer aus Lünen, mit seiner Familie hier Besuch empfing, sind schon lange vorbei. Ein Schritt weiter in der großen, offenen Diele ist es weniger karg. Ein ausladender Leuchter sorgt für heimeliges Licht, das sich auf dem grimmigen Gesicht der Hexe spiegelt. Tatsächlich, da ist sie: Wie entsprungen aus dem Grimmschen Märchenbuch sitzt sie auf ihrem Besen und scheint hinauf in die Obergeschosse fliegen zu wollen. Was eher da war - die künstlerisch gestaltete Metallplatte auf dem Rauchfang oder der Name des Hauses -, weiß Redeker nicht: nur ein Geheimnis des Hauses.
Coca-Cola-Abfüller Ebrecht und die Liebe zu Antiquitäten
Karl Ebrecht hatte es 1957 gekauft. Damals hatte ihn die sechs Jahre zuvor an der Schützenstraße errichtete Abfüllanlage für Coca Cola bereits reich gemacht. 1960 kaufte er das Hotel-Restaurant Kreutzkamp am Ende der Borker Straße und später auch die Villa Schmieding nebenan: ein Geschenk zur Hochzeit einer seiner beiden Töchter.
Ob Delfter Kacheln im Esszimmer oder ein Kirchenfenster aus dem 17. Jahrhundert als Raumteiler: Dass der 1976 gestorbene Bierverleger eine Leidenschaft für Antiquitäten hatte, ist selbst im inzwischen leeren Haus noch zu sehen. Etwas anderes ist nicht so offensichtlich. Warum haben die kleinen Zimmer rechts und links der langen Flure in den beiden Obergeschossen Waschbecken. Redeker vermutet einen Zusammenhang mit der Nutzung des Hauses als Kinderheim.
Evangelisches Kinderheim oder Stundenhotel?
Kinderheim? Tatsächlich muss es ein evangelisches Kinderheim in Cappenberg gegeben haben, meint auch Dr. Franz Peter Kreutzkamp. Der Jurist ist nicht nur Experte für die Geschichte seines Heimatortes, sondern auch Anwohner der Borker Straße und Urenkel von Engelbert Kreutzkamp, der Cappenberg bekannt machte als Ausflugsziel für die Reichen und Schönen des Ruhrgebiets. Ob das Kinderheim allerdings tatsächlich in der Villa Overbeck oder in der Villa Bolte in der Baltimora war, weiß er nicht. Eine andere Nutzung der kleinen Zimmer ist dagegen wahrscheinlich. Dabei kommt die dritte Jugendstil-Villa der Borker Straße ins Spiel.
Dortmunds Oberbürgermeister Schmieding hatte nicht nur Wilhelm Overbeck, sondern auch seinen zweiten Schwiegersohn, Heinrich Hermann Janßen, dazu bewegt, in Cappenberg zu bauen - etwas weiter in Richtung Kreutzkamp. Der Generaldirektor der Zechen Baldur in Dorsten und Radbod in Bockum-Hövel erlebte, wie 1908 348 Männer bei einer Schlagwetterexplosion auf Radbod ums Leben kamen: die bis dahin schlimmste Katastrophe des deutschen Bergbaus. Elf Jahre später starb auch Janßen im Alter von nur 54 Jahren. Seine Frau zog mit dem kleinen Sohn zurück nach Dortmund und vermietete die Villa. Der Mieter bediente eine besondere Marktlücke und brauchte dafür Zimmer.
Offen für alle Ideen - unter einer Voraussetzung
Wie Heinrich Janßen, der heutige Bewohner und Enkel des unglücklichen Bergbau-Bosses, erzählt, habe es sich um ein exquisites Rotlicht-Etablissement gehandelt. Als die Sache aufflog, hätte der Rotlicht-Mieter sofort gehen müssen, vermutlich gar nicht weit. Kreutzkamp hält das für wahrscheinlich. Sicher ist: 1929, nach der Weltwirtschaftskrise, hatte sich Familie Overbeck von ihrer Villa getrennt.
Das Parkett des langen Flurs ächzt unter jedem Schritt. Ob hüpfende Kinder, tanzende Paare oder auch nur Sommerfrischler, wie einst die Ausflugsgäste in Cappenberg hießen: Wer hier alles und warum in den zurückliegenden fast 120 Jahren hergegangen ist, verraten die knatschenden Bretter nicht. Und wer künftig hier entlang gehen wird, ebenfalls nicht. Thorsten Redeker hofft, dass er noch in diesem Jahr eine Entscheidung treffen wird. An einer anderen Entscheidung werde dabei aber nicht gerüttelt: „Die Villa muss erhalten werden. das ist die Voraussetzung.“
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
