Notunterkunft in Selm-Bork Was ist dran an Gerüchten um Geflüchtete?

Notunterkunft in Selm-Bork: Was ist dran an Gerüchten um Geflüchtete?
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Es ist ein Jahr her, dass am Landesamt für Ausbildung und Fortbildung der Polizei (LAFP) in Bork der Aufbau der Leichtbauhallen begonnen hat. Im April 2022 war noch geplant, dass die Unterkunft ausschließlich für Menschen sein soll, die wegen des Krieges in der Ukraine aus ihrer Heimat fließen mussten. Das Konzept hat die Bezirksregierung Arnsberg als hiesige Vertretung des Landes NRW, das für die Unterkunft zuständig ist, seitdem mehrmals geändert. Die Zeltstadt ist zu einer Notunterkunft geworden - für Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern der Welt.

Wie eine Anfrage der Redaktion jetzt ergab, sind aktuell nur Männer dort untergebracht. Die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan, Syrien, der Türkei, aus dem Irak oder aber auch aus anderen Herkunftsländern. 732 Männer lebten Ende März in der Notunterkunft in Bork. Bis zu 900 Menschen hätten Platz in den 18 insgesamt Leichtbauhallen.

700 Menschen mehr in einem kleinen Ort wie Bork - es wäre komisch, wenn das nicht auffallen würde. Gerade beim Weg zum Bahnhof oder zum Einkaufen sieht man im Dorf häufig Gruppen der jungen Männer, die wegen ganz unterschiedlicher Gründe ihr Heimatland verlassen haben und in Deutschland Hilfe suchen. Und im Dorf gehen Gerüchte um.

Ein Bewohner der Zeltstadt soll einen Kind ein Handy gestohlen haben und festgenommen worden sein. Es habe Übergriffe auf Mädchen gegeben, für die Bewohner der Zeltstadt verantwortlich sein sollen. So steht es auch in einem Brief, der anonym an die Redaktion gesandt wurde. Die zuständige Polizei im Kreis Unna bestätigt diese Vorfälle auf Nachfrage der Redaktion nicht: Es habe im Zusammenhang der Zeltstadt keine Einsätze dieser Art gegeben, sagt ein Sprecher.

Zwei Menschen in Gewahrsam genommen

Bis jetzt gab es nur einen Fall, in dem die Polizei zur Notunterkunft ausrücken musste. Aber: Auch hier hat sich das Gerücht, dass es eine „Massenschlägerei“ gab, wie es in einer Zuschrift an die Redaktion heißt, nicht bestätigt. Das sagt die Bezirksregierung auf Anfrage. Vielmehr habe sich Folgendes abgespielt. „Im Rahmen der Taschengeldausgabe kam es am 7. März aufgrund von Provokationen zweier Bewohner zu einer Auseinandersetzung. Vorsorglich wurde die Polizei hinzugezogen, welche die Situation deeskalierte. Die beiden auslösenden Bewohner wurden von der Polizei zunächst in Gewahrsam genommen und noch am gleichen Tag zur weiteren Beruhigung vor Ort in eine andere Unterbringungseinrichtung verlegt“, so Ursula Kissel, Sprecherin der Bezirksregierung.

Dass es in einer Unterkunft, in der viele Menschen leben, auch Konflikte gibt, verwundert sie weniger. „In großen Gemeinschaftsunterbringungseinrichtungen, in denen viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion etc. auf engem Raum zusammenleben, entstehen auch Konflikt-Situationen. Manche dieser Konflikt-Situationen müssen durch Eingreifen von Sicherheits- und Betreuungsdienstmitarbeitenden deeskaliert werden. Soweit notwendig werden Polizei, Rettungsdienst etc. eingebunden. Ein überproportionaler Anstieg ist nicht festzustellen“, so die Sprecherin der Bezirksregierung.

Gerüchte im Dorf

Auch, dass Gerüchte entstehen, ist nicht gerade ungewöhnlich, wenn in einem eher kleineren Ort eine große Unterkunft für geflüchtete Menschen errichtet wird. „Die derzeitige Gesamtlage und Heterogenität der Bewohner und Bewohnerinnen sorgt nachvollziehbar für Sorgen, Nöte sowie Befürchtungen. Daraus können sich gelegentlich Gerüchte entwickeln. Beschwerden, Anregungen etc. von betroffenen Menschen werden dennoch immer sehr ernst genommen“, so die Bezirksregierung.

In dem anonymen Brief an die Redaktion heißt es: „An den Eingängen der Zeltstadt stehen etliche geklaute Fahrräder. Die Flüchtlinge selbst kommen mit dem Bus ohne eigene Sachen und besorgen sich diese Sachen bei ihren Spaziergängen. Der Wachdienst dort verschließt die Augen. In Bork und Selm explodiert seit Wochen die Anzahl von Einbrüchen und Diebstählen.“ Konkreter wird der Schreiber, der seinen Namen nicht angegeben hat, nicht. Die Polizei bestätigt seine Anschuldigungen auf Nachfrage nicht. Dass es vermehrt Einbrüche gibt in Bork und Selm, lässt sich zwar auch an den Zahlen ablesen. Allerdings gelten die meisten dieser Einbrüche als unaufgeklärt - die Täter wurden nie gestellt.

Das Vorurteil, geflüchtete Menschen seien öfter kriminell, hält sich hartnäckig. Zahlen belegen es allerdings nicht. „Die Auswirkungen der Zuwanderung von Asylsuchenden auf die Kriminalitätslage in Deutschland zeigen trotz der seit 2015 erstmals wieder gestiegenen Anzahl neu registrierter Asylsuchender weiterhin eine rückläufige Tendenz auf“, erklärt so das Bundeskriminalamt in einer Untersuchung, die die Zahlen von 2021 als Grundlage hat. „Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 1.892.003 Tatverdächtige erfasst, darunter 229.698 Zuwander*innen. Das sind zwölf Prozent aller Tatverdächtigen. Zieht man jedoch die Tatverdächtigen im Bereich ausländerrechtliche Verstöße (wie etwa illegale Einreise oder Aufenthalt) ab, liegt der Anteil an Zuwander*innen an der Allgemeinkriminalität bei nur noch 7,1 Prozent. Dabei sinkt der Anteil der Zuwander*innen unter den Tatverdächtigen seit 2018 kontinuierlich – und das obwohl die Zahl der Neuankömmlinge, die Asylerstanträge gestellt haben, seit 2015 gestiegen ist“, erklärt die UNO-Flüchtlingshilfe mit Berufung auf die Bundes-Zahlen.

Kleiderspenden

Die Notunterkunft ist so ausgelegt, dass die Menschen dort in der Regel nicht lange wohnen: Von Bork aus werden ihnen in der Regel im Verlauf von zwei Wochen andere, für einen längeren Aufenthalt geeignete Unterkünfte zugewiesen - im ganzen Land. Die Bezirksregierung hat jetzt aber auch eingeräumt, dass einige Menschen länger in Bork bleiben. „Die Aufenthaltsdauer von wenigen Wochen bis Monaten ist abhängig vom asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren sowie individuellen Gegebenheiten“, so Ursula Kissel.

Unterdessen hat der Arbeitskreis Asyl aus Bork für die Bewohner der Zeltstadt gerade wieder zu Kleiderspenden aufgerufen. „Dringend“ werden Herrenoberbekleidung in den Größen S, M, L und Schuhe in den Größen 39 bis 43 benötigt. Bis Ende April kann das im Laden des Asylkreises Bork, Hauptstraße 28, abgegeben werden. Die Öffnungszeiten sind montags von 10 bis 12 Uhr und donnerstags von 15 bis 17 Uhr.

Bis zum Ende des Jahres wird es die Notunterkunft in Bork auf jeden Fall noch geben. Das hatte die Bezirksregierung im März angekündigt.

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