Zeltstadt für Flüchtlinge in Selm-Bork Notunterkunft wird anders genutzt als geplant

Zeltstadt in Bork: Notunterkunft wird anders genutzt als geplant
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Als die Stadt Selm zusammen mit der Bezirksregierung Arnsberg für den 17. März 2022 zur Pressekonferenz ins Selmer Bürgerhaus eingeladen hat, dauerte der Krieg in der Ukraine bereits fast einen Monat. Russlands Präsident Putin hatte den Überfall auf das kleinere Nachbarland befohlen. Als in Selm Vertreter von Stadt, Land und Polizei zusammenkamen, hatte die Invasion bereits Hunderttausende fliehen lassen. Um den Menschen eine Zuflucht bieten zu können, seien gemeinsame Anstrengungen nötig, hieß es damals im Bürgerhaus. Das Land wolle wie schon 2015 auf dem Gelände der Polizeischule in Bork (LAFP), eine Zeltstadt errichten: Platz für bis zu 1000 Geflüchtete - dieses Mal ausschließlich aus der Ukraine, wie es damals hieß. Es kam anders als ursprünglich geplant - und das gleich in mehrfacher Hinsicht.

Nicht nur aus der Ukraine

Nein, es seien nicht nur Menschen aus der Ukraine, die zurzeit in Bork untergebracht würden, bestätigt Christoph Söbbeler am Mittwoch (23.11.), was viele Menschen aus Bork bereits beobachtet haben. Der Sprecher der Bezirksregierung widerspricht damit dem, was seine Kollegen sowohl bei der Pressekonferenz im März im Bürgerhaus als auch einen Monat später bei der Bürgerversammlung im LAFP in Bork gesagt hatten. Die zusätzliche Landesunterkunft in 18 weißen Leichtbauhallen auf dem Parkplatz sei ausschließlich für geflüchtete Menschen aus der Ukraine, hatten die Verantwortlichen damals betont. Eine Unterbringung zusammen mit Asylbewerbern führe „nur zu Streit und Stress“, hatte etwa Thomas Sommer, Abteilungsleiter der Bezirksregierung, während der Bürgerversammlung erklärt.

Offensichtlich ist das doch nicht so. Oder der Stress, die in wachsend großer Zahl aus der ganzen Welt vor Krieg, Gewalt und Perspektivlosigkeit geflohenen Menschen überhaupt vernünftig unterbringen zu können, ist ist noch größer als der Stress durch die interkulturellen Reibereien. Fest steht: „In der Notunterkunft Selm werden sowohl ukrainische Geflüchtete als auch Asylsuchende untergebracht“, so Christoph Söbbeler. Allerdings bräuchten die Menschen unterschiedlicher Herkunft in Bork auch nicht viel Zeit auf kleinem Raum miteinander zu verbringen.

Schlafstätte für Bochum

„Die Notunterkunft Selm dient derzeit als Schlafstätte für eine Zwischenübernachtung für Flüchtlinge aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Bochum.“ Die Verweildauer der Menschen beschränke sich daher im Regelfall auf nur einen Tag. „Dabei ändert sich der Belegungsstand kontinuierlich, je nachdem wie hoch der Zulauf in der LEA Bochum ist.“ Und der wächst.

Mitte Oktober waren es auf Anfrage noch 50 bis 200 Menschen, die eine Nacht in der Borker Zeltstadt verbrachten, weil in Bochum zu viel Betrieb war. Die Nachfrage ist so gewachsen, dass die Bezirksregierung im Dezember mehr Betten aufstellen wird. „Derzeit können maximal 600 Personen in der Notunterkunft Selm untergebracht werden“, sagt Söbbeler. „Ab dem 1. Dezember erhöht sich die Kapazität auf 650 Plätze und ab dem 15. Dezember schließlich auf 750 Plätze.“ Das entspreche dann der Maximalbelegung. Im Frühjahr, als noch von einer Belegung ausschließlich mit Menschen aus der Ukraine die Rede war, hatten die Verantwortlichen noch von 1000 Plätzen gesprochen.

Thomas Sommer (stehend) von der Bezirksregierung hatte im April 2022 während der Bürgerversammlung im LAFP in Bork eine andere Nutzung der Notunterkunft beschrieben als derzeit erfolgt.
Thomas Sommer (stehend) von der Bezirksregierung hatte im April 2022 während der Bürgerversammlung im LAFP in Bork eine andere Nutzung der Notunterkunft beschrieben als derzeit erfolgt. © Sylvia vom Hofe

Für die zu betreuenden Menschen sind 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da: Beschäftigte im Betreuungs- und im Sicherheitsdienst. Für die Bezirksregierung Arnsberg sind zu den Bürozeiten zudem jeweils fünf bis sechs Personen vor Ort. Ehrenamtliche Unterstützung brauchen die Beschäftigten der Zeltstadt nicht. Schließlich sei die Unterkunft eben momentan nur eine Schlafstätte.

Halbes Jahr Leerstand

Dass die Menschen nicht lange in Bork bleiben würden, war von Anfang an so geplant. Immerhin sollten es aber einige Tage sein: in der Regel die ersten Tage nach der Ankunft in Deutschland.

Dass Plan und Wirklichkeit nicht deckungsgleich sein müssen, hatte sich schon früh gezeigt bei der Borker Zeltstadt. Sie sollte im April öffnen. Wegen Lieferengpässe wurde dann aber bis Juni nichts daraus. Dann stellte sich Mitte Juni heraus, dass Rauchmelder fehlten. Tatsächlich geöffnet wurde die Notunterkunft erst Mitte September. Da waren bereits mehr als eine Million Euro Kosten für Miete sowie Betreuungs- und Sicherheitsdienst für die bis dahin leere Anlage aufgelaufen.

Wie sehr passend ausgestattete Unterkünfte benötigt werden, stellen die Kommunen derzeit landauf-landab fest - nicht nur, weil seit Wochen die Zahlen der Flüchtlinge auf der Balkanroute wieder steigen. Auch aus der Ukraine gibt es wieder mehr Menschen, die Schutz suchen, obwohl die ukrainische Armee derzeit russisch besetzte Gebiete wieder erfolgreich zurückerobert.

„Wetter kann töten“

Kein Wasser, kein Strom, keine Heizung. Selbst da, wo nicht gekämpft wird in der Ukraine, beschließen Menschen zu fliehen. Nachdem Russland in dem seit neun Monaten andauernden Angriffskrieg auf den kleineren Nachbarn Ukraine begonnen hat, große Teile der Infrastruktur zu zerstören, ist der Alltag eine Tortur geworden, insbesondere für Kinder, alte Menschen und solchen, die chronisch krank sind. „Kaltes Wetter kann töten“, sagte Hans Kluge, der Europa-Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Anfang der Woche (21.11.). In Teilen des Landes würden die Temperaturen auf bis zu minus 20 Grad sinken. „Wir erwarten, dass weitere 2 bis 3 Millionen Menschen ihre Heimat auf der Suche nach Wärme und Sicherheit verlassen werden.“ Knapp eine Million Menschen sind bereits bis August aus der Ukraine nach Deutschland geflohen.

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