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Kritik an neuer Förderschule: „Da kommt nur einer nicht in die Behindertenwerkstatt“
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Florian Kirsch ist 24 und hat das Down-Syndrom. Er hat Regelschulen besucht und arbeitet in einem Zahnlabor. Sein Vater kritisiert, dass der Kreis eine neue Förderschule baut, statt Inklusion zu fördern.
Für den Bergkamener Ulrich Kirsch ist der Kreistagsbeschluss, Geld für eine neue Förderschule „Geistige Entwicklung“ in Lünen auszugeben, ein Problem. Der Beschluss binde Geld, das besser für die Inklusion von behinderten Kindern in Regelschulen ausgegeben würde, wirft er dem Kreistag vor.
Kirsch setzt sich schon lange dafür ein, dass Kinder mit Behinderungen nicht eine Förderschule besuchen müssen, sondern mit einer besonderen Betreuung eine ganz normale Schule besuchen können – Inklusion eben. Um es genau zu sagen: Der Ingenieur und seine Frau Dr. Edith Kirsch, Oberärztin am Krankenhaus in Werne, setzen sich schon seit 23 Jahren für die Inklusion ein. Ihr Sohn Florian (24) kam mit dem Down-Syndrom zur Welt.
Familie Kirsch kämpft seit 23 Jahren für die Inklusion
Das Ehepaar kämpfte darum, dass ihr Sohn einen ganz normalen Kindergarten besuchen konnte. Florian ging auf die Schiller-Grundschule in Bergkamen und nach dem vierten Schuljahr auf die Heide-Hauptschule, die einzige weiterführende Schule, die schließlich bereit war, auch Kinder mit Behinderungen im inklusiven Unterricht aufzunehmen. Es folgte das Berufskolleg. „Wir sind überall und immer auf Ablehnung gestoßen und mussten darum kämpfen, dass Inklusion möglich war“, sagt Ulrich Kirsch.

Der 24-Jährige arbeitet in einem Zahnlabor in Lünen. © Stefan Milk (Archiv)
Mittlerweile arbeitet Florian Kirsch schon seit einigen Jahren im Zahnlabor „Prodenta“ in Lünen. Der 24-Jährige lebt zwar im Haus seiner Eltern in Bergkamen, ist aber nicht nur, was seinen Beruf angeht, weitgehend selbstständig.
Er tanzt in der Tanzschule „Dancer’s Home“ in Bergkamen, er spielt Flöte, er ist Messdiener bei der Kirchengemeinde St. Elisabeth in Bergkamen. Er ist schon mit Freunden und einem gewissen Grad von Betreuung in den Urlaub geflogen – zum Beispiel nach Mallorca – er ist Mitglied in der Jungen Union und er liest Krimis.
„Inklusionsklassen sind immer die sozial besten Klassen“
Das alles wäre nach Ansicht seines Vaters größtenteils nicht möglich gewesen, wenn es für seinen Sohn keine Inklusion gegeben und er eine Förderschule besucht hätte. Es werde zwar immer wieder behauptet, die Schüler würden auf der Förderschule für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht. In Wahrheit aber sei ihr Schicksal vorgezeichnet. „Mit Glück gibt es pro Jahrgangsstufe einen oder eine, die nicht in die Behindertenwerkstatt geht“, sagt der Bergkamener erbittert.

Flöte spielen gehört zu den vielen Hobbys von Florian Kirsch. © Marcel Drawe
Für Kirsch steht außerdem fest, dass nicht nur die Schüler mit Behinderung von der Inklusion profitieren, sondern auch ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Die Inklusionsklassen seien immer die „sozial besten Klassen“ gewesen, sagt er – das hätten auch die Lehrer bestätigt. In den Klassen sei die gegenseitige Rücksichtnahme und der Zusammenhalt unter den Schülern immer am besten gewesen.
Viele Eltern von behinderten Kindern haben resigniert
Trotzdem hat er festgestellt, dass es auch bei der „Initiative Down Syndrom Kreis Unna“ (IDS) immer mehr Eltern gibt, die darüber nachdenken, ihr Kind doch an einer Förderschule anzumelden. Mit Überzeugung habe das jedoch wenig zu tun, sagt Kirsch, der auch Vorsitzender der IDS ist.
Eigentlich seien sich alle Eltern einig, dass Inklusion das Beste für die Kinder sei. Aber einige wollten nicht mehr ständig gegen Widerstände ankämpfen, sagt er. Das habe er selbst ständig erlebt. „Eltern, die den ganzen Tag arbeiten, haben irgendwann keine Kraft mehr, den ständigen Kampf gegen die Behörden zu führen.“ Sie würden ihr Kind eher aus Resignation auf der Förderschule anmelden.
Statt eine neue Förderschule zu finanzieren hätte er lieber mehr Geld für die Ausstattung der Regelschulen für die Inklusion – zum Beispiel für mehr Sonderpädagogen, die den Unterricht begleiten oder den Platz für Sonderunterricht. Kirsch: „Da sind andere Länder in Europa schon viel weiter als wir – nicht nur in Skandinavien, auch in Südeuropa.“