Mit ein paar geschickten Griffen, dreht Leo Walterbusch an der hölzernen Umrandung des mit rotem Linoleum verkleideten Barschranks - schon klappt er einen Tresen aus. Der 22-jährige Olfener kennt den Barschrank in- und auswendig - schließlich handelt es sich dabei um sein Gesellenstück, mit dem er den dritten Platz beim Wettbewerb „Die Gute Form“ der Tischlerinnung geholt hat. Außerdem hat Leo Walterbusch bei seiner Gesellenprüfung mit „sehr gut“ abgeschnitten. Ein Erfolg, der seinen Ausbildungsbetrieb, die Tischlerei Rotte aus Selm auch stolz macht.
Fast jedes Jahr bilden Ulrich und Karin Rotte aus. Drei Jahre dauert die Ausbildung zum Tischlerei-Gesellen. Die letzten beiden Azubis seien übernommen worden. So könne der Betrieb ältere Kollegen, die in Rente gehen, ersetzen, erzählt Karin Rotte. Gerade sitzt sie an den nächsten Bewerbungen fürs kommende Ausbildungsjahr. Die Selmer Tischlerei kann sich nicht über einen Mangel an geeigneten Bewerbern beschweren, den es vielleicht in anderen Betrieben gibt.
Das liegt auch am guten Team, vermutet Ulrich Rotte. Ob Azubi oder Werkstattmeister, alle seien involviert. Früher habe in Werkstätten ein anderer Ton geherrscht. „Da flog auch mal ein Holz. Heute sind die Azubis Bestandteil des Teams“, sagt Ulrich Rotte. In seinem Betrieb bekämen eigene Projekte, fahren am Ende mit zur Montage beim Kunden. Das erhöhe die Motivation. Der Meister sagt: „Unser Kapital ist das Team.“ Die Tischlerei setzt auf individuelle Möbel, Lösungen für jeden Raum eines Hauses, keine Serienfertigungen. Engagierte und kreative Mitarbeiter sind da wichtig.
Mangel in manchen Sparten
Genug Bewerber, um den besten auszuwählen? Während manch Handwerksbetrieb davon nur träumen kann, ist das im Tischlerhandwerk nicht ganz so besonders. „Die Tischlerei ist grundsätzlich sehr beliebt“, sagt Thomas Behrning, Pressesprecher der auch für Selm zuständigen Kreishandwerkerschaft Hellweg-Lippe. Oft seien bei Tischlern schon vor Beginn des Sommers die Ausbildungsplätze für den August im folgenden Jahr vergeben. Behrning rät Interessenten sich „sehr frühzeitig“ zu bewerben. Auch für Praktika. Sie seien die beste Möglichkeit sowohl für den Betrieb als auch für den Bewerber zu testen, ob Erwartungen übereinstimmen und ob beide zueinander passen.
„Es dürfen sich gerne mehr junge Leute fürs Handwerk interessieren“, sagt der Sprecher der Kreishandwerkerschaft. Probleme gebe es gerade im Bereich Bäckerei, Sanitär und bei Gewerken im Haus- und Wohnungsbau. Zudem gebe es ein Problem mit Bewerbern, die aber nicht ausbildungsfähig sind. Etwa auch, weil die Erwartungen an die Ausbildung nicht mit der Realität überein stimmten, so Behrning. Der Mangel an Azubis in bestimmten Sparten sei auch ein Problem bei den Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, so Behrning. „Es muss auch Leute geben, die neue Techniken installieren.“
Weniger Ausbildungen bei Tischlern
Eine Sonderumfrage der Handwerkskammer Dortmund im November 2022 hat ergeben, dass in fast jedem zweiten Handwerksbetrieb offenen Stellen unbesetzt bleiben, weil es an passenden Fachkräften mangelte. Mehr als ein Fünftel der Handwerksunternehmen dort suchte Auszubildende, so ein Sprecher. 2022 wurden im Kreis Unna wurden 13,2 Prozent weniger Ausbildungsverhältnisse neu abgeschlossen als im Vorjahr. Auch die im Tischlerhandwerk ging im Kammerbezirk Dortmund die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse von 2021 auf 2022 zurück - um 12,5 Prozent.

In Selm steht dagegen der nächste Azubi schon in den Startlöchern, um seine Prüfung zum Gesellen abzulegen. Leon Lippert, 21 Jahre alt und wie sein Vorgänger aus Olfen, hat bereits ein Modell und die technischen Zeichnungen für sein Gesellenstück gefertigt. Ein Sideboard aus Eichenholz will er bauen. Der Clou: der linke Teil des Corpus lässt sich nach links ausziehen. „Dann wird noch ein Fach frei“, erklärt Leon Lippert. Das Eichenholz für sein Möbelstück stammt von einem Stamm, den seine Mutter ihm zum 20 Geburtstag geschenkt hat.
100 Stunden - etwa zweieinhalb Wochen - Zeit hat Leon Lippert, um aus den Zeichnungen das fertige Sideboard Realität werden zu lassen. „Das könnte schon knapp werden“, weiß Leo Walterbusch aus Erfahrung. Die angehenden Gesellen müssen von der Idee bis zu Zeichnungen und Konzept und dem Bau alles an ihrem Gesellenstück selbst bauen. Das Gesellenstück, in das so viel Sorgfalt und Kreativität gesteckt wurde, wird dann auch nicht verkauft. Leo Walterbusch hatte die Idee nach einem Auslandsaufenthalt. Ein Barschrank sollte her, der eine Flasche Rum gut in Szene setzen kann, als Raumtrenner dient und einen Tresen hat. Ein halbes Jahr hat es etwa von der Idee bis zur Umsetzung gedauert.
Nach Australien
Ein halbes Jahr hat Leo Walterbusch nach seiner Gesellenprüfung im vergangenen Sommer schon bei der Tischlerei Rotte gearbeitet. Ende Februar war damit Schluss. Der 22-Jährige geht für mindestens ein Jahr zum Arbeiten und Reisen (Work and Travel) nach Australien. Sowas wie eine Gesellenprüfung kennt man dort nicht. Leo Walterbusch ist neugierig, welche Erfahrungen er dort als Tischler machen kann.
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