Abriss und Neubau eines Straßenzugs: Vertrag sorgt für Kritik in Selm

© Günther Goldstein

Abriss und Neubau eines Straßenzugs: Vertrag sorgt für Kritik in Selm

rnKreisstraße in Selm

Der Verkauf der alten Häuser an der Kreisstraße ist unter Dach und Fach - trotz Protests. Ein Bauträger, der schon an anderer Stelle das Bild der Stadt Selm mitprägt, wird neuer Besitzer.

Selm

, 26.09.2020, 07:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Der Stadtrat - in seiner Zusammensetzung vor der Wahl - hat entschieden. Die alten Häuser an der Kreisstraße mit den Hausnummern 68 bis 84 wechseln in die Hand eines neuen Besitzers. Das international tätige Immobilienunternehmen Ten Brinke hat einen Erbpachtvertrag mit der Stadt abgeschlossen - sehr zum Ärger der UWG. Die Entscheidung, so Fraktionsvorsitzende Maria Lipke, falle „Hals über Kopf“ und ohne Mitsprache der Bevölkerung.

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Bei den Vertragsdetails hält sich die Stadt bedeckt. Die Ratsentscheidung fiel im nichtöffentlichen Teil der Sitzung. 4,2 Millionen Euro hatte die Stadt 2017 ausgegeben für den mehr als 100 Jahre alten und fast 100 Meter langen Gebäuderiegel: eine Investition, die schon damals in der Kritik stand. Die einen warfen der Stadt vor, Bruchbuden ohne Wertgutachten erworben zu haben. Die anderen kritisierten, ortsbildprägende historische Bausubstanz dem Abriss preiszugeben.

Bürgermeister Mario Löhr hatte stets darauf verwiesen, dass es sich um eine Investition in Selms städtebauliche Zukunft handele. Nur wenn es gelinge, Geschäfte anzusiedeln an der umgebauten Kreisstraße, könne sie ihr Potenzial als attraktive Einkaufsstraße ausspielen.

Seier: „Stadt vernichtet 2,5 Millionen Euro“

Dass die hochverschuldete Stadt die Häuser nicht behalten würde, stand von vorne herein fest. Dass sie die gesamte Ausgabe nicht komplett refinanziert bekommen würde, auch. Wie viel genau unterm Strich offen bleibt, war nicht Thema der öffentlichen Debatte im Rat. Auch Stadtsprecher Malte Woesmann äußerte sich später auf Nachfrage nicht dazu. Er kommentierte auch nicht den Einwurf des UWG-Chefs Hubert Seier, dass Selm mit dem Ten-Brinke-Deal „2,5 Millionen Euro vernichtet“. Woesmanns Einlassungen zu den Vertragsdetails gingen nur so weit: „Ein langfristiger Erbpachtvertrag“ sei abgeschlossen. Dieser Vertrag stelle eine „jährliche Pacht im fünfstelligen Bereich für den Haushalt der Stadt Selm“ dar. Die Abrisskosten trage der Investor.

Die Verantwortlichen der Ten Brinke Projektentwicklung GmbH hatten ihr Interesse an der Entwicklung des Straßenzugs zwischen Lumber Jack`s und dem polnischen Lebensmittelladen (beide Gaststätten gehören nicht zu den verkauften Häusern) schon früh bekundet. In einer Ausschusssitzung im März hatten sie erste Pläne vorgestellt. Demnach soll nach dem Abbruch des alten Bestandes ein neuer Gebäuderiegel entlang der Straße entstehen, der Platz für zwei große Geschäfte bietet: für den Drogeriemarkt dm und dem Discounter Netto. Beide sind bereits in Selm ansässig, aber möchten sich vergrößern am neuen Standort Kreisstraße.

Ten Brinke peilt das dritte Großprojekt in Selm an

Ten Brinke hat bereits das Nahversorgungszentrum in Bork realisiert mit Lidl und Rossmann. Derzeit baut das Unternehmen nur einen Steinwurf von den alten Häusern an der Kreisstraße entfernt: auf dem ehemaligen Gelände des Autohauses Rüschkamp, etwas weiter südlich an der Kreisstraße. Dort entsteht ein Einkaufszentrum mit Rewe und Aldi.

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Maria Lipke, Fraktionsvorsitzende der UWG, kritisiert das Vorgehen: sowohl die Bindung an einen Investor als auch die Grundsatzentscheidung zum Abbruch des ortsbildprägenden Straßenzugs. Die Kreisstraße werde „total verändert“ durch die Neubaupläne. „Ich möchte erst wissen, wie die Bevölkerung dazu steht.“

Umfrage der RN: Am Abriss scheiden sich die Geister

In der großen Online-Umfrage der Ruhr Nachrichten zur Zufriedenheit mit der Arbeit der Stadtverwaltung gab es fast eine Patt-Situation. 44 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden, dass es eine gute Idee gewesen sei, die alten Häuser an der Kreisstraße zu kaufen und mittelfristig durch Neubauten zu ersetzen. 46 Prozent fanden die Idee schlecht. Abgestimmt hatten 402 Menschen aus Selm.

29 Wohnungen und 12 Ladenlokale befinden sind in den acht alten Häusern. Spätestens Ende 2021 enden die Pacht- und Mietverträge.