
© Luftbild Kreis Unna Vermessung und Kataster / Grafik Sauerland
Acht Häuser an Kreisstraße werden abgerissen: War Denkmalschutz ein Thema?
Kreisstraße
Ein ganzer Straßenzug in Selm ist bald Geschichte - zumindest teilweise: Acht Häuser auf der Kreisstraße sollen abgerissen werden. Sie alle sind über 100 Jahre alt, haben das Bild der Stadt geprägt.
Den Straßenzug als prägend zu bezeichnen, ist wahrscheinlich nicht übertrieben: Die eng aneinander gebauten Giebelhäuser auf der Kreisstraße in Selm gehören fest zum Bild der Stadt. „Es ist ein Stadtgesicht - diese Kreisstraße“, sagt der Selmer Künstler Heinz Cymontkowski. Man müsse allerdings schon nach oben schauen, um auch die historische Wichtigkeit der Gebäude zu erkennen. „Jedes Gebäude hat ein anderes Gesicht“, sagt er.
Allzu lange wird das allerdings nicht mehr möglich sein: Acht der Häuser des Straßenzuges sollen bald Geschichte sein. Schon im Jahr 2017 hatte die Stadt Selm angekündigt, die Gebäude mit den Hausnummern 68 bis 84 zu kaufen. Und dann abzureißen, um Platz für einen Supermarkt, eine Drogerie und einen Parkplatz zu schaffen.

Diese vier Häuser gehören zu denen, die die Stadt gekauft hat und abreißen möchte. © Günther Goldstein
Der Kauf ist längst geschehen - 4,2 Millionen hat das die Stadt gekostet. Der Drogeriemarkt dm und der Supermarkt Netto hatten zu Beginn des Jahres schon Interesse an den neue entstehenden Ladenlokalen angekündigt. Als Bauträger hat die Stadt Selm die in den Niederlanden sitzende Ten Brinke beauftragt, die auch schon ein paar Hundert Meter weiter auf der Fläche, wo vor Kurzem noch Aral und Autohaus standen, einen neuen Rewe und einen Aldi bauen.
Protest aus der Bevölkerung gab es gegen den Abriss nicht
Auch wenn der Abriss politisch nicht unumstritten war, hat es anders etwa als nach der Ankündigung des Abrisses der Lutherschule der Protest der Bevölkerung gegen die Entscheidung nicht eingestellt.
Zumindest Heinz Cymontkowski ist davon „irritiert“, wie er im Gespräch mit der Redaktion sagt. Die Kreisstraße hat eine besondere Bedeutung für Selm, sagt er - ein Blick in die lokalen Geschichtsbücher belegt das. Mit der Straße ist die Stadt eigentlich überhaupt erst zu einer solchen geworden.

Auch diese vier Häuser stehen auf der Abrissliste. © Günther Goldstein
Hintergrund ist die Bergbaugeschichte Selm: Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Zeche Hermann ihren Betrieb aufnahm, kamen immer mehr Einwohner in das davor eher ländlich geprägte Selm. Und es entstand dort, wo auch die Zechenbahn entlanglief, ein Stadtzentrum: die Kreisstraße. Dieses Zentrum hat die Geschichte der Zeche, die ja schon 1926 endete, überdauert. „Das war sozusagen die Kö von Selm“, sagt Heinz Cymontkowski, der in Selm aufgewachsen ist. Es gab dort viele eigentümergeführte Geschäfte - einen Foto- und einen Spielzeugladen zum Beispiel oder mehrere Metzger. Außerdem gab es ein Kino an der Kreisstraße, Gaststätten - ganz viel Leben.
Viel los ist immer noch an der Straße: Allerdings sind unten in den Ladenlokalen nun viele Leerstände. Der Heimatverein hat dort vorübergehend seinen Standort, die SPD-Parteizentrale ist in einem der Häuser, die abgerissen werden sollen, außerdem Imbisse wie Günes oder La Scala. Den Mietern der insgesamt 39 Wohnungen und zwölf Ladenlokale will die Stadt als neue Eigentümerin bis spätestens Ende 2021 kündigen, wie die Verwaltung im Februar erklärt hatte. Die Planungen für die Neubauten sind noch nicht abgeschlossen: ein Zeitplan steht noch nicht fest. „Es gibt dazu gerade noch keinen neuen Sachstand“, sagt auch Stadt-Sprecher Malte Woesmann.
Ist Denkmalschutz in Erwägung gezogen worden?
Heinz Cymontkowski - und vielleicht auch noch andere Menschen aus Selm - fragt sich dennoch, ob es nicht möglich gewesen wäre, die Gebäude zu erhalten. Und so ihre historische Bedeutung anzuerkennen. „Ich habe auch bei der Denkmalbehörde nachgefragt, warum die Häuser nicht unter Denkmalschutz gestellt werden“, sagt der Selmer Künstler, der sich auch gut mit der Stadtgeschichte auskennt.
Die Denkmalbehörde der Stadt bestätigt auf Anfrage der Redaktion, dass eine solche Anfrage vorliegt. Dass die Häuser allerdings unter Denkmalschutz gestellt werden könnten, ist sehr unwahrscheinlich.

Die aneinander gebauten Giebelhäuser haben das Stadtbild Selm geprägt. Bald sollen sie abgerissen werden. © Günther Goldstein
„1978 wurde eine Liste des zu schützenden Kulturgutes in der Stadt Selm vom Landeskonservator, Westfalen-Lippe, Münster aufgestellt. Auf dieser Grundlage wurde Anfang der 80er-Jahre die ,Vorläufige Denkmalschutzliste‘ und nach Prüfung der Objekte durch eine Denkmalkommission, die Denkmaliste der Stadt Selm erstellt“, erklärt die Behörde auf Anfrage der Redaktion.
Die betroffenen Häuser an der Kreisstraße standen nicht auf dieser Liste. Und auch danach habe es „keine weitere Überlegung für eine Unterschutzstellung der Häuser“ gegeben, so die Behörde in dem Schreiben an die Redaktion. „Nach heutigem Stand und Recherche sind die Gebäude stark verändert, insbesondere der untere Bereich ist völlig aufgerissen. Die Voraussetzungen für eine Unterschutzstellung liegen somit nicht vor“, heißt es dort weiter.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Laut Sven Klagge, Projektleiter bei Ten Brinke, seien die Gebäude extrem sanierungsbedürftig. Das hatte er im Februar gegenüber der Redaktion gesagt. Der Neubau könnte - so sah es in einem ersten Entwurf aus - aus zwei langen Gebäudekörpern bestehen. Der Plan ist noch nicht final - fest steht aber auf jeden Fall schon mal, dass sich die Kreisstraße weiter sehr verändern wird. Heinz Cymontkowski sieht das kritisch und fragt - auch mit Blick auf den Neubau ein Stück weiter Richtung Norden: „Sind denn jetzt die Aldis und die Rewes die Architekten unserer Stadt?“
Ich mag Geschichten. Lieber als die historischen und fiktionalen sind mir dabei noch die aktuellen und echten. Deshalb bin ich seit 2009 im Lokaljournalismus zu Hause.
