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Lena (35) und Jan (38) gehen zur Paarberaterin – weil die Impfdiskussion die Ehe gefährdet
„Mensch, wie glücklich bist du?“
Lena und Jan aus Schwerte streiten sich – weil innerhalb der Familie gegensätzliche Meinungen zum Thema Impfen herrschen. Inzwischen holen sie sich Hilfe bei einer Familienberaterin.
Was haben zwei Jahre Corona mit uns gemacht? Wie geht es uns damit? Empfinden wir noch Glück? Wie hat sich unser Leben verändert? An unserer Umfrage „Mensch, wie glücklich bist du?“ haben auch Schwerter Leserinnen und Leser teilgenommen. Und wir haben Menschen getroffen, die uns erzählen, wie sie die letzten zwei Jahre erlebt haben.
Wenn Lena (35) und Jan (38) sich streiten, liegt das daran, dass sie gerade Stress mit der Familie haben. Denn Lena ist sauer darüber, dass die Familie ihres Mannes sich nicht impfen lassen möchte.
Das Schwerter Ehepaar nimmt deshalb inzwischen die Hilfe von Paarberaterin Annette Feller (47) in Anspruch. Die Diplom-Sozialpädagogin hat schon viele Gespräche mit den beiden geführt. „Wichtig ist es, dass man miteinander redet“, sagt Feller.
Pure Harmonie, erzählt das Paar, habe in der Familie noch nie geherrscht. Seit zwei Jahren ist aber die Pandemie das große Streitthema. „Meine Schwiegereltern haben sich erst sehr spät impfen lassen“, sagt Lena. Jans Geschwister und deren Partner sind grundsätzlich gegen eine Impfung. Das sorgt für Zündstoff – und auch Lena und Jan streiten sich deshalb immer öfter.
„Anfangs war es nicht so schlimm“
Lena erinnert sich daran, wie die Streitigkeiten während der Familientreffen immer mehr zunahmen. „Anfangs war es nicht so schlimm, man hat sich halt über allgemeine Ängste und Unsicherheiten in der Pandemie unterhalten.“ Trotz unterschiedlicher Sichtweisen seien alle Beteiligten noch tolerant gewesen. „Es blieb alles in einem gewissen Rahmen.“
Dann werden die ersten Impfstoffe zugelassen, die Lena als Befreiung betrachtet. Sie sagt: „Sobald ich die Chance habe, lasse ich mich impfen.“ Jan reagiert zögerlich; er möchte lieber noch weitere Ergebnisse abwarten.
Vorwürfe nach der Impfung: „Bist du denn verrückt?“
Lena lässt sich so schnell es geht impfen – und kassiert Vorwürfe vonseiten der Familie. „Warum hast du dich impfen lassen, bist du denn verrückt?“ Der Druck und das Unverständnis seien sehr groß gewesen, erzählt sie auch in der Paarberatung. „Das Thema wurde immer emotionaler.“

In der Paarberatung in Schwerte kann man sich zusammen auf das Sofa setzen – wer lieber allein sitzt, nimmt im Sessel Platz. © Martina Niehaus
Streitigkeiten zwischen den beiden flammen auf. Lena wirft Jan vor, nicht zu ihr zu halten. Jan wirft Lena vor, sie sei zu empfindlich – und könne seine Familie ja sowieso nicht ausstehen. „Jeder muss selbst wissen, ob er sich impfen lassen soll“, sagt er. Oder: „Du weißt doch, wie die sind.“ Sie aber kann die ganzen Diskussionen und Rechtfertigungen kaum noch ertragen.
„Warum soll ich mich impfen lassen?“, fragt der 13-Jährige
Irgendwann lässt Jan sich auch impfen. Dann geraten die Kinder in den Mittelpunkt des Streits. Jan und Lena haben nämlich einen Sohn (13) und eine Tochter (9). „Lass die Kinder bloß nicht impfen“, heißt es gegenüber Lena.
Der 13-jährige Sohn ist wegen der vielen Diskussionen im Familienkreis stark verunsichert. „Warum soll ich mich impfen lassen?“, fragt er seine Mutter. Den Onkeln und Tanten gehe es doch schließlich auch ohne Impfung gut.
Und dann ist da noch die endlose Frage, wie man mit Familientreffen umgeht. Trifft man sich zu Weihnachten, wenn man weiß, dass mindestens sechs Personen ungeimpft sind? Jan sagt Lena, sie solle doch nicht immer alles kommentieren. Sie sorgt sich um die Kinder – und macht ihm deshalb Vorwürfe.
„Alle Treffen sind mit Bauchschmerzen verbunden“, sagt sie. Er wiederum weiß, dass er mit Argumenten nicht weiterkommt. Und nimmt den Ärger mit seiner Frau in Kauf – um des Friedens mit der Verwandtschaft willen.
Verunsicherung und Ängste sind oft der Grund für Streit
Inzwischen hat sich aber einiges geändert. Nicht zuletzt, weil Jan und Lena gelernt haben, dass der Grund für die meisten Streitereien in der allgemeinen Verunsicherung liegt. Und dass es bei Ängsten hilft, sich bei neutralen Quellen zu informieren. Sie machen einen Termin beim Kinderarzt aus, damit sich der Sohn dort beraten lassen kann. Dann soll er sich entscheiden.

Impfen oder doch nicht impfen? Diese Diskussion kann inzwischen ganze Familien zerreißen. Wichtig ist, weiter im Gespräch zu bleiben. © picture alliance/dpa
Vor allem wissen Lena und Jan, dass sie weiter miteinander reden müssen. Und auch Lena muss lernen, die Ansichten der Familie auszuhalten. „Man kann für Treffen gewisse Regeln abstecken“, erklärt Annette Feller. „Dass man sich draußen trifft, oder dass alle sich vorher testen lassen.“ Man könne immer Kompromisse finden, mit denen alle klarkommen.
Nicht alles muss man beim Familienessen ausdiskutieren
Auch könne man klären, welche Diskussionen besser außen vor bleiben, damit ein Treffen gelingt. „Wenn man weiß, dass Argumente nichts bringen, sollte man empfindliche Themen ausgerechnet beim Weihnachtsessen ausklammern“, sagt die Paar- und Familienberaterin. Das gelte dann allerdings für alle Seiten.

Annette Feller (47) hat schon viele Paare kennengelernt, die gerade in Pandemie-Zeiten Stress miteinander haben. „Oft spielen Ängste eine Rolle“, sagt sie. © Martina Niehaus
Und die Pandemie, in der sie seit zwei Jahren leben, hat Lena und Jan letztlich auch gute Dinge gebracht. Mehr Familienzeit zum Beispiel. Mehr Zeit für gemeinsame Spiele, für Kuscheln und Gespräche. „Ich war meinem Sohn noch nie so nahe“, sagt Jan. Für die Zukunft wünschen sich beide, dass man die Pandemie bald in den Griff bekommt. Und dass die Menschen bis dahin mehr zusammenhalten.
Lena und Jan haben eigentlich andere Namen. Sie möchten aber unerkannt bleiben – weil sie keinen weiteren Streit mit ihrer Familie riskieren wollen.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
