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Sarah Richter (36): „Meine Mama konnte nur noch den Kopf bewegen“
„Mensch, wie glücklich bist du?“
Die Pandemie trifft die Familie von Sarah Richter aus Schwerte zunächst wie viele andere Familien: mit Homeoffice und Homeschooling. Doch dann erkrankt die Mutter schwer – und wird zum Pflegefall.
Was haben zwei Jahre Corona mit uns gemacht? Wie geht es uns damit? Empfinden wir noch Glück? Wie hat sich unser Leben verändert? An unserer Umfrage „Mensch, wie glücklich bist du?“ haben auch Schwerter Leserinnen und Leser teilgenommen. Und wir haben Menschen getroffen, die uns erzählen, wie sie die letzten zwei Jahre erlebt haben.
Wenn Sarah Richter aus Schwerte an die vergangenen zwei Jahre zurückdenkt, dann denkt sie vor allem an die schwere Erkrankung ihrer Mutter. An eine Erkrankung, die mit Corona eigentlich erst mal so gar nichts zu tun hat. Die aber in Zeiten der Pandemie zu einer ganz besonderes Herausforderung für die Familie wurde.
Sarah Richter ist 36 Jahre alt, sie lebt mit ihrem kleinen Sohn Marlon (9) und ihrem Freund zusammen in Schwerte. Die Tochter ihres Freundes ist 13, auch sie verbringt jedes zweite Wochenende dort. Mitte Februar 2020 hat die Pandemie aus dem fernen China die kleine Patchwork-Familie in Schwerte noch gar nicht so wirklich erreicht.
Legionellen lösen eine Lungenentzündung aus
Mit ihrer damals 59-jährigen Mutter Brigitte Fricke telefoniert Sarah Richter jeden Tag. „Wir haben ein wirklich enges Verhältnis, das war schon immer so“, erzählt sie. Doch dann erkrankt Brigitte Fricke an Legionellen – an Erregern, die oft über Wasserleitungen übertragen werden.

Legionellen kommen unter anderem in Wasserleitungen vor. Brigitte Fricke aus Schwerte hatte sich mit dem Erreger infiziert - mit schlimmen Folgen. © picture alliance/dpa/dpa-tmn
„Mama hatte Fieber, und wir haben sie an einem Sonntagabend in die Notaufnahme gebracht“, erinnert sich die Schwerterin. Aus dem Knappschaftskrankenhaus in Brackel wird sie nur wenige Tage später wieder entlassen. „Es hieß, sie sei in einem guten Allgemeinzustand“, sagt Sarah Richter.
Doch später stellt sich heraus, dass die Keime eine schwere Lungenentzündung ausgelöst haben. Zusammen mit ihrem Bruder (31) bringt Sarah Richter ihre Mutter, die hohes Fieber hat, ins St.-Marien-Krankenhaus nach Lünen.
„Fahren Sie besser nicht. Es sieht nicht gut aus“
Wie bedrohlich die Situation ist, ist da noch niemandem aus der Familie klar. „Meine Mutter ist ja noch nicht alt, und sie war immer fit“, erzählt Sarah Richter. Eigentlich möchte sie gerade mit Marlon in eine Mutter-Kind-Kur an die Nordsee starten. „Dann kam ein Arzt und sagte mir: Fahren Sie besser nicht. Es sieht nicht gut aus.“
Die Infektion mit den Umweltkeimen ist so gravierend, dass die Ärzte Brigitte Fricke ins künstliche Koma versetzen. „Meine Mama war immer so ein lebensfroher Mensch, und plötzlich lag sie da. Mein Bruder und ich saßen an ihrem Bett und konnten nichts machen. Das war schon hart“, erinnert sich Sarah Richter.
Während dieser Zeit kommt die Corona-Pandemie in Deutschland an. Plötzlich gelten strenge Besuchsregeln. Sarah Richter und ihr Bruder dürfen ihre Mutter nicht mehr sehen. „Ich durfte nur noch den Beutel mit Sachen abgeben.“
Ein Seniorenheim kommt für die Kinder nicht in Frage
Dann wird Brigitte Fricke wieder wach. Und soll aus dem Krankenhaus entlassen werden. Doch vorübergehend ist sie zu einem völligen Pflegefall geworden. „Sie konnte nur noch den Kopf bewegen, mehr nicht“, erinnert sich Sarah Richter. Man rät der Schwerterin, ihre Mutter in einem Seniorenheim unterzubringen. „Das kam für mich nicht infrage“, sagt sie. „Dort hätte ich sie ja wegen Corona auch nicht besuchen können.“

Anfangs kommt eine Pflegekraft, um bei der Versorgung der Mama zu helfen. © picture alliance/dpa/dpa-tmn (Symbolbild)
Und so kommt es, dass die Familie die Situation selbst in die Hand nimmt. Ein Pflegebett und ein Rollstuhl kommen ins Wohnzimmer. Ein Pflegedienst kommt – und Sarah Richter und ihr Freund lernen, eine bettlägerige Patientin zu versorgen.
Schule, Job, Physiotherapie: Alles findet im Wohnzimmer statt
Gleichzeitig schließen die Schulen, und die Erwachsenen arbeiten im Homeoffice. „Alles fand im Wohnzimmer statt“, erinnert sich die Schwerterin. „Mein Sohn hat oft vor Omas Bett gespielt, er hat ihr zum Beispiel einen Parkplatz für den Rollstuhl abgeklebt“, erzählt sie und lacht. Ab und zu schieben sie und ihr Freund das Bett in den Wintergarten oder auf die Terrasse.
Eine Physiotherapeutin kommt ebenfalls. „Manchmal war es ganz schön voll bei uns im Wohnzimmer“, sagt Sarah Richter. Doch Schritt für Schritt geht es ihrer Mama besser. Sie lernt, sich wieder zu bewegen. Sie lernt das Laufen – anfangs mit dem Rollator. Inzwischen geht es auch wieder allein.

Zuerst mit dem Rollstuhl, dann mit dem Rollator: Allmählich lernt die Oma das Laufen wieder. Heute kann die Mutter von Sarah Richter wieder allein leben. © picture alliance/dpa/dpa-tmn
„Wir waren schon immer ein tolles Team“
Nach vier Monaten hat Brigitte Fricke sich wieder soweit erholt, dass sie in ihre eigene Wohnung zurück kann. „Du musst jetzt in den Urlaub“, sagt sie ihrer Tochter. Und Sarah Richter holt die lang ersehnte Mutter-Kind-Kur auf Langeoog nach.
Sarah Richter ist froh, dass sie sich damals entschieden hat, ihre inzwischen 61-jährige Mama zu Hause zu pflegen. „Es war wirklich eine harte Zeit. Aber mein Freund und die Kinder haben alles ganz toll mitgemacht“, erzählt sie.
Auch das Verhältnis zu ihrem Bruder sei durch die Krankheit der Mama viel enger geworden. Die beiden telefonieren inzwischen fast jeden Tag miteinander. Heute sagt die Schwerterin: „Unsere Familie war schon immer ein tolles Team.“
Aber die Krankheit – und die außergewöhnliche Situation in der Pandemie – habe alle noch mehr zusammengeschweißt.
Begegnungen mit interessanten Menschen und ganz nah dran sein an spannenden Geschichten: Das macht für mich Lokaljournalismus aus.
