Grundschüler Ben (10) über iPads „Bei Cookies hieß es: Immer zustimmen!“

Grundschüler Ben über iPads: „Bei Cookies hieß es: Immer zustimmen!“
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Die Digitalisierung an Schulen hat spätestens seit der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen. Die wegen der plötzlichen Schulschließungen erzwungene Umstellung auf Online-Unterricht und Videokonferenzen hat dabei nicht nur Vorteile mit sich gebracht.

Der aus Schwerte stammende und in Dortmund lebende Medienpädagoge Daniel Schlep ist grundsätzlich gegen das Arbeiten mit iPads im Schul-Unterricht. Kinder und Jugendliche seien dadurch ständig Ablenkung, Konsum und Datenabgriff ausgesetzt – und Lehrkräfte seien vielerorts nicht ausreichend geschult.

iPads in der Grundschule

In vorangegangenen Berichten haben wir einen ehemaligen Abiturienten und den Vater eines 13-Jährigen zu Wort kommen lassen. Beide haben die Digitalisierung kritisch reflektiert – während der junge Mann vom heimlichen Zalando-Shopping während des Unterrichts erzählte, hat sich der Vater gesorgt, dass sein Sohn durch die ständige Tablet-Nutzung mediensüchtig geworden sei.

Zuletzt haben wir mit Ben* (10) gesprochen. Der ehemalige Grundschüler aus Dortmund hat mit uns über seine Eindrücke zum Thema Digitalisierung gesprochen. Daniel Schlep hat die Aussagen des Schülers nach einem längeren Interview eingeordnet.

Ben, welche Dinge hast du im Unterricht denn so mitbekommen?

Ben: „Zuerst fand ich das mit den Passwörtern komisch. Ich weiß, was Passwörter sind. Und dass sie möglichst kompliziert sein sollten, mit Zahlen und Sonderzeichen. Und eigentlich sollten sie ja auch so eingegeben werden, dass man nicht alles sieht. Unsere Lehrerin hat ihr Passwort aber immer so eingegeben, dass wir die Tastatur auf der großen Digitaltafel genau sehen konnten. Dann stand da zum Beispiel für den Nutzer: Schule, und beim Passwort: Schule1. Das war kein schwieriges Passwort, finde ich.“ [Anm. d. Red.: Das Passwort wurde für diesen Artikel geändert]

Auf der Digitaltafel sieht man so einiges, daran hat die Lehrerin sicher nicht gedacht.

Ben: „Vielleicht war es ihr auch egal. Wenn andere Lehrer sich eingewählt haben, ist beim Kappen der Verbindung dann immer Werbung aufgetaucht, mit Figuren von Spielen und so. Man müsste nur ein Abo kaufen, für 4,99 Euro im Monat.“

Daniel Schlep: „Dies war scheinbar eine Apple-Arcade-Werbung, verursacht durch die Verbindung von iPads und Apple TV. Warum merkt dies keine Person der Stadt bei der Einrichtung? Inzwischen realisieren aber auch Pädagogen gar nicht mehr, an wie vielen Stellen man schon kleinen Kindern Werbung zeigt, zum Beispiel in YouTube. Und das an der Grundschule! Vor 20 Jahren wären so manche Eltern buchstäblich ausgerastet. Aber heute merken es viele selbst nicht mehr, oder es ist ihnen egal. Weil man es ja gewohnt ist.“

Habt ihr auch nach Inhalten im Internet gesucht, Ben?

Ben: „Ja, wir mussten oft was suchen. Da kam dann immer sofort Google.“

Das ist ja auch die bekannteste Suchmaschine.

Ben: „Ja, aber ich habe zusammen mit meiner Nachbarin auch mal eine andere Suchmaschine ausprobieren wollen. Die heißt MetaGer. Wir wurden aber immer aufgefordert, über Google zu suchen. Darüber habe ich mich aufgeregt, es ist mir total auf den Keks gegangen. Wir sind dann über Google auf irgendwelche Seiten gegangen.“

Und auf den Seiten hast du dann die Sachen gefunden, nach denen du gesucht hast?

Ben: „Ja, aber da kamen dann diese Datenschutzabfragen. Unsere Lehrerin sagte immer, wir sollten auf ‚zustimmen‘ klicken oder auf ‚Cookies zulassen‘. Sie hat uns nicht erklärt, warum wir das machen müssen. Na ja, damit sich die Seite für uns öffnet, hat sie gesagt.“

Daniel Schlep: „Grundschulkinder erhalten meist keinerlei Infos oder Sensibilisierung bezüglich Datenschutz und sollen diesen dann aber selbst verwalten. Dies ist im Grundschulalter absolut nicht passend. Es gibt auch Altersbeschränkungen für die eigenständige Annahme von Cookies.“

Diese oder ähnliche Aufforderungen tauchen aber inzwischen auf fast jeder Seite auf.

Ben: „Ja, einmal kam dann auch eine Aufforderung. Da sollten wir zustimmen, und es hieß, dann müsste man irgendeine Summe im Monat zahlen. Meine Banknachbarin und ich wussten nicht, was wir machen sollten.“

Warum habt ihr eure Lehrerin nicht gefragt?

Ben: „Die war gar nicht im Klassenraum, sie war gerade ins Lehrerzimmer gegangen. Wir durften in der Zeit allein im Internet suchen.“

Daniel Schlep: „Es geht nicht, dass die Kinder in dem Moment mit ihrer Verunsicherung allein sind. Schule sollte ein geschützter Raum sein – und auf einmal geht es da ums Geld. Und die Kinder sind online ohne Aufsicht auf irgendwelchen Seiten unterwegs.“

Daniel Schlep, Medienpädagoge
Daniel Schlep zeigt immer wieder auf, an welchen Stellen es mit der Digitalisierung an Schulen noch hapert. © Martina Niehaus

Was kann man denn dagegen machen? Lehrerinnen und Lehrer müssen im Alltag öfter mal den Klassenraum verlassen.

Daniel Schlep: „Man kann in Netzwerken, Systemen und Browsern viel justieren, bis hin zum kompletten Abblocken bestimmter Zugriffe und Abgriffe. Grundschullehrkräfte sollten bei der Internetnutzung aber auf jeden Fall im Raum sein und die Seiten teilweise auch vorselektieren. Immer vorausgesetzt, sie wissen, was sie da tun.“

Und an Bens Schule war es nicht so?

Ben: „Zumindest unser Englischlehrer wusste selbst nicht, was Cookies sind. Er hat sich gewundert, warum er die Seite nicht öffnen kann, weil er die Cookies nicht gesehen hat. Und alle schrien: ‚Sie müssen nur da unten auf ‚zustimmen‘ klicken!‘“

Daniel Schlep: „So sind die meisten Kinder leider von zu Hause aus trainiert. Eltern wissen über die Hintergründe oftmals genauso wenig wie die Kinder. Dabei geht es nicht um trockene Gesetze, sondern um die tatsächlichen Auswirkungen der versteckten Datensammelei.“

Tablet in der Schule
Eine siebenjährige Erstklässlerin sitzt vor einem iPad. Medienpädagoge Daniel Schlep sagt: „Kinder müssen schon in diesem Alter in Sachen Datenschutz sensibilisiert werden.“ © picture alliance/dpa

Das System schickt aber auch Warnungen, wenn es mal kritisch wird.

Ben: „Ja, das hatten wir auch mal. Wir sollten auf eine Seite gehen, und ein Freund von mir hatte in der Suche einen Wortdreher. Da blitzte dann eine Warnung auf, dass die Seite unsicher ist. Als er die Lehrerin gefragt hat, sagte sie: Nein, du kannst ruhig da draufgehen, die Seite ist definitiv sicher. Sie meinte ja die Seite, die sie uns gesagt hatte. Aber mein Freund war ganz woanders gelandet.“

Daniel Schlep: „Ein Klassiker in allen Schulformen. Kinder melden eine Sicherheitswarnung, und das Lehrpersonal sagt einfach, alles sei sicher. Diese Medienerziehung ist gefährlich. Lehrkräfte haben einen Vorbildcharakter. Da können sie den Kindern nicht sagen: ‚Die Ampel ist zwar rot, aber lauft ruhig los.‘“

Aber irgendwann ist auch die digitale Schulstunde zu Ende…

Ben: „Ja, dann klappen immer alle Kinder die iPads der Schule einfach zu. Ich hab eigentlich gelernt, dass man sich dann abmelden sollte.“

Daniel Schlep: „Kinder müssten sich nach jeder Nutzung mit persönlichen Accounts auf den Geräten der Schule abmelden. Aber dies wird nicht erklärt. Das Tablet wird zugeklappt wie ein Buch. Im Hintergrund bleibt der Account zumindest eine Zeit lang aktiv. Das ist IT-sicherheitstechnisch gefährlich und medienpädagogisch absoluter Mist. Also: man meldet sich immer ab. Immer.“

*Ben hat eigentlich einen anderen Namen. Sein Name und der Name seiner Grundschule sind der Redaktion aber bekannt.

  • Daniel Schlep ist Medienpädagoge. Sein Ziel ist es, Kompetenz, Kreativität und Kritikfähigkeit im Umgang mit Medien zu schaffen.
  • Schlep hat über viele Jahre Gespräche mit Menschen über Medien geführt. In seinem Gesprächskonzept „Menschen über Medien“ möchte er ihnen mit ihren Fragen, ihren Ängsten und ihrer Kritik eine Stimme geben – auch anonym.
  • Die fortschreitende Digitalisierung werde, so Schlep, oftmals von offiziellen Stellen naiv und unreflektiert behandelt. Viele Menschen würden sich gern äußern, sähen sich allerdings dem Druck des Mainstreams ausgesetzt.
  • Der Titel „Menschen über Medien“ zeigt auf, dass Menschen über Medien sprechen und zeitgleich generell über Medien stehen sollten.
  • Zu erreichen ist er unter info@danielschlep.de, Infos gibt es auch auf seiner Internetseite unter www.danielschlep.de

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