Digitalisierung an Schulen – die läuft meistens über iPads. Doch nicht alle Lehrkräfte kennen sich mit den Geräten gut genug aus, wie Medienpädagoge Daniel Schlep aus Schwerte anmerkt. Kritisch wird es, wenn sich Schülerinnen und Schüler besser auskennen als ihre Lehrer. Alexander (19)* hat sein Abi an einer Dortmunder Schule gemacht. Er hat uns erzählt, wie man mithilfe des iPads bei Klassenarbeiten schummelt – und wie das heimliche „Käsekästchen“-Spiel in digitaler Form aussehen kann.
Der ehemalige Abiturient hat seit dem Schuljahr 2018/19 mit dem iPad gearbeitet. „Wir haben die damals noch selber bezahlt.“ Zuschüsse für einkommensschwache Familien habe es bei den Geräten zwar gegeben. Doch nur mit dem iPad ist es ja nicht getan: „Eine Hülle, die Tastatur und den Stift habe ich mir auch selbst besorgt.“
Als Schülervertreter habe Alexander in Schulkonferenzen die Diskussionen rund ums Thema Digitalisierung mitbekommen. Ein Lehrer, der sich im Bereich IT auskenne, habe dem Kollegium und den Schülern beim Installieren der Geräte geholfen.
„Er hat uns erzählt, dass er sich genau anschauen konnte, welche Apps bei wem wie oft auf den Geräten installiert worden sind“, sagt Alex. Weil die Jugendlichen damals die iPads selbst gekauft hatten, war es vonseiten der Schule erlaubt, sie auch privat zu nutzen.
Ein Punkt, den der Medienpädagoge Daniel Schlep stark kritisiert. Er sagt, dass iPads, die gleichzeitig privat genutzt werden können, grundsätzlich in Schulen nichts zu suchen haben. „Nur mal theoretisch angenommen, ein Schüler hat sich privat irgendwelche Dinge heruntergeladen – zum Beispiel Spiele, Einkaufs-Apps oder vielleicht auch pornografische Inhalte – und die Lehrerin oder der Lehrer sehen das. Die machen sich doch direkt ein bestimmtes Bild von den Jugendlichen.“
Alex selbst findet ebenfalls, dass das nicht sein müsse. „Ich habe superviele Spiele auf meinem iPad. Mich persönlich stört es nicht, dass meine Lehrer das sehen können, aber andere wollen das vielleicht nicht“, räumt Alex ein.

Doch erst einmal stehen Lehrkräfte vor der Herausforderung, überhaupt mit der Technik im Klassenraum klarzukommen. „An unserer Schule gab es Schulungen, aber mehr schlecht als recht“, erinnert sich der ehemalige Abiturient. Anfangs sei es dann auch sehr zeitaufwändig gewesen, die Classroom-App einzurichten. „Manche der Schüler waren ein Jahr lang in der falschen Klasse oder es hieß, sie seien nicht verfügbar“, sagt Alexander. „Das hat immer sehr lange gedauert und hat uns viel Zeit gekostet.“
Shoppen und Serien im Unterricht
Im Unterricht selbst, gibt der ehemalige Schüler zu, verführe das iPad auch. „Wir haben teilweise in der ersten Reihe gesessen, der Lehrerin ins Gesicht gesehen und trotzdem heimlich Netflix-Serien geguckt“, sagt er und grinst. „Mit Untertitel natürlich.“
Bei den Mädchen sei es ein beliebtes Spiel gewesen, während des Unterrichts zu shoppen. „Schließlich kann man ja online bei Zalando oder Amazon bestellen, das haben die regelmäßig gemacht“, sagt Alex.
Jetzt könnte man argumentieren, dass dabei wenigstens keine Bücher vollgekritzelt werden, wie gelangweilte Schüler das vor iPad-Zeiten getan haben. Das Argument, dass früher während des Schulunterrichts auch Quatsch gemacht wurde, lässt Daniel Schlep allerdings nicht gelten. „Serien, Spiele oder Shopping während des Unterrichts – das ist schon ein ganz anderes Ablenkungs-Kaliber als Käsekästchen.“

Das Schummeln bei Klassenarbeiten hat mit iPads ebenfalls eine andere Größenordnung angenommen. „Während einer Klassenarbeit ist es so, dass man sozusagen von der Lehrkraft in einem bestimmten Schreibprogramm ,eingesperrt‘ ist“, erklärt Alexander. Er meint die manuellen Einstellungen, die vom Lehrer vor der Klassenarbeit so eingerichtet werden, dass sich das iPad zum Beispiel während einer Matheklausur nur als Taschenrechner nutzen lässt.
„Das haben aber manche Lehrer vergessen oder nie gemacht“, sagt Alexander. Die Folge: Chats und Internet-Recherchen während der Arbeit waren kein Problem. „Manche haben die Lösungen der Aufgaben dann an alle anderen Schüler geschickt. Das war nett. Es wurde nur peinlich, wenn die falsch waren“, erzählt Alexander und lacht.
Der Medienpädagoge bringt dazu einen Vergleich ins Gespräch: „Früher war es eine Kunst, einen Spickzettel zu beschriften und am Lehrer vorbei dem Nachbarn zuzuschieben“, sagt Daniel Schlep. „Heute geht das Schummeln per Knopfdruck, der mal eben die ganze Klasse erreicht.“
Und Schlep bemerkt generell: „Wichtig ist festzuhalten, dass all diese Probleme auch mit anderen Geräten und Systemen möglich wären. Speziell bezüglich der iPads behaupten aber sehr viele Menschen, diese seien perfekt für die Schule geeignet und es gäbe keine Probleme.“

Alexander sagt jedoch, dass die Digitalisierung auch gute Seiten habe. „Das Rechnen mit dem iPad war sehr angenehm. Das Matheprogramm hat gut funktioniert, und die Lehrer haben uns das gut erklärt.“
Auf dem iPad könne man, besser als auf dem Taschenrechner, mehrere Rechnungen übereinander bearbeiten und behalte so einen besseren Überblick. Hier gibt Daniel Schlep zu: „Die Digitalisierung hat definitiv ihre Vorteile.“ Trotzdem glaubt er, dass es besser sei, zum Rechnen ein Gerät zu verwenden, hinter dem kein Anbieter mit Account-Zwang, Datenabgriff und langfristiger Abhängigkeit für die Schulen stecke.
Schwammige Grenze
Ein Nachteil, den Alexander erst nach seinem Schulabschluss erfahren hat, zeigt, wie undefiniert und schwammig die Grenze zwischen schulischer und privater Nutzung ist.
„Als wir die iPads bekamen, waren sie durch die Stadt Dortmund betreut. Es hieß, nach Ende unserer Schullaufbahn müssen wir das iPad nur zurücksetzen, dann ist es genullt und kann ausschließlich privat genutzt werden.“
Das hat Alexander bereits mehrmals versucht. Doch geschafft hat er es bisher noch nicht. Wenn er das iPad nach dem Reset wieder einschaltet, erscheint folgende Anzeige: „Dieses iPad wird von Stadt Dortmund, Medienzentrum betreut und verwaltet.“
*Alexander hat einen anderen Namen. Er wollte aber nicht erkannt werden. Sein Name und auch der Name seiner Schule sind der Redaktion aber bekannt.
Gesprächskonzept „Menschen über Medien“
- Daniel Schlep ist Medienpädagoge und Medienhistoriker. Sein Ziel ist es, Kompetenz, Kreativität und Kritikfähigkeit im Umgang mit Medien zu schaffen. Dazu war er bereits mit einer Vielzahl von Organisationen, Magazinen, Verwaltungen und Schulen in ganz Deutschland aktiv.
- Schlep hat über viele Jahre Gespräche mit Menschen über Medien geführt. In seinem Gesprächskonzept „Menschen über Medien“ möchte er ihnen mit ihren Fragen, ihren Ängsten und ihrer Kritik eine Stimme geben – auch anonym.
- Die fortschreitende Digitalisierung werde, so Schlep, oftmals von offiziellen Stellen naiv und unreflektiert behandelt. Viele Menschen würden sich gern äußern, sähen sich allerdings dem Druck des Mainstreams ausgesetzt.
- Der Titel „Menschen über Medien“ zeigt auf, dass Menschen über Medien sprechen und zeitgleich generell über Medien stehen sollten.
- Zu erreichen ist er unter info@danielschlep.de, Infos gibt es auch auf seiner Internetseite unter www.danielschlep.de.
Medienpädagoge zur Digitalisierung an Schulen: Wie Fußball ohne Regeln?
Psychotherapeut zur Angst vor Neuanfängen: „Männer sind wie Peter Pan, Frauen wie Cinderella“
Busfahrer hat Kinder als „Wichser“ beleidigt: Bahn: „Wir sind mit Verhalten nicht zufrieden“