Fußball aus Sicht eines Schwerter Schiedsrichters
Neue Serie: Perspektivwechsel
Fußball ist ein einfaches Spiel. 90 Minuten, 22 Spieler, ein Ball und nur ein Ziel: Tore schießen. Doch was macht eigentlich der Schiedsrichter in dieser Zeit? Wir haben den Schwerter Dennis Heinings bei einem Spieltag begleitet. Was er alles erlebt hat, ist in der Fotostrecke zu sehen.

Dennis Heinings ist Schiedsrichter. Aus seiner Perspektive sieht Fußball mal ganz anders aus.
Die ersten Spieler laufen sich bereits warm, als Dennis Heinings den Platz betritt. Er ist Schiedsrichter. Rund 60 Partien hat er bereits geleitet. Heute steht im EWG-Sportpark die Kreisliga-Begegnung zwischen Holzpfosten Schwerte II und dem SF Oestrich an. Während die Holzpfosten sicher im Mittelfeld stehen, ist Oestrich nur sechs Punkte von den Abstiegsrängen entfernt. Ein Indiz dafür, dass es ruppig auf dem Kunstrasen werden könnte.
„Ich schaue vor der Begegnung immer auf die Tabelle. Wenn der Zweite gegen den Dritten spielt, kann ich mehr durchgehen lassen. Da wollen beide Fußball spielen. Bei einem Spiel wie heute steige ich meistens kleinlich ein, um dann zu schauen, wie es sich entwickelt“, erklärt Heinings.
Mit 15 Jahren schon Schiri
Vier Samstage, zwei Zusatztermine und ein Regel-Test waren nötig, damit Heinings an die Pfeife durfte. Mit 15 legte er die Prüfung ab. Danach pfiff er drei Jahre Jugendspiele. Seit der vergangenen Saison leitet er auch Spiele von Senioren-Mannschaften.
Vor den Kabinen angekommen geht es zunächst in einen kleinen Raum. Ein mit Staub bedeckter Schreibtisch hütet dort einen alten Rechner und einen Drucker. Holzpfosten-Trainer Philip Laufer druckt gerade die Mannschaftsaufstellungen aus. Damit geht der 19-jährige Schiedsrichter in seine Kabine und bereitet sich vor. Er holt eine kleine Plastiktüte aus seiner Tasche. Zwei Pfeifen, zwei Stifte, eine Plastikmünze – auf der einen Seite rot, die andere schwarz – und drei Karten sind darin. Eine gelbe, eine rote sowie eine dritte Karte für Notizen. „Da trage ich die Nummern der Spieler ein, notiere Gelbe und Rote Karten und die Tore. Die Daten muss ich später auch beim DFB angeben“, sagt Heinings.
Gelb an der Brust, Rot am Gesäß
Danach zieht er sich um. Drei Trikotsätze befinden sich in seiner Tasche: ein schwarzer, ein blauer und ein gelber. Die Mannschaften laufen heute in Rot und Weiß auf. Heinings entscheidet sich für das schwarze Outfit. Die Gelbe Karte sowie die Spielkarte verstaut er mit den beiden Kugelschreibern in der Brusttasche seines Oberteils. Pfeife und Münze kommen in die Hosentaschen. Die Rote Karte verschwindet in der Gesäßtasche. „Irgendwie macht man das einfach so, auch in der Bundesliga. Sobald ich dorthin greife, weiß dann auch jeder, was kommt“, sagt der Schiedsrichter.
Heinings verlässt seinen Raum und geht zur Umkleidekabine der Holzpfosten. Die Passkontrolle steht an. Ein Betreuer liest die Namen der Spieler sowie ihre Passnummern vor. Heinings kontrolliert die Passbilder sowie die Trikotnummern. Nachdem alle Spieler dran waren, wünscht er allen Beteiligten ein gutes Spiel. Das Prozedere wiederholt sich in der Nebenkabine. Danach schreitet Heinings auf den Platz. Während aus den kleinen Kabinen letzte Anfeuerungs-Rufe der Spieler zu hören sind, legt der Schiedsrichter den Ball in die Mitte des Kunstrasens. Dann folgen die Teams.
"Es macht wirklich Spaß"
Die Kapitäne stellen sich zu Heinings in den Mittelkreis. „Die Mannschaft, die den Münzwurf gewinnt, hat Seitenwahl. Der Gegner Anstoß.“ Heinings wirft die Münze in die Luft. Im Glanz der Sonne dreht sie sich, ehe sie auf der roten Seite liegenbleibt. Oestrich hat Seitenwahl. Schwerte stößt an. Der 19-Jährige blickt auf seine Uhr. Dann lässt er die Pfeife ertönen. Das Spiel beginnt.
Für Heinings ist jedes Spiel immer noch ein Perspektivwechsel. Lange Zeit hat er selbst auf dem Platz gestanden. Er kennt die kleinen und großen Tricks der Spieler genau – und fühlt sich deshalb auch wohl auf der anderen Seite. „Am Anfang wollte ich einfach nur mal die andere Sicht haben. Jetzt möchte ich nicht mehr tauschen. Es macht wirklich Spaß. Am meisten, wenn man kaum pfeifen muss und ein Spiel einfach läuft“, sagt Heinings.
Bloß nicht bequatschen lassen
Genau so ein Spiel sieht der Schiedsrichter zunächst. Heinings muss lediglich wegen kleinerer Rempler unterbrechen, zeigt an, wer gerade Einwurf hat, und immer mal wieder mit der flachen Hand in Richtung Fünf-Meter-Raum, wenn ein Spieler den Ball am Tor vorbeischießt. Abstoß bedeutet das Handzeichen. Nach 14 Minuten wird es dann das erste Mal unruhig. Ein langer Ball fliegt in Richtung des Oestricher Strafraums. Torwart Dominic Storkmann läuft aus seinem Sechzehner und klärt per Kopf. Tobias Probst sprintet dazwischen, nimmt den Ball mit der Brust und lupft ihn in das Oestricher Tor. 1:0 für die Schwerter Mannschaft. Heinings steht in diesem Moment schräg hinter dem Schwerter, beobachtet die Situation genau. Deshalb lässt er sich von den zahlreichen Handrufen der Oestricher nicht beirren. Das Tor zählt. „Man muss zu seinen Entscheidungen stehen. Lässt du dich zu etwas anderem überreden, verlierst du den Respekt und das Spiel kann ganz schnell kippen“, sagt er.
Der Schiedsrichter kennt die Situation. In einem Kreisliga-Spiel, bei dem der Letzte gegen den Zweiten spielte, hätte Heinings Rot zeigen müssen. „Da hab ich mich irgendwie bequatschen lassen.“ Danach verlor er das Spiel. Immer mehr Hektik kam auf. Am Ende zeigte Heinings doch noch Rot, wegen Beleidigung. „Da war ich einfach nur froh, als Schluss war. Bin dann sofort weg“, erklärt er. Körperlich sei er aber noch nie angegangen worden.
Der Treffer zählt
Der junge Schiedsrichter profitiert sicherlich auch von seiner körperlichen Präsenz. Mit 1,90 Meter und breiter Statur überragt er die meisten Spieler auf dem Feld. Auch seine Torentscheidung am Sonntag wird schnell akzeptiert. Heinings zeigt Richtung Mittellinie. Danach zückt er seine Karte. Notiert Spielernummer und die Minute. Als sich alle Spieler wieder in ihrer Hälfte befinden, pfeift er. Es geht weiter. Dabei verliert der junge Schwerter nie den Ball aus den Augen, positioniert sich immer in Nähe des Spielgeschehens. Bei Kontern oder langen Bällen setzt auch der Schiedsrichter immer wieder zu Sprints an.
In der 22. Minute dann der nächste Pfiff – und die nächste schwierige Situation. Freistoß kurz vor der Strafraumgrenze der Oestricher. Nach neun langen Schritten zeigt der Schiedsrichter den Spielern in der Mauer an, welchen Abstand sie zum ruhenden Ball einhalten müssen. Dann positioniert er sich seitlich neben dem Strafraum, auf Höhe der letzten Abwehrspieler. Der Ball fliegt über die Mauer. Abpraller vom Torwart. Wieder drin. Doch Heinings hatte vorher abgepfiffen. Der Schütze stand im Abseits. Auch diese Entscheidung wird sofort akzeptiert. Zehn Minuten später fällt der Ausgleich. Und wieder ist Heinings gefragt. Denn bevor Oestrichs Dominic Meckel einschiebt, kommt ein Schwerter im Mittelfeld zu Fall. Ein Pfiff bleibt aus. Die Holzpfosten wollen ein Foul gesehen haben. Nach kurzem Protest zeigt Heinings zur Mitte. Der Treffer zählt. Kurze Zeit später ist Halbzeit.
23 Euro pro Spiel
Dennis Heinings nimmt den Ball und geht in seine Kabine. Er legt ihn auf den Tisch, schaut kurz auf sein Handy. Dann heißt es warten. „Zehn Minuten muss man den Spielern auf jeden Fall geben. Vor allem auch dem Trainer. Ich bin selbst Jugendtrainer und weiß, dass es in der Halbzeit viel zu besprechen gibt“, erklärt er.
Kurze Zeit später verlässt er seinen kleinen Raum und pfeift einmal laut. Die Spieler kommen wieder auf den Platz. Die zweite Halbzeit ist körperbetonter. Viele kleine Fouls sorgen für Spielunterbrechungen. In der 75. Minute muss Heinings dann an seine hintere Hosentasche fassen. Ampelkarte für Musa Öznarcicegi. Das zweite gröbere Foul fordert die zweite Gelbe Karte – und damit Gelb-Rot. Am Ende haben die Holzpfosten den längeren Atem und schießen sich in der 80. Minute zum Sieg. Nach drei Minuten Nachspielzeit pfeift Heinings ab. Nach zahlreichen Shakehands und einem kurzen Gespräch mit Holzpfosten-Trainer Laufer, der sich kurz versichert, ob er nicht zu laut war, geht es noch mal an den eingestaubten Rechner. Der Schiedsrichter trägt alle Daten ein. Danach bekommt er noch Geld. 23 Euro Aufwandsentschädigung gibt es für ein Kreisliga-Spiel.
Heinings zieht sich um, packt seine kleine Plastiktüte und verlässt den Sportpark, während in den Reihen der Holzpfosten-Spieler die ersten Sieger-Biere geöffnet werden. Bis zum nächsten Sonntag ruht seine Pfeife. Und auch dann hofft Heinings wieder auf ein Spiel, das einfach so läuft.