
Mit ihrem Trödelmarkt an der Pannekaukenfrau gehört Ester Maria Grulke einfach zum Stadtbild dazu. Kaum einer weiß, dass sie ursprünglich aus Argentinien stammt. © Reinhard Schmitz
Die „Frau vom Trödelstand“: Ester Maria Grulke aus Schwerte hat zwei Heimaten
Louisa-Verein
Sie ist eine echte Schwerterin. Aber sie hat zwei Heimaten. Vor 40 Jahren kam Ester Maria Grulke aus Argentinien nach Deutschland. Am Samstag baut sie in der City ein riesiges Trödelparadies auf.
Sie gehört zum Stadtbild dazu wie die Viktorkirche und der Rathausbrunnen. Eigentlich jeder, der samstags und mittwochs von der Fußgängerzone zum Wochenmarkt schlendert, kommt an ihren Bücherkisten und ihrem Tapetentisch voller Porzellan, Haushaltsgeräten und CDs vorbei. Viele bleiben stehen bei den Trödel-Schätzen, die Ester Maria Grulke zugunsten von Straßenkindern in Argentinien feilbietet. Bei Wind und Wetter baut sie ihren kleinen Markt rund um das Pannekaukenfrau-Denkmal an der Ostenstraße auf.
„Ich habe zwei Heimaten“
Man möchte meinen, die freundliche Verkäuferin mit dem Hut habe schon immer dort am Ende der Fußgängerzone gestanden. Sie ist eine echte Schwerterin, obwohl sie auch eine echte Argentinierin ist. Was nur wenige wissen: Vor 40 Jahren brachte der Flieger Ester Maria Grulke nach Deutschland. „Ich habe zwei Heimaten“, sagt sie heute.

Beim regelmäßigen Trödelverkauf zugunsten einer Kindertagesstätte in Argentinien kann Ester Maria Grulke (r.) stets auf die zuverlässige Unterstützung von Monika Mündelein (l.) bauen. © Reinhard Schmitz
Es war die Heimat ihrer Eltern, die die knapp 30-Jährige damals kennenlernen wollte. Beide waren vor dem Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1936/37 nach Südamerika ausgewandert. Der aus Lodz stammende Vater landete zunächst in Paraguay, die Mutter im Schulkindalter mit ihrer Familie in Argentinien.
Dort machte das Schicksal die beiden später zu einem Paar, schenkte ihnen am 4. Dezember 1952 Tochter Ester Maria. Immer wieder hörte das Mädchen am Tisch mit an, wie die Eltern sehnsüchtig von ihrer verlorenen Heimat erzählten: „Wie sie dort gelebt hatten, welche Häuser es dort gab, von der Verwandtschaft in Duisburg.“
Es sollten nur drei Monate Sightseeing in Deutschland werden
Mit den Jahren wuchs der Wunsch, das alles einmal mit eigenen Augen zu sehen. Wenn sie in ihrem Reisebüro-Job Feierabend hatte, packte Ester Maria Grulke zu Hause die Sticknadeln und den hölzernen Einspannrahmen aus. In Heimarbeit stickte sie Namenszüge auf Restaurantschürzen und Arztkittel, um die knapp 600 Dollar für das Flugticket zusammenzusparen.
Weitere 50 Dollar steckte sie in die Tasche, als sie im Juni 1982 – damals bekriegten sich England und Argentinien um die unbedeutenden Falklandinseln – in eine Maschine nach Deutschland kletterte. Es sollten drei Monate werden.

Die Freude war groß: Schulmaterial für 38 Kinder aus 17 Familien konnte der Hilfsverein Louisa noch kürzlich in seiner Tagesstätte im argentinischen Garupa verteilen. © Ester Maria Grulke
Doch es kam alles ganz anders. „Der Liebe wegen bin ich dann hier geblieben“, berichtet Ester Maria Grulke, die zunächst bei einer Familie in Hanau unterkam. Sie sprach nur Spanisch, die Gastgeber konnten nur Deutsch: „Ich immer mit meinem Wörterbuch.“ Beim Job in der Küche eines Hotel-Restaurants waren die fehlenden Sprachkenntnisse aber kein Hindernis: „In der Spüle brauchte man kein Deutsch.“
Als Dankeschön am Samstag ein Riesentrödel für die Tafel
Später lebte Ester Maria Grulke in Unna, bevor sie 1986 nach Schwerte kam. So lange ist sie tatsächlich schon in der Ruhrstadt, wo viele sie ab 1988 als Verkäuferin im Eiscafé Dolomiti am Markt kennenlernten. Bei Besuchen bei den Eltern konnte sie dem Schicksal der Straßenkinder nicht länger zusehen: „Die Kinder klopften ans Fenster und haben nach Essen gefragt.“ Es sprach sie herum, wo man etwas bekam.
„Als irgendwann 160 Kinder und Erwachsene kamen, wusste ich, dass ich das nicht mehr alleine schaffen kann und habe den Verein Louisa gegründet.“ Der betreibt eine Kindertagesstätte in Garupa im Norden von Argentinien. Um diese Arbeit zu finanzieren, wurde vor 16 Jahren die Idee des Trödelmarkts geboren, der aus der Innenstadt nicht mehr wegzudenken ist.
„In all den Jahren, die ich hier bin, habe ich mich nie als Fremder gespürt“, sagt Ester Maria Grulke: „Ich habe mich immer gut angenommen gefühlt die ganzen 40 Jahre.“ Um etwas von diesem Glücksgefühl zurückzugeben, baut sie am Samstag (2.7.) von 10 bis 14 Uhr ein riesiges Trödelparadies auf, das nicht nur an der Pannekaukenfrau, sondern auch auf dem Cavaplatz zum Stöbern einlädt. Die Einnahmen und Spenden von diesem Tag möchte sie an die Schwerter Tafel weitergeben.
Reinhard Schmitz, in Schwerte geboren, schrieb und fotografierte schon während des Studiums für die Ruhr Nachrichten. Seit 1991 ist er als Redakteur in seiner Heimatstadt im Einsatz und begeistert, dass es dort immer noch Neues zu entdecken gibt.
