
© Stephanie Tatenhorst
Venneker-Hilfstransport: Spendenbereitschaft der Nordkirchener ist beispiellos
Krieg in der Ukraine
Mit einer unbeschreiblichen Hilfsbereitschaft sind derzeit alle konfrontiert, die Spenden für Menschen in und aus der Ukraine sammeln. Die spontane Aktion der Firma Venneker mobilisierte Massen.
Keine Termine im Kalender, stellte Petra Venneker am Dienstagmorgen fest. Somit hatte sie Zeit für humanitäre Hilfe. Was daraus aber werden sollte, überraschte sie selbst. Am Mittwochmorgen (2.3.) konnte Petra Venneker noch immer nicht fassen, was sich in den 24 Stunden zuvor abgespielt hatte.
Um 9 Uhr am Dienstagmorgen kam ein Anruf aus Polen - und die Schilderungen des Betriebsleiters von Venneker Polska ließen die Familie Venneker nicht mehr los. „Unsere Leute dort fahren schon seit Tagen zur ukrainischen Grenze und holen Flüchtlinge ab und bringen sie unter. Aber gestern morgen war unser Betriebsleiter doch sehr fassungslos“, berichtete Petra Venneker. Der Mitarbeiter vermisste die einfachsten Hilfsmittel: „Die Babys sterben an der Grenze weg, weil wir sie nicht einmal verbinden können“, soll er am Telefon geschildert haben.
Verletzte Kinder in akuter Lebensgefahr
Sofern Petra Venneker die emotional geäußerten, englischen Worte richtig verstanden hat, besteht aktuell das Problem, dass durch Schrapnelle und Splitter verletzte Kinder nicht richtig verbunden werden können und sich Wunden entzünden. Für ein Kinderleben ist das sehr gefährlich.

Ketten wurden gebildet und leichte Pakete durch die Luft geworfen, um die Lastwagen schnell zu beladen. © Stephanie Tatenhorst
Sofort war der Familie Venneker klar, dass man helfen musste: Petra Venneker wollte zunächst alles Notwendige schicken. „Aber unser Betriebsleiter sagte, dass das nicht ankommen würde“, schilderte Petra Venneker. „Ich war total fertig nach dem Gespräch“, sagte sie. Bis Sohn Nils sagte: „Ich besorge einen Lkw und einen Fahrer - Du sorgst dafür, dass der Lastwagen voll wird.“
Petra Venneker telefonierte und fuhr die Apotheken der Umgebung ab und kaufte auf, was es an benötigten Hilfsmitteln zu kaufen gab. Zudem bat sie per WhatsApp-Nachricht an alle Bekannten um Sachspenden. Und dann ging es los: Die Nachricht, dass Vennekers Spenden sammelten, verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Der erste Lastwagen ist nach wenigen Stunden voll
„Um 13 Uhr wussten wir, dass der erste Lastwagen voll werden würde“, schildert Petra Venneker, dass sie am Dienstag „richtig ergriffen“ gewesen sei von soviel Hilfsbereitschaft - und auch am Tag danach muss sie immer wieder um Fassung ringen, wenn sie von der beispiellosen Resonanz berichtet.

Die Lastwagen wurden am Mittwochmorgen beladen und machten sich am frühen Nachmittag auf die Reise zur polnisch-ukrainischen Grenze. © Stephanie Tatenhorst
Wagen um Wagen fuhr vor - und Spenden um Spenden wurden abgegeben. „Um 1.50 Uhr kam der letzte Wagen“, sagt Petra Venneker, „sowas habe ich noch nicht erlebt.“ Zumal es nicht bei Sachspenden blieb: „Wildfremde Menschen, die Dinge brachten, sahen den Wust, der sich abspielte und fragten, wo sie helfen können. Und dann haben wir gemeinsam mit Wildfremden sortiert, verpackt, gestapelt“, berichtet Petra Venneker. Die Familie half mit, die Mitarbeiter packten mit an. Und das nach Feierabend und vor dem Arbeitsbeginn am nächsten Tag.
Nordkirchener kaufen neue Sachen - und spenden sie auch
„Ein Mann kam mit einem Kofferraum voller Jacken und meinte, er würde sich heute einfach neue kaufen. Andere brachten Tüten voller nagelneuer Kinderkleidung, die sie gekauft hatten. Das war ergreifend“, schildert Petra Venneker. In vielen Läden in Nordkirchen seien die Regale leer - weil Menschen Dinge für die ukrainischen Flüchtlinge gekauft hätten. Es gibt nichts, was nicht abgegeben wird. Selbst Kinderwagen mit Fußsack verladen die Helfer in die Lastwagen. Von Hygieneartikeln, Zahnpasta, Windeln gar nicht zu reden. „Wir haben ja sogar Töpfchen“, kann Petra Venneker beim Blick auf eine Kiste nur noch überwältigt mit dem Kopf schütteln.

Die Lastwagen wurden am Mittwochmorgen beladen und machten sich am frühen Nachmittag auf die Reise zur polnisch-ukrainischen Grenze. © Stephanie Tatenhorst
Auch andere Firmen beteiligen sich: Matratzen werden gespendet, Apotheken packen von sich aus Hilfsmittel zusammen, so dass die Pakete nur noch abgeholt werden müssen. Mit eingegangenen Geldspenden werden zudem Hilfsgüter gekauft. Spätestens am Dienstagnachmittag wird das Projekt so zum Selbstläufer. Da steht auch schon ein zweiter Lastwagen bereit. „Wir stellen jetzt nur die Zugmaschinen“, sagt Petra Venneker. „Unsere Anhänger wären zu klein. Die Auflieger, die wir jetzt haben, wurden uns auch einfach so zur Verfügung gestellt.“
Zusammenhalt mit anderen Helfergruppen
Einen Anruf nimmt ein Mitarbeiter zudem von einer Organisation in Münster entgegen: „Die fahren mit Bussen rüber und fragten, ob wir von ihnen noch Sachen mitnehmen könnten. Und sollten wir auch zu viel haben: Sie hätten noch einen freien Lastwagen und einen passenden Fahrer.“
Am Abend fährt der Neffe zum Sport und ruft vom Training aus an: „Wir sollten mit drei Autos zu ihm kommen“, berichtet Petra Venneker. „Denn jeder Sportler hatte auch noch etwas mitgebracht.“
Kurze Nacht, aber ein gutes Gefühl
Aus dem ruhigen Tag ohne Termine wurde nichts. Im Gegenteil. „Es ist positiv eskaliert“, sagt Petra Venneker lachend. „Ich lag nachts um halb drei im Bett, mir taten die Knochen weh - aber es war ein schönes Gefühl, trotz der Schmerzen.“
Doch die Nacht war kurz: Um sechs Uhr begann das Beladen der Lastwagen. Auch hier packte eine Helferschar mit an. Und am frühen Nachmittag rollten die Laster dann gen Osten vom Hof. 18 Stunden würden sie bis Warschau brauchen - aber das ist nicht mehr das Ziel. „Die fahren direkt bis zur Grenze“, sagt Nils Venneker. Getankt wird nochmal in Westpolen - dann muss der Sprit für die Fahrt zur ukrainischen Grenze und zurück reichen. „Später kann man nicht mehr tanken. Da gibt es nichts mehr“, weiß Venneker - und holt tief Luft. Zu unvorstellbar ist die Situation, der sich die Menschen dort stellen müssen.
Jahrgang 1979, aufgewachsen und wohnhaft in Bergkamen. Magister-Studium in Münster in Soziologie, Wirtschaftspolitik und Öffentlichem Recht. Erste Sporen seit 1996 als Schülerpraktikantin und dann Schüler-Freie in der Redaktion Bergkamen verdient. Volontariat und Redakteursstellen im Sauerland sowie Oldenburger Münsterland. Seit zehn Jahren zurück in der Heimat und seit Mai 2022 fest beim Hellweger angestellt.
