
Wie schwer die Vorwürfe gegen Pfarrer Alfred Albeck sind, zeigt eine von der Uni Münster veröffentlichte Studie. © picture alliance / dpa
Pfarrer Alfred Albeck: Kinder zwischen 1968 und 1985 massiv missbraucht
Missbrauch
Pfarrer Alfred Albeck, der in Nordkirchen und Werne tätig war, soll Jungen sexuell missbraucht haben. Massiv und in Hunderten von Fällen, wie jetzt durch eine Studie der Uni Münster bekannt wurde.
Die Vorwürfe gegen Pfarrer Alfred Albeck wiegen schwer - schon seit 2019, als öffentlich wurde, dass der bereits 2002 verstorbene Geistliche, der auch in Nordkirchen und Werne tätig war, mehrere Kinder sexuell missbraucht haben soll. Jetzt hat die Uni Münster im Auftrag des Bistums Münster eine Studie veröffentlicht, die sich mit den Missbrauchsfällen auseinandersetzt. Und die auch im Falle von Alfred Albeck zeigt, wie sehr die katholische Kirche sich zum Täter gemacht hat.
„Nach den Mitteilungen Betroffener hat Albeck mutmaßlich zwischen 1968 und 1985 mindestens sieben Jungen über längere Zeiträume und drei Dienststellen hinweg in seiner Wohnung wie auch im Rahmen gemeinsamer Urlaube insgesamt mehrere 100-mal teils massiv missbraucht“, heißt es in der am Montag (13. Juni) veröffentlichten Studie in der von Bernhard Frings verfassten Fallstudie zu dem Priester. Albeck war von 1961 bis 1964 Kaplan in der Gemeinde St. Konrad in Werne, die Gemeinde St. Mauritius in Nordkirchen war von 1973 bis 1984 seine erste Pfarrei.
„Laut den Betroffenen-Berichten soll Albeck bei den Missbrauchstaten,
die ihm vorgeworfen werden, sehr planvoll vorgegangen sein: Neben ihm
nahestehenden Jungen habe er vor allem Kinder und Jugendliche ausgewählt,
die aufgrund ihrer familiären Verhältnisse oder anderer Umstände besonders
verletzlich erschienen“, heißt es in der Studie. Er habe die Kinder zu sich nach Hause eingeladen - auch für Übernachtungen im Pfarrhaus oder gemeinsamen Urlaubsreisen. Er habe den Jungen Alkohol und Zigaretten angeboten, selbst stark getrunken.
Vorwurf der Sodomie mit seinem Hund
Das war aber längst nicht alles. „Oftmals habe er den Jungen zunächst Pornohefte und pornografische Filme mit hetero- wie homosexuellen und teilweise pädophilen Inhalten gezeigt. Wenn diese für die heranwachsenden Jungen auf der einen Seite interessant gewesen sein mögen, hätten sie doch auch Abscheu und Ekel hervorgerufen. Es seien dann im Wohnzimmer oder im Bett des Priesters unterschiedlichste konkrete Missbrauchshandlungen erfolgt“, so das Ergebnis der Studie. Weiter heißt es darin: „Auch gibt es einen Vorwurf mutmaßlicher ,Sodomie‘, die Albeck vor den Augen eines betroffenen Jungen mit seinem Hund begangen habe.“
Zu Hause haben die Jungen nichts davon erzählt. „Einzig gegenüber den Ehefrauen und Lebenspartnerinnen sei später das Erlebte thematisiert worden. Doch häufig hätten die traumatischen Folgen des Missbrauchs die Betroffenen früher oder später eingeholt. Fehlendes Selbstwertgefühl, Ängste oder Schuldgefühle seien immer wiedergekehrt und hätten zu beruflichen Schwierigkeiten, Beziehungsproblemen – dauerhafte Partnerschaften seien nicht selten unmöglich gewesen – und zu massiven psychischen Erkrankungen geführt. Trotz nachfolgender, teils langjähriger Psychotherapien hätten sich Betroffene nicht mehr in der Lage gesehen, ihr Berufsleben fortzusetzen.“
Schon früh sei in Bistum bekannt gewesen, dass Albeck zumindest auffällig ist. „Vermutlich in seiner Kindheit und frühen Jugend selbst vom Missbrauch eines ihm nahestehenden Priesters betroffen, zeigte Albeck bereits kurz nach der Priesterweihe im Seelsorge-Alltag physische und psychische Überlastungssymptome, die offenbar auch zu einem übermäßigen Alkoholkonsum geführt haben, aber von den Personalverantwortlichen nur unzureichend wahrgenommen wurden“, heißt es in der Studie.
Weihbischöfe verhindern Aufarbeitung - und Strafe
Es ist nicht so, dass es vor 2019 bistumsintern keine Hinweise auf die Verbrechen von Albeck gegeben habe. Im Gespräch mit der Redaktion hatte ein Betroffener schon vor drei Jahren gesagt, dass er die Taten Albecks beim Bistum schon vorher angezeigt hatte. Trotzdem fanden sich dazu zunächst keine Hinweise in der Personalakte Albecks. Weil - so die Ergebnisse der Studie aus Münster - die „Kollegen“ Albecks im Bistum seine Taten vertuscht haben. „Gerade die Weihbischöfe Josef Voß (1993/94) und Heinrich Janssen (noch 2010) scheinen trotz ihres Wissens eine wirkliche Aufarbeitung der gegen Albeck erhobenen Vorwürfe gezielt verhindert zu haben, wie auch Bischof Lettmann seit Mitte der 1990er-Jahre von konkreten Anschuldigungen wusste“, heißt es.
Weihbischof Voß erfuhr 1993 von den Vorwürfen. „Anfang 1994 waren Bischof Lettmann, Weihbischof Janssen und Personalchef Buckstegen ebenfalls über den Missbrauch Albecks informiert, ohne diesen daraufhin in irgendeiner Form zu sanktionieren. Albecks freimütiges ,Schuldbekenntnis‘ und gleichzeitige Versicherung, seit diesen Vorfällen nicht mehr übergriffig geworden zu sein, scheinen ausgereicht zu haben, ihn als Ruhestandsgeistlichen weiterhin in seelsorglichen Bezügen mit direktem Kontakt zu Kindern und Jugendlichen zu belassen“, heißt es im Fazit des Gutachtens.
Genn: „Ich übernehme selbstverständlich die Verantwortung
Hinzu kam eine „bewusste Falschinformation“ Janssens im Jahr 2010. „Denn konkret darauf angesprochen verneinte Janssen, bisher etwas vom Missbrauch durch den mittlerweile verstorbenen Pfarrer – zudem Mitglied seines Weihejahrgangs – gewusst zu haben. Man wird davon ausgehen können, dass Janssen dabei nicht nur sich selbst, sondern vor allem auch Altbischof Lettmann aus der Schusslinie nehmen wollte.“
Ein zweites Mal hat sich die katholische Kirche mit diesem Vertuschen vermutlich also zum Täter gemacht. Wie geht das Bistum jetzt damit um? Bereits kurz nach Veröffentlichung der Studie hatte der aktuelle Bischof Dr. Felix Genn Stellung zu der Studie genommen, die die Gesamtheit der Missbrauchsfälle im Bistum Münster in den Blick nimmt. Die Forscher gehen von Tausenden Opfern aus.
„Angesichts des Leids, das Sie und alle Betroffene durch Priester erfahren haben, ist mir als Verantwortlichem der Kirche, als Priester und als Mensch bewusst, dass ich nicht erwarten kann, dass Betroffene sexuellen Missbrauchs eine Bitte um Entschuldigung durch mich annehmen“, erklärte er.
„Ich übernehme selbstverständlich die Verantwortung für die Fehler, die ich selbst im Umgang mit sexuellem Missbrauch gemacht habe. Ich war und bin Teil des kirchlichen Systems, das sexuellen Missbrauch möglich gemacht hat. Das bin ich seit vielen Jahren an verantwortlicher Stelle: als Regens und Weihbischof in Trier, als Bischof von Essen und Münster. Von daher habe ich neben der persönlichen auch eine institutionelle Verantwortung. In dieser doppelten Hinsicht trage ich eine Mitverantwortung für das Leid von Menschen, die sexuell missbraucht wurden“, heißt es in der Stellungnahme außerdem.
Am 17. Juni wird es ein Pressegespräch mit dem Bistum geben, bei dem es sich auch zu den Konsequenzen äußern wird, die sich für die Kirche aus der Studie ergeben. Pfarrer Alfred Albeck wird von diesen Konsequenzen nichts zu spüren bekommen. Er ist im Jahr 2002 gestorben. Ein Jahr vor seinem Tod hatte er noch sein 40-jähriges Priesterjubiläum begangen - ohne, dass damals öffentlich irgendein Schatten zu erkennen gewesen wäre.
Ich mag Geschichten. Lieber als die historischen und fiktionalen sind mir dabei noch die aktuellen und echten. Deshalb bin ich seit 2009 im Lokaljournalismus zu Hause.
