
© Irina Höfken
Artenreichste Blühwiese in Nordkirchen: „Naturschutz aller erster Güte“
Saatgut-Ernte
Die artenreichste Blühwiese im Kreis Coesfeld gibt es in Nordkirchen. Ihr Saatgut wird jetzt geerntet und ausgesät: ein wichtiges Naturschutz-Projekt für heimische Pflanzen und Insekten.
Auf den ersten Blick sieht dieses Gerät sehr ungewöhnlich aus, das von Gärtnermeister Alexander Breitkopf über die Wiesen auf den Naturschutzflächen vor dem Schloss Nordkirchen hin und her geschoben wird: Der silberne „Wiesefix“ blitzt in der Sonne.

Alexander Breitkopf schiebt den Wiesefix über die Glatthaferwiese im Naturschutzgebiet vor Schloss Nordkirchen, um das lokale Saatgut zu gewinnen. © Höfken, Irina
Die rotierende gelbe Bürste vorne dran erinnert an die großen Bürsten aus der Waschstraße. Diese hier ist aber im Kleinformat und dient einem anderen Zweck: Sie bürstet Samen aus Pflanzen aus.
Insektenparadies vor Schloss Nordkirchen
Alexander Breitkopf hat an diesem Tag ein großes Publikum: Mitarbeiter des Naturschutzzentrums des Kreises Coesfeld, des Forstamts und zwei Bio-Landwirte sind gespannt, was Breitkopf und der Wiesefix aus der Glatthaferwiese bürsten.

Naturschutz, Forstamt und Landwirtschaft arbeiten in Nordkirchen Hand in Hand. © Irina Höfken
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Nach nur ein paar Fahrten über die 5000 Quadratmeter abgesteckte Fläche wagt Breitkopf einen ersten Blick ins Innere des Geräts: Es kommt schon einiges an Saatgut zusammen. Unbeschädigt hüpfen ein paar Wanzen und ein großes Heupferd, eine Laubheuschrecke, aus dem Kasten.

Bei der Fahrt über die Wiese mit dem Wiesefix wurde ein Heupferd mit aus der Wiese gebürstet. Unbeschadet konnte es beim Aufmachen des Geräts hinauskrabbeln. © Höfken, Irina
Auf der Wiese vor dem Schloss Nordkirchen summt und brummt es: Für Heuschrecken, Schmetterlinge, Bienen und Co. ist es das ideale Insektenparadies. Aber das war nicht immer so: Auf 36 Hektar Ursprungsfläche habe es nur etwa sechs verschiedene Pflanzenarten gegeben, dominiert von von Honiggras, Brennnesseln und Disteln, erklärt Kerstin Wittjen vom Naturschutzzentrum.
Mit einem abgestimmten Pflege- und Bewirtschaftungskonzept ist daraus 17 Jahre später die artenreichste Grünfläche im Kreis Coesfeld aus rund 30 bis 40 verschiedenen Arten entstanden. Eigentümer der mit EU-Mitteln angekauften Flächen ist das Forstamt, beziehungsweise das Land NRW, bewirtschaftet werden sie seit 2004 von den Bio-Landwirten Paul Altfeld und seinem Sohn Christoph. „Die Altfelds haben den grünen Daumen. Das hier ist Naturschutz aller erster Güte“, schwärmt Wittjen.
Stabile Pflanzengesellschaften ohne Regiosaatgut
Sie führt aus: „Vollkommen ohne Saatgut hat sich eine artenreiche Glatthaferwiese entwickelt mit einer stabilen Pflanzengesellschaft.“ Ohne Dünger und unter optimalen Keimbedingungen ist auf den Flächen in Nordkirchen alles von selbst gewachsen, getreu nach dem Motto: „Der Boden vergisst nicht“, unterstreicht die Biologin.

Ein Blick ins Innere des Wiesefix: Samen aus Nordkirchen. © Irina Höfken
30 Kühe und 30 Kälber der Altfelds beweiden aktuell die Wiesen bis zum Herbst. Ein Teil der Fläche wird gemäht und steht den Tieren so zur Verfügung, ein weiterer Teil wird für Saatgut gebraucht und deswegen stehen gelassen. So kommt der Wiesefix ins Spiel.
Im August wird die Fläche geschnitten und dieses sogenannte Maatgut zusammen mit dem Saatgut aus dem Wiesefix auf eine benachbarte Empfängerfläche übertragen. „Im nächsten Jahr, wenn alles gut läuft, finden wir dort schon eine blühende Landschaft. In fünf bis zehn Jahren sollte das Ergebnis wie hier aussehen“, erklärt Wittjen. Zusätzlich zu den Pflanzen werden auch Insekten in ihren unterschiedlichsten Stadien übertragen.
Naturschutz: Saatgut aus Nordkirchen für Nordkirchen
Vergleichen mit landwirtschaftlichem Regiosaatgut könne man das laut Biologin auf keinen Fall und sie erklärt warum: „Wir übertragen stabile Pflanzengesellschaften, Moose und Insekten in ihren unterschiedlichsten Stadien aus Nordkirchen in Nordkirchen.“ Zwischen Nordkirchen und Selm können laut Biologin so gut 200 Hektar mit lokalem Saatgut angereichert werden. Der Nachteil: „Dafür braucht man sehr viel Manpower und Geduld.“
So lokal wie möglich würde sich Naturliebhaberin Christina Ambrosi auch die Pflanzen im Blühfeld am Auenpark in Selm wünschen. Seit ihrer Kindheit ist das Bestimmen von Pflanzen und Insekten das Hobby der Selmerin: „Ich sehe Blumen in der Blühwiese, die habe ich hier noch nie gesehen. Phacelia zum Beispiel. Sie sieht zwar schön aus, aber der Nutzen ist nicht für alle heimischen Insekten gleich groß.“
Blühfeld am Auenpark in Selm: Zu wenig heimische Pflanzen?
Landwirt Jochen Westermann kann die Kritik von Ambrosi nicht nachvollziehen: „Es ist keine weltweit importierte Mischung. Wenn es blüht, freuen sich die Insekten. Im Blühfeld summt und brummt es.“

Im März hatte der landwirtschaftliche Ortsverband Selm die gesponserte Blühmischung der Raiffeisen Lüdinghausen-Selm eG gesät. © Brede
Im März hatte der landwirtschaftliche Ortsverband Selm die gesponserte Blühmischung der Raiffeisen Lüdinghausen-Selm eG gesät - unter anderem Lippstädter Blütenparadies und eine Tübinger Mischung. Mehr als 30 Blumen- und Wildkräuter-Sorten sollen dort im Laufe des Jahres blühen und laut Landwirt Jochen Westermann „ein Zeichen aus der Landwirtschaft heraus“ setzen.
Ambrosi betont: „Wir sollten mit so tollen Projekten nicht nur Honigbienen bedienen, sondern auch Raupen, Larven, Wildbienen und mehr. Es soll keine Kritik sondern eine Anregung sein, noch verstärkter auf heimische Pflanzen zu setzen.“
Wie die lokale Saatgutgewinnung aussehen kann, zeigt die Fahrt mit dem Wiesefix in Nordkirchen. Was das Projekt aber auch zeigt, ist die jahrelange Vorbereitung. Westermann: „Wir müssen realistisch sein. Es handelt sich nur um eine temporär genutzte Fläche.“ Zukünftig soll dort das Neubaugebiet „Wohnen am Auenpark“ entstehen.
„Hömma, hasse dat schon gehört?“ So (oder so ähnlich) beginnen die besten Geschichten aus dem Pott, wo ich zu Hause bin. Es gibt nichts Besseres, als diese aufzuspüren und dann in Text, Bild und Video festzuhalten.
