Was Wölfe in NRW für Tierhalter bedeuten Herdenschutz contra Wolfs-Ansiedlung

Was Wölfe in NRW für Tierhalter bedeuten: Herdenschutz contra Wolfs-Ansiedlung
Lesezeit

Der Wolf breitet sich immer stärker in Deutschland aus. Bundesweit gab es 2021/22 geschätzt 2.000 Wölfe, verteilt auf 161 Rudel, 43 Paare und 21 Einzelwölfe. Im Vergleich zu Vorjahren ist dies ein etwas geringerer Anstieg. Dennoch hat die Rückkehr des Wolfes inzwischen deutliche Folgen. Rund 4000 Risse von Tieren gab es in Deutschland im Jahr 2020, ein Jahr später wurden bundesweit 3400 dokumentiert.


Maik Dünow aus Voerde ist Schafmeister. Seine Tiere waren die ersten Opfer der Wölfin GW954f – auch Gloria genannt. Dünow hat inzwischen Ruhe vor weiteren Rissen, was ihn allerdings einiges kostet: 1.000 Euro pro Monat fällt allein an Hundefutter für seine 20 Herdenschutzhunde an, zusätzlich entstehen weitere Kosten durch medizinische Versorgung, Versicherung, Hundesteuer. Vorher brauchte er nur wenige, deutlich günstigere Hütehunde. Die Aufgaben der Hunde sind unterschiedlich: Herdenschutzhunde verteidigen die Herde, Hütehunde werden eingesetzt, um die Herde zusammen zu treiben.


Die Materialkosten für den wolfsabweisenden Zaun seien zwar vom Land bezahlt worden, aber allein der Aufbau habe ihn 20.000 Euro gekostet. Hinzu komme noch die Instandhaltung „Es ist ja nicht so, dass wir mal eben drei Kilometer Zaun aufbauen können. Dafür fehlt einfach die Zeit, wir müssen uns um die Schafe kümmern.“

Ein Schäfer steht auf einer Weide mit Schafen und Hunden.
Maik Dünow mit seinen Herdenschutzhunden bei den Schafen. © Dünow

Die meisten Schäfer können sich solche Summen nicht leisten. „Das treibt einen der ältesten Berufe in den Ruin, ein Schäfergeselle mit einem Bruttogehalt von gerade mal knapp 1.900 Euro muss vor solchen Investitionen kapitulieren. Andere fühlen sich zu alt, um Geld und Kraft in Abwehrmaßnahmen zu stecken und geben auf.“

Der Hochwasserschutz ist in Gefahr

2.000 Schafe sind es laut Dünow schon weniger am Niederrhein, als noch vor zwei Jahren. Das hat Folgen: Denn die Schafe sorgen für den Hochwasserschutz. Laut Ingo Hülser, Deichgräf im Kreis Wesel, sind Schafe „Medizin für die Deiche“. Als Deichgräf – oder Deichgraf, wie es andernorts heißt – ist Hülser zuständig für den Erhalt der Deiche in Voerde. „Maschinelle Pflege ist kein Ersatz, weil nur Schafe in jede Ecke kommen, den Deich mit den Klauen verfestigen und für eine dichte Grasnarbe sorgen.“ Technischer Einsatz habe sich nicht bewährt, die Maschinen würden die Deiche zerstören und seien bei regenreichem Wetter gar nicht einsetzbar.

Der „Herr der Deiche“ bemängelt, dass die Deichverbände in NRW bei der Erstellung der Wolfsschutzverordnung nicht einbezogen worden seien. Er habe zwar eine Stellungnahme abgegeben, diese sei aber einfach ignoriert worden. Auch er selbst habe einen Rindermastbetrieb und findet es paradox, dass vom Staat Prämien für Weidehaltung gezahlt und Tiere dann Opfer des Wolfs werden. „Warum muss das erst eskalieren?“

Schafe und Ziegen sind als anerkannte Landschaftspfleger nicht nur für Deiche wichtig, sondern auch ein wichtiger Teil des Naturschutz-Programms in NRW. Seltene Orchideen, Falter, Vögel und Amphibien sind auf Offenlandschaften angewiesen. „Sie können nur dort leben, wo kein Gehölzdruck ist“, sagt Landschaftsplanerin Annalena Helbig aus Brandenburg. Ohne Landschaftspflege, die auch hier wieder überwiegend nur mit Ziegen und Schafen möglich ist, würden sich Gehölze ausbreiten und den Lebensraum für einige Arten nehmen, die vom Aussterben bedroht sind.

Wölfe sind aber auch naturschutzrechtlich streng geschützt. Sie erfüllen „als großer Beutegreifer eine wichtige Funktion im Ökosystem“, erklärt der Naturschutzbund (Nabu). Durch die Ausrottung des Wolfes sei eine Lücke entstanden, die eingespielte Wechselbeziehungen innerhalb des Ökosystems beeinträchtigt habe. Der Wolf werde als „Gesundheitspolizei“ des Waldes bezeichnet, da er häufig auch kranke und schwache Tiere frisst und somit den Bestand seiner Beutetiere „gesund“ hält.

Der Abschuss von Wölfen ist in NRW nach der neuen Wolfsverordnung des Landes von März 2022 nur als letztes Mittel möglich, und zwar bei Wölfen, die besonders auffällig gegenüber Menschen oder Weidetieren werden.

Ein Schmetterling sitzt auf einer Blüte.
Ein Perlmuttfalter auf einer Distel in einem Naturschutzgebiets im Kreis Höxter. Der Bestand ist gefährdet. © Helbig

Schafzüchter: „Nutztierhalter werden im Stich gelassen“

„Die Gesellschaft will den Wolf, aber keiner will für die Kosten aufkommen. Die Leidtragenden sind die Schäfer und Hobby-Nutztierhalter. Warum ist der Wolf ein geschütztes Tier, das Schaf aber nicht?“ fragt Maik Dünow. Die Politik könnte etwas unternehmen, tue aber nichts. Seit der Trennung von Umwelt- und Landwirtschafsministerium fühle sich erst recht keiner mehr zuständig, sagt Dünow.

Wölfin Gloria aus dem Wolfsgebiet Schermbeck hat in der Vergangenheit zahlreiche Nutztiere gerissen, darunter Schafe, aber auch beispielsweise Ponys. Und dieses Verhalten bringe sie ihren Nachkommen bei. „Das Land erzieht die Wölfe zu Problemwölfen und wir werden mit diesem Problem völlig im Stich gelassen“, sagt Dünow.

Herdenschutz muss laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) vorbeugend erfolgen, um erfolgreich zu sein. Denn sonst gewöhne sich der Wolf an das Reißen von Schafen, Ziegen, Kälbern und Kleinpferden. Doch Wolfsabwehrmaßnahmen sind in manchen Naturschutzgebieten gar nicht durchführbar. Beispielsweise da, wo Gelände nicht eben oder felsig ist, mobile Elektrozäune nicht aufgebaut werden können. Wo sie möglich sind, entstehen auf jeden Fall hohe Kosten.

Reichen die wolfsabwehrenden Fördermaßnahmen in NRW?

Für wolfsabweisende Maßnahmen hat das Land NRW 2022 rund 2 Millionen Euro aus dem Naturschutzetat bereitgestellt. Dennoch reicht das vielen Tierhaltern nicht aus.

Laut Landwirtschaftskammer sind in Nordrhein-Westfalen alle Nutztierhalter anspruchsberechtigt, deren Tiere bei der Tierseuchenkasse gemeldet sind. Die Materialkosten für Zäune werden in ausgewiesenen Wolfsgebieten gefördert. Bei der Anschaffung von Herdenschutzhunden sieht es allerdings anders aus: Anspruch haben nur Herdenhalter mit mindestens 100 Tieren.

Der Kauf ausgebildeter Hunde wird in NRW zu 100 Prozent gefördert, nicht jedoch Folgekosten. Und die machen aber laut Dünow den weit höheren Anteil aus. Gerade diese Kosten seien für Berufsschäfer mit ihrem niedrigen Einkommen kaum zu stemmen. Zudem sind ausgebildete Herdenschutzhunde rar, die Haltung mit hohen Auflagen verbunden. Daher fordert auch der Nabu die Aufhebung bestimmter Vorgaben für die Haltung von Herdenschutzhunden.

Dazu kommt: Vom Aussterben bedrohte Nutztiere werden in der Regel in kleineren Herden gehalten. Für den Erhalt gefährdeter alter Nutztierrassen können Verluste besonders bitter sein, denn die Wolfsrisse schmälern dann den ohnehin niedrigen Bestand. Die Justus-Liebig-Universität erstellt daher zur Zeit eine Studie über den „Einfluss der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland auf die Population von vom Aussterben bedrohter Haustierrassen im Bereich der Schaf- und Ziegenhaltung“.

Zwei Ziegenlämmer stehen auf der Weide.
Seltene Rassen, wie die Thüringer Waldziege, die erst vor wenigen Jahren vorm Aussterben gerettet wurde, sind besonders gefährdet. © blu

Landschaftsplanerin Annalena Helbig kritisiert außerdem, dass Herdenschutzhunde aufgrund dichter Besiedelung oder in Tourismusgebieten nicht gehalten werden könnten. Tierhalter bemängeln, dass die empfohlene Zaunhöhe von 0,90- 1,20 Metern nicht unbedingte Sicherheit biete und dass ein verletztes Schaf – gegen die Vorgaben des Tierschutzgesetzes – nicht erlöst werden dürfe, bis ein Sachverständiger komme, um den Riss durch einen Wolf zu bestätigen.

In Brandenburg wird auch der Unterhalt der Herdenschutzhunde gefördert

Dass es auch anders geht, zeigt das Land Brandenburg, das inzwischen ein erfolgreiches Wolfsmanagement hat, wie Knut Kucznik, Vorsitzender des dortigen Schafzuchtverbandes und der Arbeitsgemeinschaft Herdenschutzhunde, sagt. In Brandenburg hätten alle Schafhalter Anspruch auf Herdenschutzhunde, egal ob sie 10 Tiere haben oder 1.000. Auch der Unterhalt der Hunde werde mit 1.920 Euro pro Hund und Jahr mitfinanziert.

Doch vernünftiger Herdenschutz ist richtig teuer. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser erklärte im Frühjahr 2022, allein bezogen auf die Wölfe im Schermbecker Wolfsgebiet: „Im schlimmsten Fall würde mich dieses einzelne Rudel elf Millionen Euro kosten, wenn man Herdenschutz auf allen Weiden und Pferdekoppeln im Wolfsgebiet umsetzen würde.“ Sie räumte auch ein: „Am Niederrhein funktioniert die viel beschworene Co-Existenz von Wolf und Mensch einfach nicht. Das Wolfsrudel dort stresst Bürger, Schäfer, Landwirte und Ponybesitzer unglaublich.“

Schäfer Knut Kucznik hat für die Herdenschutzpolitik in NRW jedenfalls kein Verständnis. Zwar befürworte er die Ansiedlung von Wölfen, aber er sagt auch: „Gloria gehört abgeschossen, weil sie Nutztiere reißt und das Verhalten an ihre Nachkommen weiter gibt.“

blu

Jäger besorgt: Wölfe vertreiben viel Wild

Der Wolf nimmt die Wildpferde bei Dülmen ins Visier

Zwei Schafe in Hünxe tot: Nagelneuer Schutzzaun hielt Wölfe nicht ab

Wolf verfolgt Radfahrer in den Niederlanden: Paintball-Waffen sollen Tiere abschrecken

Neue NRW-Wolfsverordnung: „Vergrämen“ und Abschuss sollen ermöglicht werden

LANUV bestätigt zwei neue Wölfe im Wolfsgebiet Schermbeck

Weiter Streit um Wolfs-Abschüsse in NRW - gibt es bald eine Klagewelle gegen das Land?

Roland Schulte: Kreis Borken „schon ein bisschen vom Wolf umzingelt“

Wolfsbefürworter und -Gegner kritisieren neue Wolfsverordnung