Neue Winnetou-Bücher: Sie vom Markt zu nehmen, ist erbärmlich

Meinung

Sind zwei neue Winnetou-Bücher rassistisch? Dieser Vorwurf kursiert im Internet. Der Verlag Ravensburg hat sie vom Markt genommen – eine erbärmliche Entscheidung, sagt unser Autor. Ein Kommentar.

NRW

, 25.08.2022, 04:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

Jetzt geht es also den Büchern aus unserer Kindheit an den Kragen. Der Verlag Ravensburg hat zwei Bücher über den „jungen Häuptling Winnetou“ zurückgezogen, weil sie die Gefühle anderer Menschen verletzen könnten. Vorausgegangen war ein Shitstorm im Internet.

Von „Indianern“, nicht von „Indigenen“ oder „amerikanischen Ureinwohnern“ sei da die Rede. Und überhaupt werde in den Büchern ein romantisierendes, verklärendes, völlig schiefes Bild dieser Menschen gezeichnet. Das sei diskriminierend, rassistisch und werde den betroffenen Menschen überhaupt nicht gerecht.

Winnetou ist ein Roman, keine Dokumentation

Wer sich diesen Argumenten entgegenstellt, muss sich auf heftigen Gegenwind einstellen. Aber auch auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen, sage ich: Das Maß an politischer Korrektheit ist voll, übervoll. Winnetou ist eine literarische Figur, die Karl May erschaffen hat. Weder Karl May noch sonst jemand behauptet meines Wissens nach, dass es sich bei den Geschichten von Winnetou um Dokumentationen handelt.

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Karl May ist vor 110 Jahren gestorben. Die Geschichten, die er damals geschrieben hat, nach heutigen Maßstäben zu beurteilen, ist zutiefst ungerecht und falsch. Mehr noch: Seine Bücher und Geschichten erzählen uns gerade auch in der Sprache, in der sie geschrieben wurden, viel von dem, wie die Menschen zu der damaligen Zeit die Welt gesehen haben. Seine Bücher ins Abseits zu stellen oder umzuschreiben, ist der erbärmliche Versuch, ein Stück Zeitgeschichte auszulöschen.

Mika Ullritz als Winnetou in einer Szene des Films "Der junge Häuptling Winnetou“.

Mika Ullritz als Winnetou in einer Szene des Films "Der junge Häuptling Winnetou“. An den Büchern zum neuen Film entzündet sich die Rassismus-Debatte. Der Verlag Ravensburg hat sie vom Markt genommen. © picture alliance/dpa/Leonine

Das gilt im Übrigen nicht nur für Karl May. Das gilt beispielsweise auch für Astrid Lindgren. Als sie die herrlichen Geschichten von Pippi Langstrumpf schrieb, bezeichnete sie Pippis Vater als „Negerkönig aus Taka-Tuka-Land“.

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Heute würde man das Wort „Neger“ zurecht vermeiden, weil es in der Tat beleidigend ist. Das aber ist unser heutiges Wissen und war Astrid Lindgren nicht bewusst, als sie Pippi schrieb. Sie wollte mit Sicherheit niemanden wegen seiner Hautfarbe herabwürdigen.

Wenn inzwischen der Verlag eingeknickt ist und Pippis Papa in neueren Textversionen „Südseekönig“ heißt, ist das im Grunde eine Geschichtsklitterung.

Es geht auch um Jim Knopf

Dieses Schicksal droht auch Michael Ende, der unserer Kindheit mit „Jim Knopf und der Lokomotivführer“ eine wunderbare, in jedem Satz spürbar antirassistische Geschichte geschenkt hat. Auch Michael Ende wird angegriffen, weil er in seinem Buch an einer Stelle – auch das mit Sicherheit nicht abwertend gemeint – Jim als „Neger“ bezeichnet. Noch weigert sich der Verlag, das Wort „Neger“ in Endes Text zu ersetzen. Hoffentlich bleibt das so.

Ein heute anstößiges Wort in einem alten Text zu tauschen, ist der einfachste Weg. Man bringt die im Internet pöbelnden Im-Nachhinein-Klugscheißer so am schnellsten zum Schweigen. Schwieriger, aber mit Sicherheit auch richtiger wäre es, die Texte so zu belassen, wie sie geschrieben wurden, dabei aber zu erklären, dass auch Geschichten und Sprachbilder immer Kinder der Zeit ihrer Entstehung sind.

Wir sollten endlich aufhören, alte Texte zu verunglimpfen, nur weil sie unseren heutigen Vorstellungen von Moral, Sprache, Pädagogik, gesellschaftlichen Rollen, politischer Korrektheit und anderen Faktoren widersprechen.

Und was ist mit Struwwelpeter und Grimms Märchen?

Sonst müssten wir, um bei den Büchern unserer Kindheit zu bleiben, auch den Struwwelpeter, Max und Moritz, Grimms Märchen und viele, viele andere Bücher aus unseren Bibliotheken verbannen. Damit würden unsere Bücherregale zu geschichts- und gesichtslosem, teflon-gleichem Einheitsbrei werden, ohne Ecken und Kanten. Und wenn es ganz schlimm kommt, noch im Gender-Deutsch verhunzt. Das wäre der Punkt, an dem ich endgültig aufhören würde, Bücher zu lesen.

Deshalb gilt für mich: Winnetou darf nicht sterben.

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