"Wenn du nicht schreibst, bist du Teil des Systems"
Pressefreiheit in der Türkei
Oppositionelle und Journalisten führen in der Türkei ein gefährliches Leben. Seit dem Putschversuch Mitte Juli 2016 stehen sie auf der immer länger werdenden Abschussliste von Staatspräsidenten Erdogan. Einer von ihnen ist der frühere Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar. Wir haben mit ihm in Berlin über die Lage in seiner Heimat gesprochen.
Der Bundesverband der deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ) zeichnet Can Dündar am 7. November 2016 in Berlin mit dem Deutschen Pressefreiheits-Preis "Goldene Victoria" aus. In der Hauptstadt sprach unser Redakteur Peter Bandermann mit dem Journalisten im Büro der Organisation Reporter ohne Grenzen, noch bevor die türkische Regierung Dündars Nachfolger und andere Journalisten sowie Oppositionelle verhaften ließ.
Herr Dündar, Sie sind kein Killer und doch zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Wie fühlt sich das an für einen Journalisten? Dieses Urteil habe ich erhalten, weil ich meine Arbeit gut gemacht habe. Wir hatten Geheimdienst-Informationen über die Unterstützung der Türkei für radikale Islamisten in Syrien und darüber berichtet. Das Urteil zeigt die Bedeutung dieses Themas.
Ihnen muss zu jedem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass die Recherchen über die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und den Islamisten spürbare Repressionen gegen Sie und die Redaktion auslösen können. Haben Sie gezögert? Nein, als Journalist war es meine Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren. Denn wir hatten viele Hinweise auf eine Zusammenarbeit der Türkei mit den Islamisten. Für sie waren die Grenzen in die Türkei offen. Sie durften sich in Ankara und Istanbul aufhalten. Im Krieg verletzte Kämpfer wurden in türkischen Krankenhäusern behandelt.
In der von Reporter ohne Grenzen für 2016 veröffentlichten Weltrangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 151 von 180 Plätzen. Also noch hinter Afghanistan, und Russland und gefolgt von Ländern wie Irak, Ägypten, Kasachstan und Jemen. Wie verläuft investigative Arbeit unter diesen Bedingungen? In der Türkei spürt man diese Gefahr schon immer. Du kannst sie riechen. Wenn du die Gefahr riechst und dann auch nur einen Schritt zurücktrittst, dann betrügst du deinen Beruf. Es ist nicht immer dein Recht, aber es ist immer deine Pflicht, zu berichten. Wenn du nicht schreibst, dann bist du Teil des Systems.Sehr konkret ist diese Gefahr auch für ihre Frau, die aus der Türkei nicht ausreisen darf. Ist absehbar, dass sich die Dündars bald wiedersehen? Ich hoffe das sehr. Sie darf das Haus nicht verlassen und befindet sich in Geiselhaft der Türkei. Diese Regierung handelt illegal. Dass sie mich so zu verletzen versucht, fühlt sich noch ganz anders an, als selbst in einem Gefängnis zu sitzen. Wir versuchen derzeit alles, um eine Ausreise zu ermöglichen. Meine Frau ist sehr mutig: Als im Mai vor dem Prozess auf mich geschossen wurde, war sie sofort auf den Täter zugegangen, um ihn zu entwaffnen.
Yak?n tarihten bir sayfa... Pisman olan yüzünü indirsin.https://t.co/mcTATuteID
— Can Dündar (@candundaradasi)
Am 25. Februar 2016 durften sie nach drei Monaten die Untersuchungshaft verlassen. Wie ist es Ihnen im Gefängnis ergangen? Die Festnahme erfolgte an unserem 27. Hochzeitstag. Mit meiner Frau wollte ich abends nett ausgehen. Statt in einem Restaurant zu sitzen, stand ich dann in meinem feinen Anzug in einer Einzelzelle. Der Nadelstreif passte einfach nicht in diese Umgebung – eine befremdliche Situation, auf die ich nicht vorbereitet war. Der erste Tag war ein Schock.Wie sind Sie im Gefängnis behandelt worden? Torturen habe ich nicht erlitten. Aber 40 Tage isoliert zu sein in einer Zelle, ohne Computer, ohne Telefon, ohne zu schreiben … und das als Journalist … das war dann wohl meine Rolle. Ich habe sie mit Stolz ertragen, um so die Situation zu entspannen. Vor mir waren schließlich schon viele andere Journalisten und Autoren in Haft. Jetzt war ich dran.„ … um die Situation zu entspannen“. Das klingt gelassen. In der Mitte von den insgesamt 90 Tagen wurde die Isolationshaft aufgehoben. Mit zwei weiteren Journalisten war ich bis zur Entlassung nach den insgesamt drei Monaten in einer Zelle. Das war anders. Aber ja, ich hatte auch Angst. Alles dauerte so lange. Vor allem die Ungewissheit war quälend. Wenn du weißt, dass du fünf Jahre im Gefängnis bleiben musst, kannst du dich darauf einstellen. Diese Ungewissheit ertragen zu müssen, das war ein Teil meiner Profession.Wie haben Sie die Zeit in der Ungewissheit bewältigt? Ich habe entschieden, ein Buch zu schreiben und kaufte mir im Gefängnis einen Stift und Papier. So habe ich die Zelle mit meinen Waffen besetzt. Allerdings war es nicht einfach, die Aufzeichnungen herauszubekommen, denn die Kontrollen der Gefängnis-Administration waren sehr, sehr streng.Sie haben das Skript herausschmuggeln können? Das war wirklich ein nicht einfach zu lösendes Problem.Wie haben Sie das geschafft? Es gab einen Weg.
Can Dündar vor der Weltkarte der Pressefreiheit im Büro von "Reporter ohne Grenzen" in Berlin. Foto: Peter Bandermann
Nach der Haft und vor dem Putschversuch haben Sie die Türkei verlassen. Warum? Ich brauchte einen Bruch und bin nach Barcelona gereist, um das Buch zu Ende zu schreiben. Dann die Militärintervention. Meine Anwälte rieten mir, nicht in die Türkei zurückzukehren, weil das nicht sicher für mein Leben wäre.
Warum Deutschland und nicht Amerika, Frankreich oder England?
Die Schriftstellerorganisation PEN hat mich hierher eingeladen. Hier bin ich sicher. Doch die Situation ist nicht einfach. Alles, was ich sage und schreibe, kann das Leben meiner Familie gefährden.Gibt es Kontakt zur Familie? Meine Frau und ich telefonieren jeden Tag. Es geht ihr gut. Mein Sohn studiert in London. Er ist 21 Jahre alt und möchte Journalist werden. Ich möchte ihm so gerne ein demokratisches Land geben, in dem er frei arbeiten kann. Für die nächsten Generationen träumen wir von einer Demokratie für die Türkei. Die Hälfte der Türken ist gegen diese Regierung. Aber diese Hälfte ist zurzeit machtlos und unorganisiert.Erdogan hat einen radikalen Wandel hinter sich: Für die EU war er lange ein gefragter Staatsmann und Demokrat. Hat er nach dem – von wem und wie auch immer vorbereiteten – Putschversuch seine Maske fallen lassen? Wie erklären Sie seinen Rückhalt? Ein Demokrat war er von Anfang an nicht. Schon 1996 sagte er in einem Interview mit einem Freund von mir, dass die Demokratie für ihn nicht das Ziel, sondern nur ein Werkzeug ist. Erdogan ist jetzt der mächtigste Mann in der Türkei seit Atatürk, wofür es viele Gründe gibt. Er ist kein Soldat, kein Bürokrat und kein Intellektueller, sondern ein Fußballspieler und einer von den einfachen Bürgern, die mit ihm eine ökonomische Krise überwunden haben. Solch einen Staatsmann gab es vorher nicht.Das Volk liest von seinen Lippen ab. Woher dieses rhetorisch starke Auftreten einer autoritären Führungsfigur? Er ist nicht unbedingt ein Führer, aber vertritt als graduierter Prediger einen strengen Islam. Das ist gefährlich. Religion in der Politik ist explosiv. Nicht nur in der Türkei, sondern auf der ganzen Welt. Erdogan gibt den Türken mit religiöser Rhetorik, wie ein großer Imam, eine Identität: Er sagt ihnen, dass die Türkei die größte Nation in der Welt ist. Die Leute glauben es ihm.In der EU hat Deutschland eine besondere diplomatische Beziehung zur Türkei, aktuell auch wegen des Flüchtlings-Deals. Die deutsche Regierung versucht die Flüchtlinge von Deutschland und der EU fern zu halten und ist dafür mit der Türkei ein Geschäft eingegangen: Hier ist Geld – ihr behaltet die Flüchtlinge. Ich bezeichne das als ein schmutziges Geschäft. Ein Geschäft, das gescheitert ist und von Anfang an eine Lüge war. Es ist unmöglich, über die Türkei die Flüchtlinge von Europa fern zu halten. Die Öffnung der Grenzen vor einem Jahr war richtig vor allem für die Menschen aus Syrien, aber die EU hätte das besser organisieren müssen. Dann bat man Erdogan auch noch, seine Anti-Terror-Gesetze zu verändern. Das war sehr wichtig für ihn – er kann sie jetzt gegen die Opposition benutzen.
Ist die EU mitverantwortlich für Erdogans Radikalisierung, weil sie die Diskussion über eine EU-Mitgliedschaft nicht intensiv genug geführt? Definitiv. Aus verschiedenen Gründen akzeptierte die EU die Türkei über viele Jahre nicht als Beitrittskandidat. Die Türkei wartete sehr lange in der Hintertür der EU auf eine Mitgliedschaft, sodass viele Türken ihr Vertrauen in Europa verloren haben. Anfangs vertrauten die Menschen auch Erdogan als Demokraten. Aber er wartete auf etwas ganz anderes. Die Demokratie war ein Werkzeug für ihn, das aus ihm einen Sultan macht. Er möchte ein Sultanat ohne Parlament, ohne eine Opposition und ohne eine freie Presse. Europa hat das realisiert, aber zu spät.