Krichendorfs „Fräulein Agnes“ hat alle satt

Festival „Stücke“

Beim Festival „Stücke“ überzeugt Rebekka Kricheldorfs „Fräulein Agnes“.

von Kai-Uwe Brinkmann

Mülheim

, 23.05.2018, 13:38 Uhr / Lesedauer: 1 min
Rebecca Klingenberg (l.) und die Eleven in der Aufführung des Deutschen Theaters Göttingen beim Festival „Stücke“. Foto: Pauly

Rebecca Klingenberg (l.) und die Eleven in der Aufführung des Deutschen Theaters Göttingen beim Festival „Stücke“. Foto: Pauly

Gleich zu Beginn haut das Fräulein Agnes (wunderbar: Rebecca Klingenberg) eine Schimpfkanonade heraus, die sich gewaschen hat. Gnadenlos wettert sie gegen Raucher, Ex-Raucher, Kokser, Kiffer, Hundefreunde, Regionalpolitiker, Installationskünstler, „späte Lolitas mit ihren verdorrten Eierstöcken“. Alle hat sie satt.

Scharfrichterin und Kunstkritikerin

Madame ist eine Scharfrichterin, die kein Blatt vor den Mund nimmt und den Leuten reinen Wein einschenkt. Sie ist die Zentralfigur in Rebekka Kricheldorfs „Fräulein Agnes“, am Montag bei den Mülheimer „Stücken“ gespielt.

Als Kunstkritikerin neigt Agnes selbstredend zu Verrissen, auch ihr musizierender Sohn wird nicht verschont. Darf man das, allen und jedem die ungeschminkte Wahrheit sagen? Kricheldorf beschreibt das Dilemma einer Intelligenzbestie und radikalen Perfektionistin, die mittelmäßigen Klischee-Existenzen die Leviten liest. Koste es, was es wolle. Eine Lebensstrategie, die ihren Preis fordert: Agnes wird verlassen von denen, die sie vor den Köpf stößt, auch von Freunden.

Die Inszenierung hat viel satirischen Biss

Erich Sidlers Inszenierung vom Deutschen Theater Göttingen hat mit Kricheldorfs scharfzüngiger Sprache ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt. Das hat unverschämt satirischen Biss, wie die Autorin das verschwurbelte Vokabular der Künstlerszene seziert. Kultur-Groupies schwadronieren in Feuilleton-Phrasen und werfen sich in affektierte Posen.

Agnes‘ Freund (Christoph Türkey) salbadert von Filmprojekten, ist aber der Einzige, der bei Agnes mit Milde rechnen darf. Die Inszenierung ist kompakt, sehr amüsant und formuliert eine Quintessenz nach Kricheldorf: Pure Intelligenz kann grausam kalt sein, wenn sich nicht Empathie dazu gesellt.

Das Festival „Stücke“ endet am 2. Juni mit der Verleihung des Mülheimer Theaterpreises.