Dieser Theaterbesuch ist eine Mutprobe
Schauspiel Bochum
Fabian Gerhardt stürzt die Zuschauer in den Bochumer Kammerspielen schonungslos in den Horror der „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“.

Therese Dörr ist mit drei weiteren Schauspielerinnen Sprachrohr für das Stimmengewirr in und außerhalb des Nervenkranken.Foto: Stefan
Es gehört Mut dazu, sich diesen Theaterabend anzutun. Der Mut, in die Abgründe einer detaillierten Schilderung psychotischer Wahnvorstellungen zu steigen und sich den dazu passenden, expliziten Schock-Bildern auszusetzen.
Schonung gibt es bei Fabian Gerhardts Inszenierung von Daniel Paul Schrebers Rechtfertigungsschreiben „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ auf der Kammerbühne des Schauspielhauses Bochum jedenfalls keine Sekunde.
Depressionen und Selbstmordgedanken
Der 1911 in geistiger Umnachtung verstorbene Daniel Paul Schreber war der Sohn von Moritz Schreber, auf den die Schrebergarten-Bewegung zurückgeht und der als einer der Hauptvertreter der Schwarzen Pädagogik gilt.
Er wirkte als Jurist in Dresden und schaffte es während seiner zweiten psychischen Erkrankung mit Depressionen, Selbstmordgedanken und schwersten psychotischen Wahnvorstellungen, diese Zustände klar niederzuschreiben.
Eine einzigartige Fallstudie
An dieser einzigartigen Fallstudie arbeitete sich unter anderem Sigmund Freud ab und entwickelte Hypthesen über die Paranoia.
Der Bochumer Theaterabend arbeitet hingegen nicht mit Einordnung und Verwissenschaftlichung, sondern stellt den Wahnsinn in gut gewählten Textauszügen aus und bebildert ihn möglichst krass.
Ein grandioses Bühnenbild
Grandios gelungen ist das Bühnenbild von Christian Wiehle: Es wirkt wie eine verformte historische Krankenanstalt mit einem Hybriden aus Billardtisch und Flügel in der Mitte. Nur wenige Minuten gibt es da die Anmutung einer klassischen Rollenverteilung: Jürgen Hartmann gibt den Patienten, Günter Alt den Arzt.
Doch plötzlich wechseln die Rollen: Therese Dörr, Veronika Nickl, Raphaela Möst und Simin Soraya treten mit Schnurrbärten auf und spielen die Stimmen in und außerhalb des Patientenkopfs. Auf grandios gefilmten und auf Fadenvorhänge projizierten Videobildern essen sie Dreck, spielen mit blutigen Augäpfeln.
Alles löst sich auf und da keine konsistente Geschichte erzählt wird, verlieren auch die Zuschauer bald ihre Bezugspunkte.