Warum wir hamstern und wie wir dem inneren Drang widerstehen

Lebensmittel

Viele Menschen befürchten wegen des Ukraine-Krieges eine Versorgungslücke und legen sich Vorräte an. Ein Psychologe erklärt, warum wir jetzt zu Hamsterkäufen neigen und wie wir dagegen ankommen.

Berlin

17.03.2022, 15:25 Uhr / Lesedauer: 3 min
Alles meins: Beim Vorräte hamstern, befindet sich das Hirn im Krisenmodus. Hamstern gilt als Versuch, die Kontrolle zurückzuerlangen, sagen Konsumpsychologen.

Alles meins: Beim Vorräte hamstern, befindet sich das Hirn im Krisenmodus. Hamstern gilt als Versuch, die Kontrolle zurückzuerlangen, sagen Konsumpsychologen. © picture alliance/dpa/PA Wire

Wer in diesen Tagen im Supermarkt vor Sonnenblumenöl, Hefe, Mehl, Haferflocken oder dem seit der Corona-Pandemie so heiß begehrten Toilettenpapier steht, muss häufig dem inneren Drang widerstehen, ein paar Vorräte in den Einkaufswagen zu packen. Vor allem dann, wenn von den jeweiligen Produkten nur noch wenige übrig sind. Aber versteckt sich hinter den Lücken in den Regalen wirklich ein Lebensmittelengpass? Oder zeigen sie uns nur, dass der nächste Lkw mit Nachschub erst morgen Früh wieder an der Laderampe andockt?

Dass unser Gehirn oftmals vom Schlimmsten ausgeht und im Affekt in den Krisenmodus schaltet, überrascht den Konsumpsychologen Dr. Hans-Georg Häusel nicht. „Leere Regale schüren in uns die Angst, dass es nichts mehr zu essen gibt und wir empfinden gleichzeitig leichten Ärger darüber, dass andere schneller waren als wir selbst. Gleichzeitig fürchten wir, die Kontrolle über die Situation zu verlieren“, sagt der Hirnforscher. Hinter diesen Gedanken und Gefühlen stecke unser Angstsystem, das zu allem Überfluss das stärkste System in unserem Gehirn ist.

Danach komme der zweite Teil, erklärt Häusel, der eine Spirale in Gang setze: „Oft schätzen wir unsere Angst größer ein, als sie ist. Deshalb kaufen wir vorsichtshalber ein oder zwei Produkte mehr ein, solange sie noch verfügbar sind. Das führt zu der selbsterfüllenden Prophezeiung, denn dann ist das Regal wirklich leer, und es kommt zu Versorgungslücken, die diese Angst ein Stück weit bestätigen“, so der Experte.

Es besteht kein Grund zur Sorge

Dabei müssen wir uns in der derzeitigen Lage überhaupt keine Sorgen machen, sagt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Es verfolge die Auswirkungen der momentanen Krise auf die Versorgungslage in Deutschland engmaschig, erklärt eine Sprecherin gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln sei in Deutschland gewährleistet, da wir einen hohen Selbstversorgungsgrad bei bestimmten Gütern wie Weizen aufweisen würden und der Agrarhandel mit Russland seit dem Embargo 2014 ohnehin sehr eingeschränkt sei.

Eine von vielen Vorsorgemaßnahmen der Regierung ist die Bevorratung von Lebensmitteln. In der Bundesreserve Getreide seien Weichweizen, Roggen und Hafer in Höheder Größenordnung von gut 700.000 Tonnen gelagert, heißt es aus dem Ministerium. Die Zivile Notfallreserve (Reis, Erbsen, Linsen und Kondensmilch) umfasse zudem einen Bestand von gut 130.000 Tonnen. Bisher hätte die Regierung noch nie auf die bevorrateten Lebensmittel zurückgreifen müssen, auch nicht während der Corona-Pandemie.

Ob notwendig oder nicht: Unser Gehirn sorgt sich und es ist schwer, die komplexen, automatisierten Vorgänge in unserem Hirn zu kontrollieren, besonders wenn wir unter Zeitdruck im überfüllten Supermarkt vor den leeren Regalen stehen. Dennoch sei es möglich, das eigene Verhalten zu beeinflussen, sagt Dr. Hans-Georg Häusel.

Hamsterkäufe: So schaffen wir es, dem Drang zu widerstehen

Der Konsumpsychologe rät, die eigenen Sorgen näher zu erforschen und bewusst zu hinterfragen. „Wir sollten herausfinden, welche Sorgen wir haben und wo sie herkommen“, sagt der Experte. Danach könnten wir unsere konkreten Ängste mit einem Blick auf die Erfahrungen der vergangenen Jahre relativieren. Denn die Erfahrungen würden zeigen, dass die Versorgungsengpässe in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie relativ schnell gemeistert wurden. „Darauf können wir uns verlassen und uns zurücklehnen“, sagt der Hirnforscher.

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Dr. Hans-Georg Häusel, der sich in mehreren Büchern intensiv mit unserem Konsumverhalten beschäftigt hat, rät außerdem dazu, sich auf das Gebot der Fairness zu besinnen. Es könne helfen, sich ernsthaft zu fragen: Welche Menge von diesem Produkt brauche ich in den nächsten zwei bis drei Wochen wirklich? Der eigenen Angst vor dem Kontrollverlust nachzugeben und fünf Flaschen Sonnenblumenöl statt einer Flasche zu kaufen sei laut Häusel egoistisch und nicht gut für andere.

Hamstern führt zu leeren Regalen

Diese Meinung vertritt auch der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels. BVLH-Sprecher Christian Böttcher hält übermäßige Vorratskäufe aus zwei Gründen für hinderlich: Erstens beschädige man damit andere Kunden und zweitens könne eine Vorbildwirkung entstehen, die andere Menschen ebenfalls zum Hamstern animiere. Dieses Kaufverhalten belaste zusätzlich die Lebensmittellieferkette und führe dazu, dass viele Produkte ausverkauft seien, erklärt Böttcher und betont noch einmal: „Hamstern wirkt verstärkend auf den Mangel an bestimmten Produkten.“

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Mit unserem Einkaufsverhalten haben wir also großen Einfluss auf die Lebensmittelversorgung im ganzen Land und somit auch auf unser eigenes Sicherheitsgefühl. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ruft deshalb dazu auf, Solidarität zu zeigen, verantwortungsvoll zu handeln und bedarfsgerecht einzukaufen. Es liege auch „an der Solidarität jedes Einzelnen an der Supermarktkasse, um Putins perfider Verknappungsstrategie entgegenzutreten“.

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Wer doch noch etwas mehr Sicherheit benötigt, findet ausführliche Informationen über die Reserven des Bundes und Empfehlungen zur privaten Vorsorge auf www.ernaehrungsvorsorge.de.

RND