Wann Patienten direkt ins Krankenhaus sollten

Verstopfte Notaufnahmen

Volle Flure, gestresstes Personal: Wer in die Notaufnahme ins Krankenhaus geht, muss auf die ersehnte Hilfe oft lange warten. Denn für zu viele Patienten ist es die erste Anlaufstelle - auch mit leichteren Beschwerden. Aber wann sollte man mit einer Krankheit oder Verletzung wirklich in die Notaufnahme gehen?

Berlin

, 07.09.2016, 05:41 Uhr / Lesedauer: 3 min
Die Krankenkassen bemängeln, dass immer mehr Patienten mit Bagatellerkrankungen direkt in die Notaufnahme gingen.

Die Krankenkassen bemängeln, dass immer mehr Patienten mit Bagatellerkrankungen direkt in die Notaufnahme gingen.

Die Notaufnahmen in Deutschlands Krankenhäusern werden nach einer neuen Studie durch Millionen Patienten mit leichteren Erkrankungen verstopft. Lebensbedrohlich erkrankte Patienten drohen so oft zu spät behandelt zu werden. "Viele Patienten wissen heute nicht, an wen sie sich im Notfall wenden sollen", sagte die Vorsitzende des Ersatzkassenverbands vdek, Ulrike Elsner, bei der Vorstellung einer neuen Studie in Berlin.

Krankenhäuser tendierten zudem dazu, leichtere Fälle stationär aufzunehmen, obwohl das eigentlich gar nicht nötig sei. Mehr als 20 Millionen Menschen landeten so mittlerweile jedes Jahr in der Notaufnahme, sagte Ulrike Elsner. Laut der Studie des Instituts AQUA gibt es Steigerungsraten von vier bis neun Prozent pro Jahr. Das Klinikum Dortmund verzeichnet sogar jährliche Steigerungsraten von „bis zu zehn Prozent“, sagt dessen Sprecher Marc Raschke. Bei bis zu zwei Drittel der Patienten reiche eine rein ambulante Betreuung, sagte AQUA-Geschäftsführer Joachim Szecsenyi.

Kassen fordern neue Anlaufstelle

Die Ersatzkassen fordern nun, dass an jeder der 1600 Kliniken mit Notfallversorgung Portalpraxen eingerichtet werden. Das sollen erste Anlaufstellen sein, in denen die Patienten eingeteilt werden – in akute Fälle für die Notaufnahme, akute Fälle für eine ambulante Behandlung und nicht akute Fälle für Arztpraxen. Patienten, die nicht sofort behandelt werden müssten, sollten auch an normale Arztpraxen vermittelt werden – sofern sie zu Sprechstundenzeiten in die Notaufnahme gingen.

Kritik an "Vollkasko-Mentalität"

Das sind die meisten, nämlich „75 Prozent der Fälle“, weiß Jens Flintrop, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe. Klinikums-Sprecher Marc Raschke führt das auch auf eine „Vollkasko-Mentalität“ zurück, getreu dem Motto: „Wieso sollte ich wochenlang auf einen Facharzttermin warten, wenn ich im Krankenhaus die Rundumversorgung sofort bekomme?“

Joachim Szecsenyi, der für den Ersatzkassenverband vdek federführend eine neue Studie zum Run auf die Ambulanzen geschrieben hat, meint, das Problem fange bei schwindendem Bewusstsein der Menschen zur eigenen Gesundheit an. „Die Patienten müssten besser informiert werden: Wann muss ich überhaupt zum Arzt?“ Wo früher bei einem fiebernden Kind ein Wadenwickel erst einmal ausreichte, ist heute am Wochenende, wenn die Arztpraxis geschlossen ist, oft die Klinik die erste Anlaufstelle.

Patienten haben freie Arztwahl

Akute Verletzungen sollten natürlich auch akut behandelt werden - aber wann geht man ins Krankenhaus und wann besser zum niedergelassenen Arzt? „Im Prinzip haben Patienten die freie Arztwahl“, erklärt Prof. Reinhard Hoffmann von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU).

Wer aber mit jedem Zipperlein ins Krankenhaus fährt oder so die Wartezeit auf Termine umgehen will, erschwere unter Umständen die Versorgung echter Notfälle. Patienten mit offensichtlich schwereren Verletzungen, die zudem liegend transportiert werden müssen, gehörten ins Krankenhaus.

Wer sich beim Sport offensichtlich den Fuß gebrochen hat oder beim Schlittschuhlaufen schlimm auf das Handgelenk gefallen ist, kann zum niedergelassenen Unfallchirurgen oder Orthopäden - oder er kann direkt ins Krankenhaus fahren. Mit leichteren Verletzungen wie einem verknacksten Fuß oder einem gebrochenen Finger sollte man eher zum niedergelassenen Arzt gehen. Auch für die Auffrischung des Impfschutzes oder wegen eines dicken Schnupfens sollte man sich nicht in die Notaufnahme setzen.

Mit erheblichen Wartezeiten rechnen

„Am Wochenende natürlich auch direkt damit ins Krankenhaus“, rät Hoffmann, der auch Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) ist, im Fall von Brüchen oder dem verknacksten Knöchel. Wer vor zwei Wochen beim Skifahren gestürzt ist und am Wochenende plötzlich Schmerzen im Knie bekommt, gehöre aber nicht in die Notfallaufnahme.

Grundsätzlich wird man mit einer akuten Verletzung nicht weggeschickt - sowohl beim Facharzt als auch in der Klinik. Allerdings muss man unter Umständen mit erheblichen Wartezeiten rechnen. Für eine aufwendige apparative „Komplettdiagnostik“ müsse man auch in den Kliniken in den meisten Fällen einen Termin machen, sagt Hoffmann.

Bei Anzeichen eines Herzinfarktes nie zögern

Niemals zögern sollte man bei Anzeichen eines Herzinfarktes. Das Patienteninformationsportal des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit nennt hier als typische Anzeichen:

  • Schmerzen im Brustkorb
  • Atemnot
  • Gefühl der Enge und Druck im Brustkorb
  • Schwächegefühl oder Bewusstlosigkeit
  • Schwindel, Übelkeit, Erbrechen
  • Schwitzen, Blässe, kalter Schweiß

In solchen Fällen zählt jede Minute, und man sollte sofort unter 112 den Rettungswagen rufen.

Mit Material von dpa