Uraufführung von Michael Korstick nach 80 Jahren

Klavier-Festival Ruhr

Raritäten und Ausgrabungen sind neben den neuen Werken das Salz in der Suppe eines Festivals. Wenn der Intendant des Klavier-Festivals Ruhr, Franz Xaver Ohnesorg, nach solchen Raritäten sucht, fragt er gerne den Pianisten Michael Korstick. Am Donnerstag war es eine Uraufführung, die er mit der Neuen Philharmonie Westfalen unter Leitung von Peter Ruzicka im Ruhrfestspielhaus Recklinghausen bot.

RECKLINGHAUSEN

, 14.07.2017, 15:55 Uhr / Lesedauer: 1 min
Michael Korstick hat beim Klavier-Festival Ruhr in Recklinghausen gespielt.

Michael Korstick hat beim Klavier-Festival Ruhr in Recklinghausen gespielt.

Michael Korstick sieht sich als "Enzyklopädisten". Und zu dem, was er gerne zusammenträgt und aufführt, gehören pianistische Raritäten.

An die 80 Jahre dürften die "Tag- und Nachtstücke für Orchester und obligates Klavier" von Walter Braunfels alt sein. Genau weiß das niemand, denn Braunfels, der Gründungsdirektor und erste Nachkriegsdirektor der Kölner Musikhochschule, komponierte sie zu einer Zeit, in der die Nazis ihn als "Halbjuden" kaltgestellt hatten.

Noten erst seit 1954 vollständig

Erst bei der wissenschaftlichen Auswertung des Nachlasses des 1954 verstorbenen Komponisten tauchten die vollständigen Noten auf.

Mit chromatischen Wendungen schafft Braunfels atmosphärisch dichte Stimmungsbilder zwischen schwül-vernebelten Nocturnes und hymnisch auftrumpfenden "Tagstücken", pastoraler Idylle und einem ironisch burlesken "Geschwindenmarsch" im Zentrum.

Korstick überdreht wie Prokofjew

Vorbilder wie Bruckner schimmern im Orchestersatz durch, aber auch eine kühne rhythmisch harmonische Überdrehtheit, wie sie von Prokofjew stammen könnte.

Der Klaviersatz wirkt in Teilen recht konventionell, hat aber wirkungsvolle virtuosen Glanzpunkte, die bei dem detailversessenen Interpreten Korstick zur Geltung kommen. So sind die Tag- und Nachtstücke sicher keine spektakuläre Ausgrabung, doch allemal der Wiederentdeckung wert.