
Der Wald in NRW und ganz Deutschland hat in den letzten Jahren sehr gelitten. Dabei ist er für ein gesundes Klima äußerst wichtig. © picture alliance/dpa
Stürme, Hitze, Borkenkäfer - Ist der Patient Wald noch zu retten?
Serie: Unser Klima
Freizeit und Natur: Wälder sind als grüne Lungen wichtig fürs Klima, jedoch zugleich vom Klimawandel ernsthaft bedroht. Ob die Rezepte und Therapien der Politik helfen, ist fraglich.
Mitte Februar dieses Jahres fegten gleich vier Orkane über NRW hinweg – mit enormen Folgen. Knapp 500 Hektar Wald knickten durch das Extremwetter ab. Was den Zustand des Waldes in unserem Bundesland angeht, gibt es deshalb kaum Anlass für Freude.
Zwar verkündete die ehemalige NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) im Dezember vergangenen Jahres, „der Wald habe sich ein Stück weit erholt“ und der Anteil der Bäume sei leicht gestiegen, die keine Kronenverlichtung, also den sichtbaren Nadel- und Blattverlust im Bereich der Baumkrone, aufweisen – eines der eindeutigsten Zeichen für Waldschäden. Doch die vermeintlich positiven Ergebnisse lassen sich nur auf wenige Baumarten, wie beispielsweise die Buche, ummünzen. Bei Eichen und Fichten etwa gibt es eine Verschlechterung, wie der Waldzustandsbericht NRW für 2021 zeigt.
So veröffentlichte auch der Naturschutzbund (Nabu) Deutschland im Februar alarmierende Zahlen. Demnach sind fast fünf Prozent der gesamten deutschen Waldfläche, eine Fläche etwa doppelt so groß wie das Saarland, in den drei Jahren von 2018 bis 2021 zerstört worden. Die ungewöhnlichen Hitze- und Dürreperioden in dem Zeitraum haben den Befall von schädlichen Insekten begünstigt, Bäume starben also ab oder mussten gefällt werden, um dem Borkenkäfer die Nahrung zu nehmen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte den Befund für den NABU mithilfe von Satellitendaten festgestellt.
Bedrohung durch Borkenkäfer
Wie kam die Ministerin also zur Aussage, der Wald habe sich „ein Stück weit“ erholen können? Die Antwort ist: Es gab keinen Hitzestress im Vergleich zu den Vorjahren. Das kühle Frühjahr 2021 sorgte dafür, dass Borkenkäfer erst relativ spät ihre Winterquartiere verließen, um in gesunden Fichten ihre Brut anzulegen. Erst ab Mai haben sie begonnen, die Fichten zu befallen.
Der Borkenkäfer ist ein normaler und integraler Bestandteil des Waldes, da er Totholz bei der Verrottung hilft. Er vermehrt sich allerdings extrem bei Dürre und wenn es genügend Totholz gibt. Und wenn der Borkenkäfer dann auf gesunde Bäume übergreift, kann er ein großflächiges Absterben von Waldbeständen auslösen. Der Baum hat dann keine Chance mehr, genügend Harz zu bilden, das er zum Schutz vor dem großflächigen Schädlingsbefall produziert.
Erkennbar wird das, wenn die Baumkronen sich verfärben – erst werden sie durch den Befall rot und dann grau. Gerade heiße Sommer, wie etwa 2018 bis 2020, helfen dem Borkenkäfer, sich zu vermehren und mehrere Generationen an Borkenkäfern in einem Jahr heranzuziehen. Und damit kommt es zu großflächigen Schäden, die weit über das normale Maß hinausgehen.
Kahlflächen – Zeichen eines toten Waldes, aber auch Chance für Neuanfang
Die Forstwirtschaft geht aber auch dazu über, schon befallene Fichten zu fällen und jegliches für die Käfer bruttaugliche Material aus dem Wald zu entfernen – so entstehen im Wald dann Kahlflächen. 2019, so rechnet die Landesregierung, waren mindestens elf Millionen Fichten in NRW davon betroffen. Seitdem dürfte die Zahl noch deutlich gestiegen sein, denn die Hitzesommer dauern an. So zeigte der Deutsche Wetterdienst für das laufende Jahr an, die warme Jahreszeit in Deutschland sei 2022 deutlich zu warm und zu trocken. Schon im ersten Sommermonat, dem Juni, war das auch an den Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit zu erkennen. Für den Wald ist das eine große Gefahr.
Kahlflächen sind auf den ersten Blick ein alarmierendes Signal. Eine zusätzliche Gefahr entsteht durch zu viele Totbäume, da sie leicht zerbrechlich sind und schon bei windigem Wetter Tiere und Menschen in der näheren Umgebung bedrohen. Außerdem begünstigen sie Waldbrände: „Das ist nichts anderes als Brennholz, das da im Wald steht“, sagt Stefan Schütte, der Förster im Revier Büren im Kreis Paderborn ist.
Entstehen Kahlflächen, so verpflichtet das Landesforstgesetz die Waldbesitzer in Nordrhein-Westfalen, sie innerhalb von zwei Jahren wieder aufzuforsten. Kalamitäten – das sind die schweren Schäden, die durch Extremwetterereignisse wie zum Beispiel Hitze entstehen – sollen also durch Neupflanzung oder Naturverjüngung ausgebessert werden.
Der Landesbetrieb Wald und Holz NRW hat dazu eine Reihe Grundsätze herausgegeben. Darin enthalten sind: Mischbestände aus vier Baumarten sollen dem Wald wieder Vitalität und Stabilität schenken. Heimische Baumarten sollen dabei im Vordergrund stehen, wissenschaftlich ausgewählte und eingeführte Baumarten aber ebenfalls integriert werden. Um Trockenheit im Herbst und im Sommer zu umgehen, wird für Laubholzbäume eine Pflanzung im Herbst empfohlen.
Dürrständer und Mutterstöcke
Gerade für die jungen Pflanzen seien für die Förster und ihre Kollegen dann die toten Bäume wichtig für die Aufforstung. Denn: „Ein Teil unserer Totholz-Strategie sind Dürrständer, das sind voll abgestorbene Bäume“, sagt Förster Schütte. „Und dann haben wir die Mutterstöcke, die bis zu drei Meter Höhe haben und alle zehn Meter stehengelassen werden“, berichtet er. Mutterstöcke heißen sie, weil sie junge hochkommende Pflanzen „bemuttern“. Sie schützten die Bäume durch Schatten und versorgten sie mit Bodenfeuchtigkeit. In ihrer Funktion als Regenfänger leiteten sie bis zu 60 Prozent mehr Wasser zu den Jungbäumen, so Schütte.
In seinem ostwestfälischen Revier zieht der Förster derzeit junge Weißtannen heran und pflanzt diese dann in der Nähe besagter Mutterstöcke an. „Unsere Generation von Förstern hat die Chance, eine Perspektive für den Wald aufzubauen. Wir etablieren eine Waldgeneration mit einer Mischung aus Baumarten“, sagt Schütte. Er habe eine Liste von 30 verschiedenen Baumarten, die Teil des Zukunftskonzepts seien.
Und: „Durch die Totholz-Strategie als wichtigem Baustein der nächsten Waldgeneration lassen wir sehr viele Nährstoffe auf der Fläche“, sagt Schütte. So sieht ein idealer Wald für die nächste Generation dann aus: Struktur-Reichtum, also der Wechsel zwischen dichten und lichteren Baumbeständen, Mutterstöcke neben Dürrständern, dazu neue Baumarten wie Douglasie oder Weißtanne. In vielen Forsten in NRW ist das schon Realität.
Wald in NRW — was will die Landesregierung?
Dem Wald zu helfen ist dringend nötig, denn die Niederschläge reichten zum Beispiel im vergangenen Jahr nicht aus, um den Wald weniger anfällig für Borkenkäfer zu machen. Und um die Aufforstung erfolgreich zu machen, braucht es den Einsatz vieler Waldbesitzer. Das weiß Julian Mauerhof, Forstamtsleiter für den Niederrhein in Wesel, nur zur Genüge. Denn: „NRW ist Privatwaldland“, sagt er. „Der private Eigentümer muss es sich auch leisten können eine Investition in den Wald der Zukunft zu machen, von der er nichts haben wird.“
Das zeigen auch Daten des Landes. Laut des Umweltministeriums NRW gibt es im bevölkerungsreichsten Bundesland aufgrund historischer Entwicklungen fast 6000 Quadratkilometer Privatwald, das entspricht rund 63 Prozent der gesamten Waldfläche in NRW. Damit hat NRW den höchsten Anteil an Privatwald, wenn alle deutschen Bundesländer miteinander verglichen werden.
Diese Fläche teilen sich rund 148.000 Eigentümer. Die meisten davon besitzen weniger als 30 Hektar, das sind 0,3 Quadratkilometer – also nur ungefähr ein Zwanzigtausendstel der Gesamtfläche Wald in NRW. Verständlich, dass die Aufgabe der Wiederbewaldung angesichts dieser zerfaserten Besitzverhältnisse eine besondere Herausforderung darstellt.
Im aktuellen Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung heißt es zum Thema Wald unter anderem: „Wir streben einen klimastabilen resilienten Mischwald an. Wir werden das Wiederbewaldungskonzept in einem Prozess mit Wissenschaft, Verbänden und Institutionen aus Wald und Forst zu einer Waldstrategie NRW mit ökologischen Mindeststandards weiterentwickeln.“
Zwei Prozent der gesamten Landeswaldfläche sollen aus der Nutzung genommen und für den Naturschutz gesichert werden. Dazu will die Landesregierung ein Sofortprogramm zur Unterstützung der Forstbetriebe auflegen und außerdem mehr als eine Million Bäume innerhalb von Städten und Gemeinden neu pflanzen.
Der Nabu begrüßte in einer Stellungnahme von Ende Juni 2022 einerseits die Erhöhung der Mittel für den Naturschutz, kritisiert aber die neue ministerielle Aufteilung von Land- und Forstwirtschaft einerseits und Umwelt- und Naturschutz anderseits, die im vorherigen Kabinett Wüsts noch in einem Amt verzahnt war. „Damit würden Strukturen zerschlagen, die für die Umsetzung von Naturschutzzielen in der Fläche, aber auch für eine fortschrittliche Gestaltung der Agrar- und Waldpolitik unerlässlich seien. Der Naturschutz droht marginalisiert zu werden“, kritisiert Heide Naderer, Vorsitzende des Nabu NRW.