
Förster Julian Mauerhof zeigt durch Schädlinge verursachte Rindenverletzungen an einer Buche im Diersfordter Wald bei Wesel. Foto: Arnd Janssen © Arnd Janssen
Der kranke Wald geht uns alle an, sagt Förster Julian Mauerhof
Serie: Unser Klima
Freizeit und Natur: Der Leiter des Regionalforstamts Niederrhein, Julian Mauerhof, beschreibt, wie der Wald schon seit 40 Jahren umgebaut wird, um den Klimawandel zu überleben.
Herr Mauerhof, die Medien sprechen oft von einem „dramatischen Zustand des Waldes“ - auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Betrifft uns das als Bürger eigentlich persönlich?
Mauerhof: Es betrifft uns alle. Das ist auf jeden Fall dramatisch für uns Förster, die mit einem fachlichen Auge in den Wald gehen und viel mehr darauf achten, Warnzeichen zu erkennen. Aber man muss sich vor Augen führen, dass der Wald für uns Wasserspeicher, Wasserfilter und Luftproduzent ist. Dazu bindet er CO2 und produziert Holz. Wenn es dem Wald als eines der größten lebenswichtigen Organe der Welt so schlecht geht, dann ist das sehr alarmierend.
Besteht denn noch Hoffnung für den Wald in NRW?
Hoffnung für die Zukunft besteht immer, die geben wir auch nicht auf. Wir müssen uns aber umorientieren. Wir müssen in langen Zeiträumen denken und überlegen, welche Baumarten mit den Extremen, die wir gerade erleben, zielführend sind. Wir müssen unsere Monokulturen stellenweise umbauen und klimastabil machen. Wir müssen aber auch die Strukturen im Wald erhalten, denn unser Hauptziel ist, dass Wald Wald bleibt. Da bin ich aber optimistisch.
War das relativ niederschlagsreiche Jahr 2021 ein Grund zum Aufatmen?
Wir haben tatsächlich aufgeatmet. Das Jahr 2021 ist vergleichsweise feucht gestartet, das war wichtig. Mit dem zum Ende hin doch trockenen Frühjahr und Sommer in diesem Jahr ist das Aufatmen allerdings wieder vorbei. Wir machen uns aktuell große Sorgen und hoffen auf Regen.
Was passiert da gerade?
Durch die Schäden der letzten Jahre haben wir viele Kahlflächen im Wald und müssen junge Bäume pflanzen. Dabei macht uns gerade die meisten Sorgen, wie sich diese mit der Trockenheit entwickeln. Denn gerade die jungen Bäume sind auf Oberflächenwasser angewiesen und das ist nicht da. Der junge Baum will wachsen und findet kein Wasser – das ist ein Riesenproblem. Dadurch kann die neue Generation jetzt schon wieder absterben. Wir können auch nicht sagen, ob es im nächsten Jahr schon wieder besser wird. Wir haben in den letzten Jahren die Erfahrungen gemacht, dass diese Neuanpflanzungen oftmals vertrocknet sind. Das ist fatal.
Welche Schädlinge setzen dem Wald besonders zu?
In ganz NRW ist der Fichtenborkenkäfer ein Problem, er kommt, wie der Name schon sagt, vor allem an der Fichte vor. Da darf man sich aber nicht irreleiten lassen, jeder Baum hat seinen eigenen Schädling. Es gibt auch Borkenkäfer, die beispielsweise auf Lärchen, Kiefern oder Buchen spezialisiert sind – also ein riesiges Spektrum. Ein Käfer ist darauf angewiesen, dass es dem Baum schlecht geht.
Wenn der Baum vital und wehrhaft ist, also Harz produziert, dann hat der Käfer eigentlich keine Chance. Wenn der Käfer aber Witterungsbedingungen vorfindet, die für seine Entwicklung gut sind, also lange Tage, viel Sonne, Trockenheit, keine wirklichen Winter, dann führt das zu sogenannten komplexen Krankheiten: Das eine bedingt das andere. Bei Sturm können zusätzlich die feinen Wurzeln abreißen, wenn der Baum sich bewegt. Die feinen Wurzeln braucht der Baum aber, um Wasser und Nährstoffe aufzunehmen.
Die Fichte gilt als eines der größten Sorgenkinder, ist sie für den deutschen Wald gestorben?
Für den Niederrhein oder auch große Teile des Sauerlandes kann man das bescheinigen. Aber nein, insgesamt ist sie nicht gestorben. Die Fichte wird weiterhin eine Rolle spielen, sie wird mitwachsen. Aber sie kann nicht alleine da sein, dafür ist sie viel zu instabil. Man muss sich andere Alternativen überlegen. Für gutes Bauholz kann man Lärche, Douglasie, Kiefer oder Tanne nehmen und auch mit Laubbäumen kann man Bauholz herstellen, da gibt es schon eine positive Entwicklung. Wir müssen in diesem Bereich aber noch stärker werden.
Wie soll das genau gehen, den Wald umzustrukturieren?
Das ist eine schwierige Frage. Bis 2020 sagten wir uns noch, der Besteckkasten ist voll, wir haben genügend Werkzeuge. Dann stellten wir fest, dass alle unsere heimischen Baumarten unter diesen besonderen Klima-Bedingungen leiden. Die Buche hat aber die Möglichkeit sich genetisch anzupassen. Dadurch ist sie eine der Baumarten, die bei uns im Fokus steht, ähnlich die heimischen Eichenarten.
Aber wir müssen den Blick über den Tellerrand wagen, was wir auch an vielen Stellen schon ausprobiert haben. Mit fremdländischen Baumarten versuchen wir auf der Fläche ein buntes Portfolio von Baumarten zu haben. Da müssen wir aber jahrzehnteweise arbeiten, denn innerhalb von fünf Jahren kann man nicht erkennen, ob neue Arten funktionieren. Aber wenn eine Baumart ausfällt, kann man mit der anderen weiterarbeiten, da sind zum Beispiel Küstentanne oder Douglasie ein Thema.
Wie lange werden wir für einen gesunden Übergang des Waldes brauchen?
Dieser passiert bereits seit mindestens 40 Jahren. Die Förster sind da dran, Monokulturen aus Fichten, Kiefern oder Buchen in strukturreiche Mischwälder zu führen, die alte und junge sowie verschiedene Baumarten beinhalten. Aber das braucht sehr viel Zeit und kostet ebenso viel Geld. In NRW sind wir Privatwaldland, der private Eigentümer muss es sich auch leisten können eine Investition in den Wald zu machen, von der er nichts haben wird. Unsere Enkel oder Urenkel werden von dieser Investition profitieren, aber das muss man auch wollen.
Es hängt aber auch davon ab wie sich das Klima entwickelt. Wenn wir große Schwankungen bekämen – also zum Beispiel fünf Jahre viel Regen und Kälte – hätten wir ganz andere Extreme, als die, die wir jetzt haben. Aktuell steuern wir leider dahin, dass wir wieder so eine extreme Trockenheit bekommen. Damit wissen wir nicht so wirklich umzugehen, weil wir nichts daran ändern können.

Wo einst Fichten standen, sind nur ein paar Laubbäume übrig. Der Klimawandel, Stürme, heiße Sommer sowie die damit verbundene rapide Vermehrung des Borkenkäfers machen dem Wald, insbesondere den Fichten, schwer zu schaffen - auch bei uns in NRW. © picture alliance/dpa
Kriegen wir die Probleme in den nächsten 50 Jahren in Griff?
Das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Ich bin da optimistisch. Die Krise der letzten Jahre zeigt uns, dass wir mitten drin im Klimawandel sind und umdenken müssen. Um das Ruder „Klimawandel“ rumzureißen, dafür sind wir in Deutschland eigentlich zu klein, da müssten alle auf der Welt mitspielen. Wir sollten aber dennoch nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: ‚Das bringt eh nichts, in 50 Jahren ist der Wald sowieso weg‘.
Wir haben den Kipp-Punkt dieses Jahr schon erreicht, also den Moment an dem bestimmte Entwicklungen nicht mehr umkehrbar sind. Diese Meldung kommt bei uns Menschen an. Wir sehen jetzt, dass alles teurer wird, dass man nicht mehr alles haben kann, was man haben will. Unsere Generation ist da sicher sehr behütet aufgewachsen. Ich mache mir aber große Sorgen, was die Generation meiner Kinder und deren Nachkommen erleben werden. Prognosen kann man aber gar nicht machen.
Was wünschen Sie sich in Ihrem Berufsleben noch für den Wald?
Geld und Personal ist immer gut zu haben. Und wir müssen zusehen, dass der Wald Wald bleibt. Wie er am Ende aussieht, ist fast egal. Die öffentliche Aufmerksamkeit dafür haben wir. Ich wünsche mir, dass wir fachlich gehört werden und damit verbunden Vertrauen von der Politik und der Bevölkerung zugesprochen bekommen. Wir haben das studiert, wir haben jahrzehntelange Erfahrung, auf die wir zurückgreifen können. Da wünsche ich mir, dass das respektiert und angenommen wird.