Strahlender Bohrschlamm?

Umweltschützer kritisieren Deponierung

Es ist ein Vorgang, der stutzig macht: 4111 Tonnen Bohrschlamm aus Niedersachsen sind auf einer Deponie für Haus- und Gewerbemüll in Altenberge bei Münster entsorgt worden – obwohl das Material als gefährlich deklariert wurde. Umweltschützer sind empört, Experten gelassen, die Bezirksregierung will sich mit dem Thema nun noch einmal befassen.

ALTENBERGE

, 07.04.2016, 11:27 Uhr / Lesedauer: 2 min
Erdölförderung im niedersächsischen Rühme bei Braunschweig. Bei der Gewinnung von Öl und Erdgas fallen Bohrschlämme an, die hochgiftig und radioaktiv sein können.

Erdölförderung im niedersächsischen Rühme bei Braunschweig. Bei der Gewinnung von Öl und Erdgas fallen Bohrschlämme an, die hochgiftig und radioaktiv sein können.

Was war passiert? Im Auftrag von RWE wurde 2015 die Bohrschlamm-Grube Gölenkamp in Niedersachsen saniert. Jahrzehntelang wurden in dem Bundesland Abfälle aus der Öl- und Gasförderung direkt an den Förderstätten in Bohrschlammgruben gelagert. „Dieses Verfahren ist aber insbesondere wegen der Quecksilberbelastung der Schlämme inzwischen verboten“, erklärt Dr. Dietmar Weiß, Radioökologe bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS).

Rund 500 Bohrschlammgruben werden in Niedersachsen vermutet, von denen viele nun saniert werden müssen. Doch in Niedersachsen fehlt es an geeigneten Deponien. Und so landeten in den letzten zehn Jahren 700 000 Tonnen Schlamm auf Sondermülldeponien in anderen Bundesländern, in NRW allein rund 335 000 Tonnen in Hürth im Rhein-Erft-Kreis. Aber eben auch rund 4000 Tonnen auf der Haus- und Gewerbemülldeponie in Altenberge – obwohl der Schlamm mit der Abfallschlüsselnummer 010506* versehen war. Dahinter verstecken sich „Bohrschlämme und andere Bohrabfälle, die gefährliche Stoffe enthalten“.

BUND: Schlamm ist Sondermüll

Dirk Jansen vom Umweltschutzverband BUND kritisiert: „In der Regel muss dieser Schlamm als Sondermüll entsorgt werden“. Er enthalte Quecksilber, Arsen, Benzol und nicht zuletzt radioaktive Inhaltsstoffe, insbesondere Radium. „Bei Abfällen von Öl- und Gasbohrungen ist von einer radioaktiven Belastung auszugehen. Ein Test müsste dabei Standard sein“, fordert Jansen.

Es gebe keine Anhaltspunkte, dass ein Fehlverhalten vorliege, verteidigt die Bezirksregierung Münster den Vorgang. „Es gibt Entsorgungsnachweisverfahren“, sagt Dr. Christel Wies, Abteilungsleiterin für Umwelt- und Arbeitsschutz bei der Bezirksregierung Münster. „Wir haben in Altenberge nachgefragt, dort wurden alle Unterlagen geprüft.“ Der Schadstoffgehalt des Schlamms habe demnach eine Deponierung zugelassen. Eine Überprüfung auf Radioaktivität sei nicht erfolgt. „Hier hätte der Abfallerzeuger anzeigen müssen, dass das ein Thema ist. Dort wurde das nicht so gesehen.“

Aufgrund verschiedener Medienberichte will die Bezirksregierung nun aber noch einmal Rücksprache mit dem Entsorger halten. „Wir werden dem nachgehen“, erklärt Wies. Der Radioökologe Weiß will sich nicht zu Einzelfällen äußern, sagt aber: Dass Bohrschlamm trotz der Deklarierung als „gefährliche Stoffe“ enthaltend nicht auf einer Sondermülldeponie gelagert wird, sei kein ungewöhnlicher Vorgang. „Der Bohrschlamm muss zunächst entsprechend seiner Abfallschlüsselnummer lückenlos auf Schadstoffe getestet werden. Wenn die Grenzwerte für die jeweilige Deponieklasse eingehalten werden, spricht nichts gegen eine dortige Lagerung.

Radioaktive Belastung

Auch der Betreiber der annehmenden Deponie macht noch einmal eine Eingangskontrolle“, erklärt Weiß. Zur Problematik radioaktiver Schlämme sagt er: „Nennenswert radioaktiv belastete Schlämme fallen insbesondere bei der Reinigung von Förderrohren und Tanks ab.“ In Deutschland seien das jährlich etwa 50 bis 250 Tonnen mit einer Aktivität des Radiums von durchschnittlich etwa 20 bis 100 Becquerel pro Gramm (Bq/g). „Noch stärker belastet sind sogenannte ‚Scales‘, trockene Ablagerungen an den Innenwänden der Fördersonden mit einer Aktivität von bis zu 1000 Becquerel pro Gramm.“ Diese Scales, von denen jährlich nur etwa 20 bis 60 Tonnen anfallen, würden aber ganz anders entsorgt als weniger problematische Schlämme – zum Beispiel zunächst in den Landessammelstellen für radioaktiven Müll. „Ein Großteil der Schlammmengen entsteht bei der Förderung selbst beziehungsweise bei der Erkundung von Lagerstätten. In solchen Schlämmen sind die Radikonuklide nicht angereichert“, so Weiß. Diese Schlämme fallen mit einer Belastung von zumeist unter 0,2 Bq/g nicht unter die Strahlenschutzverordnung.

„Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei zu großen Teilen um Materialien handelt, die aufgrund geringer Aktivität keine überwachungsbedürftigen Rückstände darstellen“, heißt es auch in einer entsprechenden Leitlinie des Bundesumweltministeriums. Aufgrund der in Altenberge deponierten Mengen ist also nicht zu erwarten, dass von dem Schlamm eine Strahlungsgefahr ausgeht. Endgültig wird man das erst sagen können, wenn die Bezirksregierung ihre angekündigte Prüfung abgeschlossen hat.