
Extreme Preissteigerungen beim Neubau des Landesarchivs in Duisburg brachten 2010 eine der größten Korruptionsaffären der vergangenen Jahrzehnte ins Rollen. Der ehemalige Chef des Landesbetriebs Straßenbau, Ferdinand Tiggemann, wurde dafür zu einer jahrelangen Haftstrafe und Schadensersatz in Millionenhöhe verurteilt. © Fotos: dpa/ Montage: Nina Dittgen
Korrupter Spitzen-Manager des Landes NRW muss für Jahre ins Gefängnis
Korruptions-Serie
232.000 Euro Jahresgehalt reichten ihm nicht. Seine Gier brachte den Chef eines Landesbetriebes in NRW für Jahre hinter Gitter. Die Affäre ist der größte Korruptionsskandal seit Jahren.
Ferdinand Tiggemann (72) stand viele Jahre lang an der Spitze des „Bau und Liegenschaftsbetriebs NRW“ (BLB NRW). Hinter diesem spröden Namen verbirgt sich ein riesiges Immobilienunternehmen, dem nahezu alle Grundstücke und Gebäude des Landes gehören – mehr als 4.000.
Diese bewirtschaftet der BLB. Er plant, baut und saniert die Gebäude und vermietet sie dann an landeseigene Behörden, Ministerien, an Hochschulen, die Polizei oder Finanzämter. Zudem plant, baut und saniert der BLB auch für die Bundesrepublik, sofern die Immobilien in NRW liegen. Mehr als 2.500 Beschäftigte hat der BLB.
Es geht um gigantische Geldmengen
In einem solchen Unternehmen werden gigantische Geldmengen bewegt. 2021, so berichtet der BLB, habe man Mieteinnahmen von 1,4 Milliarden Euro erzielt. Jedes Jahr werden viele Millionen für den Kauf von Grundstücken, für den Bau und die Sanierung von Gebäuden ausgegeben. Und Ferdinand Tiggemann war jahrelang der sehr gut bezahlte Chef dieses Betriebs. Er wusste früher als sonst jemand, wann das Land welche Grundstücke benötigen würde. Und dieses Wissens, so stellte sich bei der gerichtlichen Aufarbeitung der Korruptionsaffäre heraus, nutzte er jahrelang aus, um sich zu bereichern.
Der Skandal kam 2010 ins Rollen. Ausgangspunkt waren die exorbitanten Preissteigerungen beim Neubau des Landesarchivs in Duisburg. Statt etwa 52 Millionen Euro sollte der Bau am Ende 200 Millionen Euro kosten.
Grundstück kostete nicht knapp 4, sondern 30 Millionen Euro
So hatte der BLB das für den Bau benötigte Grundstück, so fand der Landesrechnungshof heraus, nicht von der Stadt Duisburg, die ein Vorkaufsrecht für 3,85 Millionen besaß, gekauft, sondern von einer privaten Investorengesellschaft für fast 30 Millionen Euro. Nach und nach kamen immer neue Vorwürfe gegen Ferdinand Tiggemann ans Licht. Ende 2010 wurde er zwischenzeitlich beurlaubt, endgültig lief sein Vertrag dann am 30. April 2011 aus.
Doch die Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelte weiter gegen Tiggemann. 2015 schließlich erhob sie Anklage, 2017 kam es zum Strafprozess, wobei dabei der Fall Duisburg, der Auslöser aller Ermittlungen war, selbst keine Rolle mehr spielte. Das Gericht verurteilte Tiggemann am Ende wegen Bestechlichkeit und Untreue zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft. Damit ging es deutlich über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Die hatte nämlich lediglich sechs Jahre Haft gefordert.
Mindestens 178.000 Euro Schmiergeld kassiert
Mindestens 178.000 Euro Schmiergeld habe Tiggemann über die Jahre kassiert, stellte das Gericht fest. Dem Steuerzahler sei ein Schaden in den drei Fällen, über die schließlich geurteilt wurde, von sechs Millionen Euro entstanden. Dabei stellte das Gericht am Ende aber auch klar, dass man ganz offensichtlich nur die „Spitze des Eisbergs“ sehe und der tatsächliche Schaden wohl deutlich höher sei.
Das Vorgehen Tiggemanns lief – vereinfacht gesagt – nach folgendem Muster: Er gab sein internes Wissen, dass das Land an einer bestimmten Stelle ein Grundstück zu kaufen beabsichtigt, an einen „vorbestraften Berufskriminellen“, wie der Vorsitzende Richter es in seiner Urteilsbegründung beschrieb, weiter.
„Einer der bestbezahlten Funktionsträger des Landes“
Ein Zwischenhändler kaufte das Grundstück dann auf und verkaufte es später zu einem überteuerten Preis an den BLB weiter. „Einer der bestbezahlten Funktionsträger des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich federführend an einem kriminellen Komplott zulasten der Steuerzahler beteiligt“, fasste der Richter die Taten Tiggemanns zusammen.
Der Verurteilte selbst, der noch im Gerichtssaal festgenommen wurde, bestritt während des Prozesses beharrlich, Schmiergeld angenommen zu haben. Das verhinderte allerdings nicht, dass seine Verurteilung im April 2018 rechtskräftig wurde. Damit war der strafrechtliche Teil abgeschlossen.
Zu Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt
Nicht jedoch die zivilrechtliche Aufarbeitung, denn das Land und der BLB verklagten Tiggemann auf 10,2 Millionen Euro Schadenersatz. Am Ende des Prozesses verurteilte das Landgericht ihn im Juli 2020 zur Zahlung von 2,1 Millionen Euro Schadenersatz. Darin enthalten sind auch 138.000 Euro Schmiergeld, die Tiggemann laut Strafurteil kassiert hatte.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
