Schwarzfahrer und „schwarzsehen“ rassistisch? Unfug! Ein Kreuzzug selbsternannter Sprachwächter

Schwarzfahrer unter Rassismusverdacht - und was ist mit dem Führerschein?
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Ulrich Breulmann

Das war ein Rohrkrepierer. Zum Glück. Im September 2020 gaben die Entscheidungsträger der Berliner Verkehrsbetriebe die Empfehlung heraus, künftig auf Begriffe wie „Schwarzfahren“ und „anschwärzen“ zu verzichten.

Sie wollten eine Rassismus-Debatte vermeiden und hofften wohl, diese Wörter aus dem allgemeinen Wortschatz verbannen zu können. Das Ergebnis war niederschmetternd. Auch jetzt, dreieinhalb Jahre später, sind „Schwarzfahren“ und „anschwärzen“ weiter fester Bestandteil des deutschen Sprachschatzes.

Und das ist gut so, denn der Vorstoß war gleich in doppelter Hinsicht absurd. Zum einen war es geradezu aberwitzig, ausgerechnet mitten in der Corona-Pandemie ein solches Fass aufzumachen. Zum anderen lagen die Hobby-Sprachforscher aus der Hauptstadt völlig daneben.

Zahlreiche Sprachwissenschaftler hatten seinerzeit bereits überzeugend dargelegt, dass der Begriff „Schwarzfahren“ rein gar nichts mit einer rassistischen Gesinnung gegenüber Menschen dunkler Hautfarbe zu tun hat. Es gibt verschiedene Herleitungen.

Eine weit verbreitete ist, dass er vom jiddischen Begriff „shvarts“ für Armut abgeleitet wurde: Wer „schwarz“ fährt, ist so arm, dass er sich kein Ticket leisten kann. Ob das stimmt, weiß ich nicht, denn es gibt noch einige andere Erklärungen. Eines aber haben alle gemeinsam: Mit der Hautfarbe hat Schwarzfahren nichts zu tun.

Der Fall aus Berlin steht leider nicht alleine. Seit geraumer Zeit grassiert die Angst, auch völlig arglos und ohne jegliche Diskriminierungsabsicht irgendetwas Falsches zu sagen und dafür dann an den öffentlichen Pranger gestellt zu werden.

Alle Menschen namens Meier mögen mir verzeihen, ich will sie nicht diskriminieren, aber: Wie in Berlin wird diese Angst sehr gerne von einer kleinen Gruppe besonderer Schlaumeier geschürt.

Und – auch das ist irgendwie typisch – neue Wörter, die „verboten“ werden müssten, tauchen gerne dann auf, wenn andere, wirkliche Krisen eigentlich unsere volle Aufmerksamkeit erforderten. Warum das so ist, darüber will ich lieber nicht spekulieren.

Vor allem die sozialen Medien, in denen jeder – ich sag es jetzt mal rustikal – Vollpfosten andere wüst beschimpfen und beleidigen darf, spielen sich dann gerne als die Wächter der sprachlichen Korrektheit auf. Shitstorm heißt das auf Neudeutsch. Das ist irrational und aberwitzig.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt Begriffe, die in der vollen Absicht benutzt werden, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe herabzusetzen und zu beleidigen. Diese Begriffe sind rassistisch, und wir sollten sie aus unserem Wortschatz verbannen. Aber Schwarzfahren?

Wo die Grenzen verlaufen

Wir mussten uns schon von den „Negerküssen“ verabschieden, wofür ich Verständnis habe. Ich finde es auch richtig, für fälschen und tricksen nicht mehr „türken“ zu sagen. Das ist in der Tat abwertend.

Und es gibt Begriffe, bei denen ich mich wundere, dass noch niemand sie angeprangert hat. Bis heute werden sie selbst in amtlichen Dokumenten verwendet. Ich denke da an den „Führerschein“. Der hat zwar so viel mit dem Dritten Reich zu tun wie Schwarzfahren mit Afrika, aber so etwas hat einen der neuen Sprachwächter noch nie gestört.

Bei „Zigeunerschnitzel“, das jetzt zumeist „Balkanschnitzel“ heißt, fällt mir die Einsicht für eine Umbenennung schon schwerer. Ich habe die Soße mit ihren bunten Gemüsezutaten immer als etwas überaus Positives wahrgenommen. Mir ist nie auch nur ansatzweise in den Sinn gekommen, dass ich mit einem solchen Wort jemanden diskriminieren könnte.

Aber gut, wenn sich Menschen durch den Begriff „Zigeunersoße“ tatsächlich beleidigt fühlen, vermeide ich den Begriff künftig – aber die Soße esse ich weiter.

Unsere Sprache in Gefahr

Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Begriffe, vor die selbst ernannte Sprach- und Tugendwächter gerne ein Verbotsschild aufstellen würden. Darüber diskutieren wir gerade in unserer Serie „Alles sagen! Der Streit um die Meinungsfreiheit“ unter der Überschrift „Political Correctness“.

Ich persönlich habe eine große Befürchtung: Wenn wir so weitermachen mit unserer Zerstörung der deutschen Sprache, sehe ich schwarz. Ups, darf ich das sagen? Ja, denn wenn alles dunkel, also schwarz ist, kann ich nichts mehr sehen – auch keinen Hoffnungsschimmer für die Zukunft.

Ihre Meinung zur Serie „Alles sagen!“ interessiert uns. Schicken Sie uns Ihre Kritik, Ihr Lob und Ihre Anregungen an diese Adresse.

Ganz einfache, normale Gespräche würden angesichts einer weiter grassierenden Hyper-Sensibilisierung bald nicht mehr möglich sein. Dann müssen wir uns auch nicht wundern, dass – wie es tatsächlich geschehen ist – die Eisdiele „Möhrchen“ in Essen zum Ziel wüster Angriffe wird. Dabei ist „Mohr“ doch nur der Nachname der Eigentümerin.

Wir haben aus der „Putzfrau“ schon die „Raumpflegerin“ gemacht (warum nicht gleich Bodenkosmetikerin?), aus dem Hausmeister den „Facility Manager“, aus der „Krankenkasse“ die „Gesundheitskasse“ und aus der „Kündigung“ die „Freisetzung“. Auch der Trend zur Schönfärberei ist stark.

Was ist mit Toast Hawai und Wiener Schnitzel?

An meiner Schule gab es einen Lehrer namens Hempel, aber darf man deshalb bei chaotischer Unordnung nicht mehr sagen: Das ist wie bei „Hempels unterm Sofa“? Vor einiger Zeit telefonierte ich mit einer total netten Frau Pingel. Ich bin mir sicher, dass sie es nicht schlecht fände, den schönen Begriff „pingelig“ ins Jenseits zu verbannen. Sollten wir das tun?

Folgen wir der Logik der Berliner Verkehrsbetriebe, dürfen wir künftig auch nicht mehr von „schwarzen Schafen“ und „Schwarzmalerei“ reden. Diskriminieren wir nicht auch die Hawaiianer, wenn wir diese sehr gewagte Zusammenstellung von Käse, Schinken und Ananas auf einer Scheibe Weißbrot als „Toast Hawaii“ bezeichnen? Verunglimpfen wir nicht Wien, diese Hochburg der Kunst und Kultur, wenn die am meisten verbreitete Wortkombination mit dieser Stadt das doch eher proletarische „Wiener Schnitzel“ ist?

Wir müssen aufpassen, dass wir uns mit unserer Überkorrektheit nicht zum Deppen machen. Sensibel sein, wo Menschen wirklich herabgewürdigt werden. Das ja, unbedingt. Aber unsere Sprache unter dem Mikroskop sezieren, bis auch dem Letzten die Lust am Sprechen und Schreiben vergeht, das Nein.

Denn sonst müssten wir wirklich auf allen Feldern die Sache zu Ende denken. Dann könnte der Kreuzzug gegen „kaputte Wörter“, wie der Berliner Autor Matthias Heine sie nennt, eines Tages auch den Fußball treffen: Gelbe und rote Karten bräuchten neue Namen. Von den alten Namen könnten sich ja Chinesen diskriminiert fühlen – und Indianer. Aber die heißen ja jetzt auch schon anders.

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