Hat die Polizei ein Rassismus-Problem?­ Polizei-Lehrerin sagt Ja, ein Polizist sagt Nein

Von Oliver Rasche
Hat die Polizei ein Rassismus-Problem?­: Polizei-Lehrerin sagt Ja, ein Polizist sagt Nein
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Wenn es um Kriminalität geht, fällt der Verdacht häufig auf Migranten, entsprechend fallen oft auch polizeiliche Kontrollen aus.

Gibt es bei der Polizei strukturellen Rassismus? Zieht sich rechtsextremes Gedankengut durch die Polizei hindurch? Ja, sagt Bahar Aslan. Die Kölner Lehrerin hatte als Lehrbeauftragte an der „Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW“ (HSPV) im Mai auf Twitter geschrieben: ­

„Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land.“

Daraufhin wurde ihr Lehrauftrag – anders als geplant – nicht verlängert. Dagegen klagte sie und bekam Recht. Ganz aktuell hat das Oberverwaltungsgericht Münster in ihrem Sinne entschieden und damit eine frühere Instanz bestätigt.

Aber unabhängig davon: Gibt es diesen strukturellen Rassismus, den sie der Polizei indirekt nachsagt?

Wir haben Sie zum Streitgespräch gebeten, zusammen mit Manuel Ostermann. Der Münsterländer ist stellv. Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Bahar Aslan und Manuel Ostermann kennen und schätzen sich, daher sind sie beim Du. In der Sache aber sind sie sich keineswegs einig.

Bahar Aslan
Bahar Aslan © Aslan

Frau Aslan, ist die Polizei in Deutschland strukturell rassistisch?

Bahar Aslan: Das muss ich differenziert beantworten. Ich würde nicht sagen, dass die Polizei per se rassistisch ist. Ich würde aber trotzdem sagen, dass wir innerhalb der Polizei ein strukturelles Problem mit Rassismus haben, was wir ganz klar auch adressieren und ansprechen müssen.

Und auch die Vorfälle, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind, und damit meine ich jetzt nicht nur die rechtsextremen Chats, die durch Zufall entdeckt wurden und nicht irgendwie durch investigative PolizistInnen, die sich auf die Suche gemacht haben, zeigen uns ja, dass wir durchaus irgendwo auch ein strukturelles Problem innerhalb der Polizei haben, das wir angehen müssen.

Manuel Ostermann
Manuel Ostermann von der Deutschen Polizeigewerkschaft. © Polizei

Herr Ostermann, sehen Sie dieses Problem bei der Polizei auch?

Manuel Ostermann: Also ich sage ganz deutlich, dass wir kein strukturelles Rassismus-Problem haben, definitiv nicht! Gleichwohl, und das gehört zur Wahrheit dazu, gibt es selbstverständlich, traurigerweise auch Rassismus innerhalb unserer Sicherheitsbehörden.

Und der Knackpunkt liegt darin, dass wir alles Mögliche tun, um diese Menschen, die zweifelsohne nichts, aber auch wirklich gar nichts in der Polizei oder im gesamten öffentlichen Dienst zu suchen haben, identifizieren und einem rechtsstaatlichen Verfahren zuführen, dass sie schnellstmöglich aus dem Dienst entfernt werden.

Wir haben Meldestellen, wir können uns an Staatsanwaltschaften wenden, wir können uns an andere Polizeibehörden wenden. Wir haben Vertrauensstellen, an die sich die Menschen wenden können, wenn sie rassistische Erfahrungen gemacht haben. Und eins steht auch fest: Wir haben in der Organisation beispielsweise des Bundes mit über 150.000 Beschäftigten im Jahre 2021 nur sieben Fälle gehabt, die selbstverständlich rechtsstaatlich verurteilt worden sind, wo rassistisch-extremistische Züge oder andere Straftaten vorlagen und folgerichtig die Entlassung erfolgte.

Also aus Ihrer Sicht eher Einzelfälle als ein strukturelles Problem?

Ostermann: Es ist wichtig, das deutlich zu sagen: Strukturelle Probleme im Bereich Rassismus haben wir nicht, aber es gibt diese Problemfelder und es wird auch stringent darauf geachtet, eben diese Personen zu identifizieren. Das ist die Exekutive, die darf, soll und wird keine Geheimnisse haben. Deswegen muss sowas auch aufgearbeitet werden.

Aber eine Bitte will ich dann doch nochmal loswerden. Ich würde mir sehr wünschen, dass so schnell wie angezeigt wird, öffentlich, auch entlastet wird, wenn nach rechtsstaatlichen Begutachtungen Kolleginnen und Kollegen tatsächlich von den Vorwürfen freigesprochen worden sind. Ich finde, das gehört zu Fairness dazu und das passiert immer noch allzu selten.

Aslan: Ich würde gerne Manuels Aussage aufgreifen, dass es generell in den Sicherheitsbehörden kein strukturelles Problem mit Rassismus geben soll. Ich sehe das total anders! Allein der NSU-Skandal zeigt deutlich, dass wir ein Problem mit Rassismus in den Sicherheitsbehörden haben. Darüber müssen wir offen sprechen.

Dass es einzelne Fälle gibt, wo PolizistInnen verurteilt wurden, nachdem sie sich rechtsextrem geäußert haben, mag sein. Aber in der Breite ist es eben doch so, dass keine disziplinarrechtlichen oder juristische Konsequenzen erfolgen, wenn sich PolizistInnen rassistisch äußern oder verhalten.

Und ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass das Sprechen über Rassismus in den Sicherheitsbehörden zu Abwehrreflexen führt. Das ist eine Tatsache. Wenn Sie sich als Polizist innerhalb der Polizei rassismuskritisch äußern, geraten Sie sehr schnell in den Fokus.

Inwiefern?

Aslan: Seit ich meines Lehrerauftrags an der Hochschule entbunden wurde, haben sich tatsächlich bei mir sehr, sehr viele PolizistInnen gemeldet. Auch ganz viele, die in der Ausbildung sind, die mir teilweise von ungeheuerlichen Sachen erzählt haben. Ich habe letztens mit einer Polizistin gesprochen, die zum Beispiel vier Tage vor ihrer Ernennung zur Beamtin einfach entlassen wurde, weil sie es gewagt hatte, einen Lehrbeauftragten, der in seinem Seminar das N-Wort ausgesprochen und benutzt hat, dem Innenministerium zu melden.

Herr Ostermann, gibt es so einen Abwehrreflex bei der Polizei?

Ostermann: Fakt ist, dass wir differenziert darauf achten und Rücksicht nehmen müssen. Das ist ja auch oftmals das Problem mit Racial Profiling. Das polizeiliche Lagebild ist kein erfundenes Konstrukt, sondern anhand von Zahlen und Fakten erstellt worden.

Zum Beispiel hat die Bundespolizei unter anderem den gesetzlichen Auftrag, unerlaubte Einreisen zu verhindern, wenn sie durch grenzüberschreitende Züge streift. Sie ist angehalten, auf die Verhältnismäßigkeit zu achten. Wenn sie jetzt also den ganzen Zug anhält und alle Menschen kontrolliert, ist das ein individueller und nicht verhältnismäßiger Eingriff.

Wenn sie dagegen personenbezogen kontrolliert, zur Verhinderung der unerlaubten Einreise, hat das nichts mit Racial Profiling zu tun. Wenn wir aber auf einem Dorf sind, und ich gehe mit einer Person mit dunkler Hautfarbe über die Straße, und wir werden einfach so kontrolliert, und nur die eine Person, dann reden wir über einen anderen Sachverhalt. Also da auch die differenzierte Debatte, bitte!

Stichwort Racial Profiling: Früher wurde immer gesagt, wenn man mit dem Auto als junger Mann, sagen wir mit blonden Haaren, von Holland zurück nach Deutschland gefahren ist, da wurde man kontrolliert, weil Erfahrungswerte zeigen, dass solche Menschen häufiger Cannabis mitbrachten, als etwa ältere Ehepaare. Also Erfahrungswerte, die eine Rolle spielen. Ist es dann nicht vielleicht eher ein Problem, WIE kontrolliert wird, anstatt DASS kontrolliert wird?

Aslan: Ich gebe mal ein Beispiel. Die Tatsache, dass nach dem rechtsextremen Mord in Hanau, in der Tatnacht, SEK-Beamte im Einsatz waren und nachher herauskam, dass 13 von den 19 SEK-Beamten in rechtsextreme Chats verwickelt waren – solche Meldungen, die machen was mit uns.

Und das löst dann natürlich in uns auch ein Unbehagen aus, auch bei mir, weil ich mich dann natürlich frage, wie wird die nächste Polizeikontrolle, wie wird sie ausgehen, an was für BeamtInnen werden wir da geraten? Allein das im Hinterkopf zu haben, macht emotional etwas mit uns.

Es darf niemanden in Deutschland geben, der denkt, dass die Polizei für sie oder ihn nicht da ist. Menschen wie ich, die hier geboren und aufgewachsen sind, die ebenfalls BeamtInnen sind, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Ich möchte mich nicht dabei ertappen, wie ich während einer Polizeikontrolle denke, ob die Kontrolle eventuell rassistisch motiviert ist. Ich glaube, das wäre etwas, was mich sehr, sehr demotivieren würde und was bei mir auch zu einem Vertrauensbruch führen würde.

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Aber wie sollten solche Kontrollen denn aus Ihrer Sicht durchgeführt werden?

Aslan: Wir alle haben unsere Schubladen, ich auch. Wichtig ist, dass wir diese Schubladen immer wieder überprüfen. Zum Beispiel wartet der schwarze Mann, der am Bahnhof steht, vielleicht auf eine Bekannte und ist vielleicht nicht jemand, der eventuell Drogen vertickt oder andere kriminelle Machenschaften hat.

Das sind so Dinge, die immer wieder hinterfragt werden müssen. Und die große Kunst dabei ist es auch, trotz der negativen Erfahrungen, die die Polizei sammelt, mit bestimmten Teilen der Bevölkerung, trotzdem bei der nächsten Begegnung von Menschen dem Individuum vorurteilslos und vorurteilsfrei zu begegnen.

In Gebieten mit Clan-Kriminalität kann man sich schon vorstellen, dass die Polizei anders vorgeht, als bei einer normalen Geschwindigkeitskontrolle ...

Ostermann: Es ist grundsätzlich so, dass bei jeder Kontrolle der oberste Grundsatz die sogenannte Eigensicherung ist und man aus der Situation heil wieder rauskommt.

Auf der anderen Seite ist es natürlich wirklich wichtig, sich mal mit dem Thema auseinanderzusetzen, das machen wir als Polizei auch im Bereich der Aus- und Fortbildung.

Da gibt es Workshops und Seminare dazu, eine hohe Sensibilität ist definitiv da und es wird immer mehr getan, weil das Thema auch angesprochen gehört. Ich möchte aber noch ein Beispiel geben: Hauptbahnhof Gelsenkirchen, da gibt es massive Probleme mit Gewaltkriminalität von Libanesen. Das hat sich die Polizei nicht ausgedacht und es braucht eben der Lage angepasste Kontrollen, um dieses Gewaltphänomens Herr zu werden.

Und wenn das dann unverhältnismäßig ausartet?

Ostermann: Um bei dem Beispiel Bahnhof zu bleiben: Die Bundespolizei hat eine anonymisierte Vertrauensstelle. Jede strafbare Handlung wird an die Staatsanwaltschaft gegeben, mit der Bitte um Prüfung auf strafrechtliche Relevanz.

Und es wird auch geschaut, ob dienstrechtliche Konsequenzen daraus folgen. Und es gibt Instrumente, wo sich Menschen, die sich rassistisch kontrolliert fühlen, hinwenden können.

Insofern sage ich ganz persönlich: Wenn Menschen solche Erfahrungen gemacht haben, das tut mir leid, das darf nicht sein. Aber sie haben rechtsstaatliche Instrumente, genau dieses möglicherweise Fehlverhalten zu überprüfen. Und dann hat das auch Konsequenzen, wir haben da einen riesigen Instrumenten-Koffer.

Zum Abschluss würde mich interessieren, was Sie sich konkret von der Polizei wünschen, Frau Aslan.

Aslan: Dass die Polizei keine Abwehrreflexe hochfährt, wenn sie auf rassistisches Verhalten angesprochen wird. Und ich würde mir wünschen, dass unabhängige Meldestellen errichtet werden, damit Menschen, die von Rassismus, Diskriminierung oder vielleicht auch von Polizeigewalt betroffen sind oder beides, sich vertrauensvoll hinwenden können.

Das würde tatsächlich auch noch mal PolizistInnen in den eigenen Reihen eventuell ermutigen, rassistische oder diskriminierende Vorfälle zu melden. Denn auch da zeigt ja die Erfahrung, dass man vielleicht lieber schweigt, obwohl einem das Unrecht bewusst ist, man aber nicht als Kameradenschwein dastehen möchte.

Ostermann: Ich würde mir wirklich eine differenzierte Betrachtungsweise von Herzen wünschen statt Pauschalität. Weil damit Kolleginnen und Kollegen völlig zu Unrecht diskreditiert werden. Ich würde mir sehr wünschen, in unsere rechtsstaatlichen Verfahren Vertrauen zu setzen und auch in eine lernende Polizeiorganisation, die immer vielfältiger wird, was großartig ist. Das wichtigste Statement ist tatsächlich: Verfassungsfeinde haben in der Polizei nichts verloren!

Herzlichen Dank, Frau Aslan, herzlichen Dank, Herr Ostermann!

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