Immer alles zu sagen, was man weiß, möglichst maximale Transparenz walten zu lassen: Das klingt erst einmal bestens. Aber ist es so einfach? Prof. Dr. Thomas Niehr von der RWTH Aachen berät unsere Redaktion als Experte bei der Serie „Alles sagen! Der Streit um die freie Meinung“. Er befasst sich seit Jahren mit den Wirkungen der Sprache auf unsere Gedanken und sieht Gefahren, die durch eine ungefilterte Weitergabe von Informationen entstehen können.
„Man muss sich im Klaren darüber sein, dass mit Sprache manchmal Stereotype bedient oder sogar verstärkt werden“, sagt er – zum Beispiel, dass Angehörige bestimmter Nationalitäten gewalttätig oder generell kriminell sind.
Und er sagt: „Mit Sprache beschreiben wir Wirklichkeit nicht nur, sondern mit Sprache stellen wir Wirklichkeit her. Egal welche Sprache wir verwenden, welche Ausdrücke wir verwenden, wir bringen dadurch immer eine bestimmte Perspektive auf die Welt mit. Und die äußert sich eben in unserer Sprache.“
So erzeuge zwar die genauere Beschreibung eines Menschen ein genaueres Bild von diesem Menschen in unseren Köpfen. Aber, sagt Niehr: „Man kann die Wirklichkeit nie vollständig abbilden. Man muss immer auswählen. Und dabei muss ich überlegen: ‚Was ist relevant und was nicht?‘“ Dieses Relevanz-Kriterium ist für Niehr zentral.
Das Relevanz-Kriterium zählt
Und an dieser Stelle, sagt der Experte, müsse man differenzieren: So könne es zwar bei Täterbeschreibungen relevant sein, auf Haarfarbe oder Kleidung zu sprechen zu kommen. Bei der Schilderung eines Verkehrsunfalls sehe das aber ganz anders aus.
Deshalb kommt er zu dem Schluss, dass bei Täterbeschreibungen Merkmale wie ein „südosteuropäisches Aussehen“ zulässig sind, selbst wenn man Gefahr laufe, dass der Gesuchte beispielsweise ein Inder ist.
Denn bei Verwendung des Begriffs „südosteuropäisches Aussehen“ könne man „mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass der Gesuchte blond und blauäugig ist“. Gleiches gelte auch für „sprach Deutsch mit englischem Akzent“ – selbst wenn man nicht sicher sein könne, dass der Gesuchte wirklich Brite ist.
Die Nennung von Nationalitäten beispielsweise bei Straftätern betrachtet Thomas Niehr dagegen nicht als per se relevant und hält es deshalb auch nicht für sinnvoll, sie immer zu nennen: „Nationalität ist in gewisser Weise willkürlich“, sagt er. So könne ein Peter Hansen zwar mittlerweile Deutscher sein, sei aber vielleicht gebürtiger Däne. Und ein Ali Dogan ebenfalls Deutscher, aber mutmaßlich türkischer Herkunft: „Das macht deutlich: Vermutlich geht es den meisten, die die die Nationalität wissen wollen, gar nicht wirklich darum, sondern es geht um sowas wie Herkunft.“
Doch anstelle der Staatsbürgerschaft die Kategorie „mit oder ohne Migrationshintergrund“ zu verwenden, hält Professor Niehr nicht für besser: „Es würde neue Probleme hervorrufen“, glaubt er. Denn schließlich gelte hier: Weiß jeder, wie das definiert ist, und spielt der Migrationshintergrund überhaupt eine Rolle, wenn zum Beispiel der Vater eines 55-jährigen Deutschen vor 80 Jahren in Italien geboren wurde?
Gebot der Höflichkeit
Zu guter Letzt, auch darauf verweist der Experte, geht es allerdings nicht nur um die Relevanz – gerade wenn (mindestens) umstrittene Begriffe im Spiel sind: So sei es Fakt, dass etwa das Wort „Zigeuner“ mit Vorurteilen behaftet ist, die immer mitschwingen, wenn man es benutzt. Außerdem sei ja „zumindest klar, dass die Angehörigen der Sinti und Roma das Wort als diskriminierend empfinden. Und insofern würde es allein die Höflichkeit gebieten, auf solche Ausdrücke zu verzichten.“
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