Es ist der Augenblick, als für Enes C. ein bis dahin unbeschwertes Wochenende zur Katastrophe wird. Jener Moment an einem Sonntagabend, als sich auf der A2 im Kamener Kreuz ein Unfall ereignet. Wie das passiert ist, darüber gibt es bis jetzt unterschiedliche Betrachtungsweisen. Polizei und Staatsanwaltschaft verdächtigen ihn, an einem illegalen Autorennen teilgenommen zu haben. Für Enes C. hat es sich anders zugetragen, behauptet er. Das hier ist seine Erzählung.
Entsetzt sei er gewesen, als ihm bewusst wurde, dass er auf den Wagen seines Freundes aus Lünen zusteuerte, der da in Trümmern liegt am Rande der A2 nahe dem Kamener Kreuz. Kurz zuvor, so berichtet er im Gespräch mit unserer Redaktion, habe er noch mit dem Unfall-Fahrer zusammengesessen, im Restaurant Selcuklu an der Mallinckrodtstraße in Dortmund. Für das Treffen war Enes C. aus Berlin nach Dortmund gekommen – und hatte vom Nordmarkt aus die Rückfahrt angetreten. Eine runde Viertelstunde nach der Abfahrt in Dortmund habe er im Kamener Kreuz den Crash mit Totalschaden erblickt. Der Kumpel (32) sowie zwei weitere Insassen sind verletzt. „Es war ein Schock, als ich das gesehen habe.“

Angeblich noch nie ein Autorennen gefahren
So zumindest erzählt das Enes C. Der 31-jährige Berliner berichtet unserer Redaktion, wie sich der Vorfall vom 14. Mai 2023, der seitdem Schlagzeilen macht, aus seiner Sicht zugetragen haben soll. Für ihn ein Albtraum, der über mehrere Monate kein Ende findet.
Polizei und Staatsanwaltschaft haben ein anderes Bild von dem Geschehen: Sie werfen Enes vor, sich mit seinen Freunden ein verbotenes Autorennen geliefert zu haben. Ein Vergehen, das schwerwiegende Konsequenzen haben kann. Bis zur Freiheitsstrafe. Die Aussage eines Zeugen über Fahrzeuge, die sich mit waghalsigen Manövern immer wieder gegenseitig überholt haben sollen, erhärtet den Verdacht.
„Diese Zeugenaussage“, so behauptet Enes gegenüber unserer Redaktion, „ist Schwachsinn“. Er selbst sei, so sagt er, noch nie ein Autorennen gefahren. Und zudem sei er erst Minuten später an dem Unfallort eingetroffen, aber noch bevor Feuerwehr und Polizei an Ort und Stelle waren. „Offenbar hat man dann mein Auto gesehen und gedacht: Der muss dabei gewesen sein.“ Ein Verdacht, der bis zuletzt nicht ausgeräumt wird. Der Verfahren gegen Enes C. ist zwar eingestellt worden, aber nur unter Auflagen.
Schwerwiegende Konsequenzen für den Berliner möglich
Die Geschichte, die zu dieser Einstellung geführt hat, ist lang: Gegen Enes und die beiden anderen Beteiligten, darunter ein 31-jähriger Bönener, ergeht direkt nach dem Vorfall im Mai vergangenen Jahres eine Strafanzeige wegen Verdachts des illegalen Kraftfahrzeugrennens. Ihre Wagen werden sichergestellt, genauso Führerscheine und Handys. Für den Berliner hat das nach eigenen Angaben Konsequenzen.
Er ist Berufskraftfahrer und fährt für einen privaten Berliner Shuttleservice Kunden zum Flughafen BER und zurück. „Ein Chauffeurdienst“, wie er sagt, oft an sechs oder sieben Tagen in der Woche. Doch ohne Führerschein kann er nicht mehr arbeiten. „Die Stelle habe ich verloren“, sagt er frustriert. Er sei daraufhin in ein tiefes Loch gefallen. „Das geht schon an die Psyche.“
Dass Enes C. so offen darüber spricht, liegt auch daran, dass er fest daran glaubt, seine Version belegen zu können. „Ich hatte auf der Rückfahrt die Dashcam laufen. Vom Start am Restaurant bis zum Unfallort habe ich alles aufgenommen.“ Und einen Sportwagen, der für Autorennen geeignet sei, fahre er auch nicht. „Ich habe eine S-Klasse von Mercedes, einen Diesel mit 250 PS. Hochmotorisiert ist das für mich nicht.“ Polizei und Staatsanwaltschaft haben ein anderes Bild und auch Daten aus sieben Handys ausgewertet. Der Verdacht, dass er beteiligt war, ist für sie nicht ausgeräumt.
Enes C. versucht nun, zurück in die Spur zu kommen
Nach zehn Monaten wohl auch deswegen diese Entscheidung: Das Verfahren gegen Enes C. und seine Freunde wird eingestellt. Gegen Geldauflagen. 1000 Euro muss er bis zum 1. April an die Staatskasse überweisen. Mögliche Schadenersatzansprüche, so beklagt Enes, habe er aber nicht geltend machen dürfen, obwohl er durch den Verlust des Führerscheins mindestens 5000 Euro verloren habe. „Man sagte mir, dass der Prozess ansonsten noch locker weitere sechs bis sieben Monate lange dauern würde, wenn ich das nicht akzeptiere.“ Und er hätte weiter auf Auto und Führerschein verzichten müssen.
Henner Kruse, Sprecher der Dortmunder Staatsanwaltschaft, widerspricht auf Anfrage unserer Redaktion dem Vorwurf, die Männer seien dazu bewegt worden, auf Schadenersatz zu verzichten, damit sie schneller Führerschein und Auto zurückerhalten: „Schließlich gab es einen hinreichenden Tatverdacht.“
Eine Anklageerhebung, so bekräftigt er, wäre durchaus möglich gewesen. Doch wegen der verstrichenen Zeit, in der die Drei auf Führerschein und Autos verzichten mussten, sei man zur Ansicht gekommen, dass eine Einstellung des Verfahrens in Betracht gezogen werden könne. „Für sie sprach, dass strafrechtlich keiner von ihnen zuvor in Erscheinung getreten ist.“

Enes C. hat seinen Wagen zurück
Enes versucht nun, zurück in die Spur zu kommen. Er hofft, dass er seinen Job wiederkriegt. Seinen Wagen hat er schon zurück – seit vorigem Wochenende. Er hat ihn in Dortmund abgeholt. Es müsse nach der langen Standzeit einiges dran gemacht werden, sagt er, bevor er sich auf die ca. 500 Kilometer lange Rückreise begibt. Zu schnell fahren will er nicht, das ist für ihn klar. „Ich habe bisher nicht einmal in zweiter Reihe geparkt, weil ich mein Geld nicht wegschmeißen will.“
Dieser Bericht erschien bereits am 13. März dieses Jahres.
Nach illegalem Autorennen im Kamener Kreuz: Raser will seinen Mercedes zurück