Pflege im Heim: Gut betreut oder schlecht versorgt?

Vor- und Nachteile

Die meisten Menschen möchten im Alter nur ungern im Heim leben - das haben verschiedene Umfragen ergeben. Aktuell werden rund 764.000 Pflegebedürftige in deutschen Seniorenheimen versorgt. Wir haben nachgefragt: Was spricht für, was gegen die Pflege im Heim? Mitarbeiter, Bewohner und Kritiker antworten.

von Miriam Instenberg

MÜNSTER

, 12.09.2016, 05:44 Uhr / Lesedauer: 3 min

"Wenn ich alt bin, möchte ich gerne im Seniorenheim leben" - diesen Satz hört man eher selten. Verschiedene Befragungen haben ergeben, dass die Mehrheit der Deutschen im Alter in den eigenen vier Wänden leben möchten. Und das spiegelt sich auch in der Realität wider: Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt - ob von einem Angehörigen oder durch den ambulanten Pflegedienst. Doch das Leben im Pflegeheim hat natürlich auch Vorteile - im Idealfall findet hier eine 24-Stunden-Rundumversorgung statt. Wir haben verschiedene Stimmen zum Thema "Pflege im Heim" gesammelt.

 

Das sagen Menschen, die wir auf der Straße gefragt haben:

 

Das sagt Markus Brinkmann, Leiter des Altenwohnheims St. Lamberti in Münster:

"Natürlich wollen die meisten Menschen im Alter möglichst lange zu Hause bleiben. Der Verlust der eigenen Wohnung geht mit Trauer einher. Die Menschen, die hier wohnen, sind in einer Lebensphase, die mit Krankheit, Ängsten und dem Gedanken an den Tod zu tun hat. Doch wenn Menschen, die sich im Anfangsstadium der Demenz befinden, täglich zehn Liter Milch kaufen, dann hält sie auch niemand davon ab, solange sie alleine zu Hause leben. Bei uns werden die Bewohner rund um die Uhr professionell versorgt. Wir haben jede Menge Angebote zur Tagesgestaltung: Kreativrunden im Werkraum, Gymnastik, Gedächtnis-Training, Vorträge und Feste, unsere Abendrunde, wo jeden Abend gemeinsam gesungen, gespielt und geredet wird. Auch für die Mitbewohner, die daran nicht mehr teilnehmen können, weil sie bettlägerig sind, haben wir spezielle Angebote auf dem Zimmer, wie beispielsweise Klangmassagen. Wir ermöglichen unseren Bewohnern vieles, was sie alleine nicht mehr bewältigen könnten - den Gottesdienst oder Konzerte zu besuchen. Ich würde die Pflege im Heim nicht pauschal schlechter bewerten als die zu Hause. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Ich habe darüber mal mit Bewohnern gesprochen, die von ihren Angehörigen hier untergebracht wurden. Sechs Monate nach dem Einzug haben sie mir gesagt: Es war gut so. Ich konnte die Situation damals nicht richtig bewerten. Ich hatte Angst, Ja zu sagen zu etwas, das mir unbekannt war. Aber jetzt habe ich viel mehr Angebote, meinen Tag zu gestalten. Die Lebensqualität der meisten neuen Bewohner steigt hier erst einmal exponentiell an."

Das sagt der Pflegekritiker Claus Fussek:

"Es gibt auch gut geführte Einrichtungen. Das große Problem in deutschen Heimen ist aber: Seit Jahrzehnten wissen wir, dass die Personalsituation schlecht ist, dass die Kräfte überfordert und überarbeitet sind, dass es viele schlecht qualifizierte Kräfte gibt. Dann kann auch die Pflege nicht gut sein. Ich engagiere mich seit fast 40 Jahren für bessere Pflege. Ich habe weit über 50.000 Beschwerden aus deutschen Heimen, die meisten von dort beschäftigten Kräften. Was die berichten, ist schwer auszuhalten. Die Bewohner tragen Windeln und haben Magensonden, weil niemand Zeit hat, sie zu füttern oder zur Toilette zu bringen. Die Pflegekräfte jammern darüber, aber wenn Politiker vorbeikommt, ist im Heim alles präpariert und gut hergerichtet. Die Branche positioniert sich nicht. Ich sage immer: Solidarisiert euch mit den Angehörigen, dann seid ihr eine stärkere Berufsgruppe als alle Lokführer und Piloten zusammen. Die Pflegekräfte müssen ihre Probleme ehrlich benennen. Jedes Heim ist von Station zu Station und von Schicht zu Schicht aber verschieden. Das ist der Faktor Mensch. Es gibt überall bessere und schlechtere Pfleger. Deswegen kann man die Qualität der Pflege in einem Heim nicht mit Noten bewerten. Man muss differenzieren. Man muss sich ein eigenes Bild machen. Waschmaschinen kann man testen und bewerten. Pflegeheime nicht. Gute Pflege ist aber machbar. Wenn ich Heime mit tollem Personal sehe, mit Leidenschaft, Begeisterung, Haltung, Zivilcourage, dann bin ich ein bisschen optimistisch."

Das sagt Anna Balzereit, eine Bewohnerin des Altenwohnheims St. Lamberti in Münster:

"Ich wohnte mit meinem Mann in Emmerich, bis er starb und ich allein war. Einer meiner Söhne, der in Münster lebt, hat mich dann hier im Heim untergebracht. Mein Zimmer konnte ich mit meinen eigenen Möbeln einrichten. Jeden Tag ruft mein ältester Sohn mich an. Er fragt dann: Mutti, bist du gut drauf? Ich sage ja, und er sagt: Dann weiter so! Über Besuch von meinen Kindern freue ich mich immer. Mit meinem Leben hier bin ich ganz und gar zufrieden."

Das sagt Altenpflegerin Ute Christian* aus Bochum:

"Um die Personalsituation in Pflegeheimen ist es insgesamt schlecht bestellt. Es gibt keine verbindlich festgelegten Personalzahlen, sehr unterschiedliche Arbeitszeiten. Eine qualitativ gute Versorgung ist so nicht zu gewährleisten. Die Situation ist schwankend, man muss immer wieder Abstriche machen. Es gibt immer mehr Aufgaben für immer weniger Leute. Tätigkeiten, die eineinhalb Stunden in Anspruch nehmen würden, müssen in einer Stunde erledigt sein. Man macht die Arbeit im Eiltempo. Und trotzdem kommt es vor, dass manche Bewohner ihr Essen kalt bekommen - weil die dafür vorgesehene Zeit einfach nicht reicht, oft genug zur Mikrowelle zu gehen. Um die Pflege menschenwürdig zu gestalten, wäre viel mehr Zeit nötig. Darüber zu sprechen, ist ein Tabuthema. Dass es da so wenig Gegenwehr gibt, kann ich auch nicht verstehen. Hätten wir nicht diese geringe Personalbemessung, hätten wir nicht so große Probleme. Wenn ich alt bin, will ich eigentlich nicht im Heim leben. Ich habe dann schon so viele Jahre dort verbracht. Und das kann für mich kein Zuhause sein."

*Name von der Redaktion geändert

Schlagworte: