Modell, Mythos und Makel: Humboldt-Uni wird 200

Die Gebrüder Grimm, Robert Koch oder Albert Einstein: Die Liste weltberühmter Professorennamen ist lang an der Berliner Humboldt-Universität. Vom 12. Oktober an feiert die älteste Berliner Hochschule 15 Monate lang ihr 200-jähriges Bestehen.

Berlin (dpa)

von Von Ulrike von Leszczynski, dpa

, 12.10.2009, 09:29 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Humboldt-Universität: Vom 12. Oktober 2009 an feiert die älteste Berliner Hochschule 15 Monate lang ihr 200-jähriges Bestehen. (Bild: dpa)

Die Humboldt-Universität: Vom 12. Oktober 2009 an feiert die älteste Berliner Hochschule 15 Monate lang ihr 200-jähriges Bestehen. (Bild: dpa)

Eine reine Jubelarie soll es nicht werden. Die Universität blickt auch auf eine gebrochene Geschichte in zwei Diktaturen zurück. Für die Zukunft hat sie einen großen Wunsch: den Titel Eliteuniversität, so wie die Konkurrentin im Westteil Berlins, die Freie Universität.

Bei Heinz-Elmar Tenorth ist die Historie der Berliner Humboldt- Universität (HU) gerade ein Stück dicker geworden. Ein neues Manuskript ist per E-Mail angekommen, über die Uni-Chemie. Tenorth ist HU-Historiker und Herausgeber der sechsbändigen Uni-Geschichte, die im kommenden Februar zum runden Jubiläum erscheinen soll.

Die jüngste Geschichte hat er selbst miterlebt. Tenorth war einer der ersten vier Professoren, die nach der Wende 1989 ihre Ernennungsurkunde an der HU erhielten. Aus Frankfurt am Main geriet er mitten hinein in die komplette Erneuerung der größten ostdeutschen Universität. Es ist eine Zeit, über die er heute schwärmt: «Das war wie eine Werkstatt der Einheit. Ost oder West war nicht entscheidend.» Nebenher wickelte sich die DDR-Geschichte ab. Selbst der Uni-Rektor wurde als Stasi-Spitzel enttarnt. Die Wende-Zeiten waren wilde Zeiten - auch in der Wissenschaft.

Doch bereits Ende der 1990er Jahre stand «die Humboldt» im vereinten Deutschland für exzellente Wissenschaft. «Aus dem Stand unter die stärksten Forschungsuniversitäten des Landes. Das muss man sich mal vorstellen», sagt Tenorth heute noch stolz.

Die Berliner Universität war schon immer etwas Besonderes. Ihre Gründung 1810 markierte einen riesigen Schritt in die Moderne. Denn Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt hatte ihren Gründer, Preußens König Friedrich Wilhelm III., von einer Einheit aus Forschung und Lehre überzeugt. Zuvor habe es an Universitäten keine Forschung gegeben - und auch wenig Kritik, berichtet Tenorth. Wie weit das «Modell Humboldt» ausstrahlte, lobte gerade Berlins neuer US- Botschafter Philipp Murphy. «Am Anfang war diese Universität ein Experiment. Dann ist sie ein Modell geworden, ein Vorbild, auch für die Vereinigten Staaten.»

Für Berlin war sie noch viel mehr. Mitten in der Stadt, in Nachbarschaft zur Wissenschafts-, Bau- und Kunstakademie, bot sie einen neuen Ort des Dialogs. Nach der Niederlage gegen Napoleon stand diese junge Uni auch für die Reform der preußischen Gesellschaft. Denn ihre Studenten waren die künftigen Beamten, Juristen, Ärzte, Theologen und geprüfte Oberlehrer des Landes.

Die Berliner Universität, wie sie am Anfang hieß, zog in ein Palais Unter den Linden - beste Adresse bis heute. Mit Professoren wie den Philosophen Fichte und Hegel, Juristen wie Savigny, Theologen wie Schleiermacher und Medizinern wie Hufeland lehrten hier von Anfang an viele Spitzenwissenschaftler. Einfach war das nicht. Humboldt stöhnte über Eifersucht, Neid und Machtgelüsten, die dieser «unbändigen Menschenklasse» innewohne. Fichte hatte Angst, dass seine Studenten nur «rumsaufen». Die Sorge erwies sich als unbegründet. Die Uni brachte mit der Zeit 29 Nobelpreisträger hervor.

Preußens Könige waren bei der Ausstattung ihrer Berliner Uni nicht geizig, aber auch nicht großzügig. Schon damals hing Wohl und Wehe der Hochschule vom Landeshaushalt ab. Und doch sieht Tenorth in der ältesten Berliner Uni etwas, das lange nicht beleuchtet wurde: Ein Symbol für den Kulturstaat Preußen, der eben nicht nur auf «Lange Kerls» setzte. Lange blieb die Berliner Hochschule jedoch eine Männeruniversität. Frauen wurden erst im Jahr 1908 zugelassen.

Bis zum Beginn der Nazi-Herrschaft zählte die Berliner Universität, die zu Ehren Ihres Gründers seit 1828 Friedrich- Wilhelms-Universität hieß, zu den führenden Hochschulen Deutschlands. Das Unrecht begann, als sie 1933 der Entlassung ihrer jüdischen, sozialistischen und kommunistischen Hochschulangehörigen keinen Widerstand entgegensetzte. Die Bilder der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 gingen um die Welt. Einige Professoren waren SS-Größen. Andere wirkten mit an den Plänen für die Eroberungskriege im Osten oder an menschenverachtenden Versuchen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 begann der Lehrbetrieb in Berlin schnell wieder. Doch wenig später wurde der Einfluss von sowjetischer Besatzungsbehörde und SED stärker. Sie lehnten Berufungen ab und veränderten Studienordnungen im Sinne der kommunistischen Ideologie. Dieser Druck, der in Verhaftung, Verschleppung und Ermordung von Studenten gipfelte, führte 1948 zur Spaltung der Universität. Im amerikanischen Sektor gründeten Studenten mit Hilfe der USA die Freie Universität Berlin. Die DDR benannte ihre Berliner Hochschule 1949 in Humboldt-Universität um - ohne Humboldts Ideale.

Ein Schlaglicht auf die braunen und roten Jahre der Universität werfen die Ehrendoktorwürden, die sie sehr spät erst in den vergangenen Jahren verlieh. Eine erhielt 2007 der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, dem die Universität 1938 als Juden ein Germanistik-Studium verwehrte. Die zweite ging 2008 an Liedermacher Wolf Biermann, dem die HU 1963 aus politischen Gründen sein Abschlusszeugnis vorenthielt.

Als Fazit würde Heinz-Elmar Tenorth die Geschichte der Humboldt-Universität heute die «Selbstbehauptung einer Vision» nennen. Nicht ganz ohne Sorge. 2011 geht der bundesweite Wettbewerb um den Status als Eliteuniversität in die dritte Runde. Patzt die HU erneut, könnte die einstige Keimzelle der modernen Hochschule an Bedeutung verlieren. Vom Mythos allein lässt sich nicht zehren.

200 Jahre Humboldt-Uni Berlin: www.hu-berlin.de

Schlagworte: