Mesale Tolu fordert Freilassung und Freispruch
Prozess in der Türkei
Mesale Tolu, Deniz Yücel, Peter Steudtner - diese drei Fälle stehen beispielhaft für jene Deutschen, die in der Türkei inhaftiert sind. Mesale Tolu wird nun als erste davon vor Gericht gestellt. Ihre Anwältin glaubt nicht an ein faires Verfahren. Vor Gericht forderte Tolu am Mittwoch ihrer Freilassung.

Ein Mann demonstriert in Frankfurt für die Freiheit von Mesale Tolu und allen politischen Gefangenen in der Türkei. Foto: Andreas Arnold
Die in der Türkei inhaftierte deutsche Journalistin Mesale Tolu hat vor Gericht die gegen sie erhobenen Terrorvorwürfe zurückgewiesen. „Ich fordere meine Freilassung und meinen Freispruch“, sagte Tolu am Mittwoch beim ersten Verhandlungstag vor dem Gericht in Silivri bei Istanbul. „Ich habe keine der genannten Straftaten begangen und habe keine Verbindung zu illegalen Organisationen.“ Die 32-Jährige gehört zu 18 Angeklagten, denen Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP vorgeworfen werden. Der Deutschen drohen nach Angaben ihrer Anwältin Kader Tonc bis zu 20 Jahre Haft.
Tolu kritisierte, dass sie seit mehr als fünf Monaten ohne Urteil in Istanbul in Untersuchungshaft gehalten werde. Auch ihr Ehemann sei in Untersuchungshaft. „Deswegen lebt mein Sohn, der eigentlich in den Kindergarten gehen müsste, seit fünf Monaten mit mir im Gefängnis“, sagte sie. „Aus diesem Grund ist die Untersuchungshaft nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie und für meinen Sohn zur Bestrafung geworden.“ Der zweijährige Sohn Tolus ist mit der Mutter im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy untergebracht.
"Waffe auf meinen Sohn gerichtet"
Die aus Ulm stammende Deutsche kritisierte die Umstände ihrer Festnahme am 30. April, als Anti-Terror-Polizisten ihre Wohnung in Istanbul stürmten. „Die Spezialeinheit der Polizei hat nicht nur die Waffe auf meinen Sohn gerichtet, sondern sie haben mich auch noch vor den Augen meines Kindes gewaltsam festgenommen.“
Die Bundesregierung fordert die Freilassung Tolus und von zehn weiteren Deutschen, die derzeit in der Türkei aus politischen Gründen inhaftiert sind. Dazu gehören neben Tolu der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel und der Menschenrechtler Peter Steudtner. Tolus Vater Ali Riza Tolu sagte vor Prozessbeginn, er sei „enttäuscht“ von der Bundesregierung und habe sich mehr Einsatz für seine Tochter erhofft.
Reaktionen aus Deutschland
Deutschland tue alles, um Tolu „den Rücken zu stärken“, entgegnete Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) via „Bild“. „Wir fordern ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Vor allem muss es jetzt schnell gehen, damit Mesale Tolu möglichst bald frei kommt.“ Grünen-Chef Cem Özdemir forderte ein Einlenken der Türkei. „Eine Normalisierung des Verhältnisses zur Türkei kann es nicht geben, ohne dass die deutschen Geiseln in Freiheit kommen“, sagte Özdemir der „Schwäbischen Zeitung“ (Donnerstag). „Erdogan versteht nur die harte Sprache des Geldes und die müssen wir offenbar sprechen, um Mesale Tolu und den anderen zu helfen.“ Die Linken-Fraktionsvize Heike Hänsel, die nach eigenen Angaben die Verhandlung als einzige Bundestagsabgeordnete vor Ort beobachtete, bezeichnete das Verfahren gegen Tolu als „Schauprozess“. Sie forderte die Bundesregierung auf, den Druck auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu erhöhen.
Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, erklärte: „Es ist zu befürchten, dass Mesale Tolu und andere inhaftierte Deutsche in der Türkei kein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren erwartet.“ In weiten Teilen der türkischen Justiz herrsche ein „Klima der Angst“.
Für Nachrichtenagentur Etha gearbeitet
Tolu arbeitet als Journalistin und Übersetzerin für die linke Nachrichtenagentur Etha, die in der Türkei nicht verboten ist. Die Anklage stützt sich auf die Teilnahme Tolus an vier Veranstaltungen und auf den Fund von einer Zeitschrift, die die Staatsanwaltschaft als Propagandamaterial wertet. Tolu sagte, die Veranstaltungen seien weder verboten noch von der Polizei aufgelöst worden. Bei dem angeblichen Propagandamaterial habe es sich um eine legale Zeitschrift gehandelt, die „in jeder Buchhandlung“ verkauft werde. Sie kritisierte zugleich, seit dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres sei die Pressefreiheit in der Türkei stark eingeschränkt worden.
Tolus Vater Ali Riza Tolu sagte am Rande des Prozesses, während des Verfahrens in Silivri sei der zweijährige Sohn seiner Tochter bei Freunden untergebracht. „Wir haben ihn am Montag abgeholt. Freunde von uns passen auf ihn auf.“ Der Vater wertete den Prozess gegen seine Tochter als Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken. „Die wollen die Presse verhaften, nicht meine Tochter. Sie ist eine Journalistin, keine Mörderin.“
Weitere in der Türkei gefangene Deutsche
- Peter Steudtner (45): Steudtner, sein schwedischer Kollege Ali Gharavi und acht weitere Menschenrechtler wurden am 5. Juli bei einem Menschenrechtsseminar auf der Istanbul vorgelagerten Insel Büyükada festgenommen. Steudtner sitzt im Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul in U-Haft. Ihm wird nach Angaben seines Anwalts Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft. Der Menschenrechtler hatte keine Verbindungen zur Türkei und wollte nach dem Seminar nach Berlin zurückkehren, wo er mit seiner Familie lebt. Steudtners Anwalt sagt, die am Sonntag vorgelegte Anklageschrift lese sich „wie ein schlechter Roman“.
- Deniz Yücel (44): Der „Welt“-Korrespondent stellte sich am 14. Februar der Polizei, am 27. Februar wurde gegen ihn U-Haft verhängt. Das Gericht begründete das mit dem Verdacht der Terrorpropaganda und der Volksverhetzung. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigte Yücel außerdem öffentlich, ein Terrorist und deutscher Spion zu sein, ohne dafür Belege zu präsentieren. Eine Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft immer noch nicht vorgelegt. Mit dem Fall beschäftigt sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Yücel hat neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft. Er sitzt wie Steudtner im Gefängnis in Silivri.
von dpa