Löschs Odyssee gibt Roma eine Stimme

Es wird viel geredet über Sinti und Roma an Stammtischen, in Stadtparlamenten und Medien: Sie sind oft gemeint, wenn es um die «Armutszuwanderer» in der gleichnamigen Debatte geht.

Essen (dpa)

von Von Florentine Dame, dpa

, 28.10.2014, 12:29 Uhr / Lesedauer: 2 min

olker Lösch in Essen. Foto: Volker Hartmann

olker Lösch in Essen. Foto: Volker Hartmann

Verwahrloste «Roma-Häuser» in Duisburg oder anderswo machen Schlagzeilen. Neonazi-Übergriffe auf Roma-Familien ebenso. Eine aktuelle Studie stellte jüngst fest, dass keine andere Gruppe in Deutschland mehr Ablehnung erfährt als Sinti und Roma.

Den Vorurteilen über das «Zigeunerleben» nimmt sich Theaterregisseur Volker Lösch in einem Stück an, das im Schauspiel Essen Uraufführung feierte. Dem für seine politisch-provokanten Inszenierungen bekannten Theatermann genügt es dabei nicht, über Roma zu reden. Das Ensemble seiner Homer-Adaption «Die Odyssee oder 'Lustig ist das Zigeunerleben'» besteht aus fünf Schauspielern, die Roma sind, und einer Sintessa. Er lässt sie mit ihren eigenen Geschichten zu Wort kommen.

Bei einer öffentlichen Probe kurz vor der Premiere wird schon deutlich: Lösch setzt einmal mehr auf aufklärerisches Theater, das sich einmischt.

In der Vergangenheit hat der Hausregisseur des Staatstheaters Stuttgarts schon häufig mit zeitkritischen Varianten klassischer Stoffe wie Hauptmanns «Die Weber» oder einer Afghanistankrieg-Version von Homers «Ilias» Nadelstiche gesetzt. «Wir haben nur die Chance, uns extrem, aktiv und live in politische Diskurse einzumischen, sonst sind wir tot als Theater», sagt er. Dieses Mal will er gegen die Ablehnung aufbegehren, die Roma und Sinti zeitlebens entgegenschlage.

Der antike Homer-Text über die abenteuerliche Irrfahrt des Kriegers Odysseus zurück ins traute Heim wird immer wieder gebrochen mit Berichten aus dem Leben der Darsteller: Sie geben der alltäglichen Diskriminierung ein Gesicht, erzählen von vergeblicher Flucht vor Armut. Aus ihren Geschichten spricht Stolz, gelegentlich auch Wut über die manchmal starren Strukturen ihrer Community.

Odysseus und seine Gefährten sind bei Lösch dagegen die «guten Bürger». Jene Mehrheit, die zwar vom Exotischen träumt, sich aber leiten lässt von Erfolgsdruck und Gewinnstreben. Im Stück jagen sie antike Monster, schlürfen Austern und plaudern fast beiläufig über Roma-Schicksale. Als Namen von getöteten Sinti und Roma im Holocaust verlesen werden, zeigen sie wohldosierte Betroffenheit. «Ich hab ja nichts gegen Roma, aber...» ist ein Satz aus dem Mund des tapferen Odysseus, der entlarvt, wo Diskriminierung anfängt.

Seine Irrfahrt führt diesen Odysseus zu den Anderen, in die fremde Welt der Roma. Temporeich treiben die Winde sein Schiff von Klischee zu Klischee: Die Fremden zeigen sich dem König von Ithaka als sozialschmarotzender, unansehnlicher Kyklop oder als zügellose, bauchtanzende Sirenen der Verführung. In der kinderreichen Familie des Windgottes Aiolos begegnet Odysseus Inzest. «All das ist eingeschrieben in einen Text der 2700 Jahre alt ist, der unser Text ist. Da fragt man sich doch, was sich seither getan hat», sagt Lösch.

Die Lebensgeschichten der Roma lassen es immer wieder ungemütlich werden in der bis ins Groteske gesteigerten Vorurteilslandschaft: Etwa wenn die Darsteller ausgestattet mit Bettlerrequisiten den Zuschauerraum entern, die Arme und Krücken ausgestreckt um einen Euro flehend. Dann halten sie inne, erzählen vom Schicksal eines mittellosen Rom aus Belgrad, dessen Taxifahrerlohn nicht reicht, um lebensrettende Arztrechnungen zu bezahlen. Immer wieder bittet er in Deutschland um Asyl, immer wieder wird er abgelehnt - «bloß ein Wirtschaftsflüchtling».

Wie nah Lösch mit seiner Kritik dran ist an der Wahrheit der Gegenwart, entblößt diese Szene in zweifacher Hinsicht: Der Rom, dessen Lebensgeschichte hier berichtet wird, ist nur wenige Tage zuvor ausgewiesen worden, erzählt der Regisseur. Dann berichtet er von einer ihm zugetragenen Reaktion auf das Stück, die erschaudern lässt: «Lass mich in Ruh, du Scheiß-Zigeuner», soll es einem Zuschauer entfahren sein, als die Schauspieler in der Rolle der aufdringlichen Bettler durch das Probenpublikum irrten.

«Man muss vehement dagegen ankämpfen», ist Lösch überzeugt. Seine Odyssee, die den Spiegel vorhält, kann ein gelungener Anfang sein.

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