Kulturschaffende zum Wahlergebnis
"Ein hässlicher Tag", "ein Schock" - Kulturschaffende reagieren mit großer Besorgnis auf den Wahlerfolg der AfD, die bei der Bundestagswahl zur drittstärksten Kraft wurde.

Philosoph Richard David Precht vermisste im Wahlkampf die großen Themen, die die Menschen beschäftigen. Foto: Sebastian Lannepoudenx
Entsetzen über den Wahlerfolg der AfD kennzeichnet die Reaktion von Kulturschaffenden auf die Bundestagswahl. "Der Schock sitzt tief", sagte der künstlerische Leiter der Berliner Schaubühne, Thomas Ostermeier, der Deutschen Presse-Agentur.
Schriftsteller Moritz Rinke (50) sprach von einem "hässlichen Tag für die parlamentarische Demokratie".
Nun könnten Rassisten und Rechtsextreme Mitarbeiter einstellen und mit Geld Themen besetzen, sagte Rinke der dpa am Montag. Den etablierten Parteien sei es nicht gelungen, ein neues gesellschaftliches Leitbild zu formulieren, das nicht Angst vor der Flüchtlingspolitik erzeuge, sondern Verständnis und Empathie. Der Ton im Parlament werde sich verschärfen. Rinke, zu dessen bekanntesten Werken der Roman "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel" gehört, erwartet viel Arbeit für den Bundestagspräsidenten.
Der Publizist und Philosoph Richard David Precht (52) sieht den Wahlausgang als "Quittung für einen unpolitischen Wahlkampf". "Dieser Vorwurf richtet sich an die beiden großen Parteien, aber auch an die kleineren", sagte er in Köln. Die großen Themen, die die Menschen beschäftigten, seien nicht wirklich Wahlkampfthemen gewesen: Zuwanderung, die ökologischen Folgen des Wirtschaftsmodells und die gewaltigen Umbrüche durch die Digitalisierung. "Wenn sich die anderen Parteien weiterhin darum drücken, Utopien für eine zukünftige Gesellschaft zu entwerfen, dann wird das den rechtspopulistischen Parteien - insbesondere der AfD - weiterhin großen Auftrieb geben."
Theaterchef und Regisseur Ostermeier (49) sagte, viele Menschen hätten seiner Ansicht nach die AfD aus Protest gewählt und nicht deshalb, weil sie überzeugte Rechtsextremisten sind. Die AfD-Wähler müsse man nun durch kluge Argumentation wieder zurückholen. "Die AfD ist keine bürgerliche Partei, sondern eine rassistische, homophobe und in vielen Fällen auch frauenverachtende Partei", sagte Ostermeier. Man müsse den Wählern klar machen, dass sich die AfD nicht um ihre Ängste kümmere, die vor allem Ängste vor einem weiteren Sozialabbau seien.
Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele, sprach von einem kollektiven krachenden Versagen der meinungsbildenden Schicht in Deutschland. Politiker, Intellektuelle und Theaterleute hätten es nicht geschafft, die Bevölkerung in dem dramatischen Veränderungsprozess mitzunehmen, in dem sich das Land befinde. Lilienthal setzt nach dem Erfolg der AfD auf Gespräche mit den Wählern der Partei. "Es hilft nichts anderes, als den Diskurs über die Unzufriedenheit zu suchen", sagte er.
Der Fotograf und Künstler Wolfgang Tillmans rief dazu auf, die AfD durch die politische Debatte nicht aufzuwerten. "Ich hoffe, die Medien werden der AfD in Zukunft dreizehn Prozent der Aufmerksamkeit geben und keine Minute und Zeile mehr", sagte der 49-Jährige der dpa. Es sei jetzt wichtig, nicht jeden Tabubruch zu einer Großdebatte zu machen und damit Leuten wie dem AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland erst richtig Gehör zu verschaffen. "Es kann nicht sein, dass Herr Gauland dem Land eine Debatte überstülpt, ob wir stolz auf die Taten der Wehrmachtsoldaten sein sollen", so Tillmans.
Deutschlands bekannteste Feministin Alice Schwarzer (74) sieht nach der Bundestagswahl die "Stunde der Frauen" gekommen. Der Erfolg der AfD gehe vor allem auf Männer zurück, sagte sie. "Die haben nicht nur im Osten, sondern auch im Westen fast doppelt so häufig die AfD gewählt wie die Frauen. Jetzt, wo der Karren im Dreck steckt, schlägt die Stunde der Frauen. Die müssen jetzt gegenhalten gegen die Verhetzung und Vermachoisierung der Republik."
Der Kölner Autor Günter Wallraff sagte: "Es ist eine Katastrophe, dass Rechtspopulisten und rassistische Führungskräfte wieder das große Wort führen können - und das mit einer Sprache, die bewusst Spielregeln verletzt, um Hass und Feindbilder zu schaffen." Wallraff betonte zugleich, man solle den AfD-Wählern keine Nazi-Nähe unterstellen. "Die meisten sind verwirrt oder enttäuscht und fühlten sich mit ihren Sorgen nicht ernst genommen."
In einer Sonderausgabe des "Spiegel" zur Wahl nannte Schriftsteller Martin Walser die mehr als 20 Prozent, die die AfD im Osten der Republik erreichte, "die traurigste Nachricht des Tages": "Jetzt müssen wir uns nicht die Köpfe blutig kratzen, sondern diese Spätfolge der deutschen Teilung ernst nehmen!"
Bestseller-Autor Daniel Kehlmann empfand trotz des Einzugs der AfD in den Bundestag "aufrichtige Dankbarkeit" gegenüber Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Denn man wagt kaum sich vorzustellen, wie viel Prozent die AfD erreicht hätte, wäre sie nicht noch einmal angetreten."
Autorin Juli Zeh stellte die Frage, wie gut es einem Land noch gehen müsse, "damit Menschen sich nicht mehr von fremdenfeindlichen Szenarien aufhetzen lassen".
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