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Gipfeltreffen der Impressionisten im Folkwang Museum Essen
100. Jubiläum
Die Schau „Renoir, Monet, Gauguin – Bilder einer fließenden Welt“ in Essen bietet einen ästhetischen Hochgenuss. Zum 100. Jubiläum hat das Museum Folkwang dafür tief in die Tasche gegriffen.
Wer kann das bezahlen, wer hat so viel Geld? Eine siebenstellige Summe hat die Schau „Renoir, Monet, Gauguin“ mit impressionistischen und postimpressionistischen Bildern und Skulpturen gekostet. Das sagte Peter Gorschlüter als Direktor des Museums Folkwang am Donnerstag auf Nachfrage dieser Zeitung. Drei Viertel der Summe hätten Sponsoren beigetragen, darunter RWE, Evonik, die RAG-Stiftung und die Stadt Essen, die ihre Zuschüsse erhöht hatte, weil das Museum mit dieser Mega-Schau sein 100. Jubiläumsjahr einläutet.
119 Kunstwerke warten ab Sonntag auf Besucher – und zwar jene Gemälde von überwältigender strahlender Farbigkeit, die für viele Menschen als die größten Schönheiten der Kunstgeschichte gelten.
Schon im ersten der 14 Räume mit ihren insgesamt 1400 Quadratmetern empfangen uns Claude Monets „Junge Mädchen im Ruderboot“ von 1887. Mit ihren weißen Kleidern und Hüten bilden sie einen zarten Kontrast zur blauschillernden Wasserfläche, die in ihrem Farbenspiel den berühmten Seerosenbildern des Künstlers in nichts nachsteht.
Kluges Konzept
Auch Paul Gauguins Gemälde „Kleine Bretoninnen vor dem Meer“ (1889), Paul Signacs „Hafen von Saint-Tropez“ (1901/02), Vincent van Goghs beeindruckende Kreidezeichnung „Ährenleserin“ (1885) und die „Ernte“ (1882) von Camille Pissarro werden uns noch begegnen. Was alle gemeinsam haben: Sie sind aus dem „National Museum of Western Art“ im japanischen Tokio angereist, das gerade saniert wird.
Denn die Essener Schau hat neben ihren herrlichen Exponaten auch noch ein kluges Konzept. Hier trifft der eigene prachtvolle Besitz aus der Sammlung von Karl Ernst Osthaus (1874-1921), der das Museum Folkwang einst in Hagen gründete, auf die Sammlung von Kojiro Matsukata (1866-1950). Beide sind sich zu ihren Lebzeiten zwar niemals begegnet, waren jedoch verrückt nach der Kunst der französischen Moderne. Wie günstig, dass beide reich waren! Osthaus hatte seinen Großvater beerbt, Matsukata führte das Schiffsunternehmen Kawasaki, das wir heute eher durch Motorräder kennen.
Und weil beide gute Berater hatten – nämlich Henry van de Velde und Frank Brangwyn – treffen in Essen nun Spitzenwerke derselben Künstler aufeinander. Zum Beispiel hängt Pierre-Auguste Renoirs „Lise mit dem Sonnenschirm“ (die „Essener Mona Lisa“) nun ganz nah an seinen „Pariserinnen im algerischen Kostüm“ aus Japan. Für beide Werke stand übrigens Renoirs Muse Lise Tréhot Modell.
Die „Lise mit dem Sonnschirm“ könnte man wiederum glatt verheiraten mit Édouard Manets „Porträt des Monsieurs Brun“, das aus Japan angereist ist. Auguste Rodins „Ehernes Zeitalter“ gehört nach Essen, aber das Konvolut seiner Skulpturen aus Japan – inklusive des berühmten „Denkers“ – ist deutlich beeindruckender. Paul Signacs „Der Hafen von Saint-Tropez“ ist dabei das einzige Werk, das ursprünglich aus dem Folkwang-Museum stammt, über einen Tausch und den Kunsthandel nach Japan gelangte und nun wieder für etwa drei Monate zurückkommt.

Das Gemälde "Im Boot" von Claude Monet. © Oliver Berg/dpa
Besucher dürften viel Spaß daran haben, den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Sammlungen auf die Spur zu kommen, und gleichzeitig eine tiefe Entspannung zu finden, wie sie nur angesichts so extremer Schönheit möglich ist.
Galerie nachgebildet
Noch zwei Tipps: Hochinteressant ist ein Raum, in dem die Kuratorin Nadine Engel und Assistentin Rebecca Herlemann die große Galerie des ersten Folkwang-Museums in Hagen mit einem Teil der Original-Gemälde nachgebildet haben. Fast nie zu sehen sind außerdem die Zeichnungen aus dem Depot des Folkwang-Museums – allen voran die „Seinebrücke“ von Paul Signac, die er ausdrücklich Karl Ernst Osthaus gewidmet hat.
Überhaupt hat Osthaus in anderem Zusammenhang eine Atmosphäre beschrieben, die nun auch über dieser Schau liegt: Er nannte sie eine „Stimmung von weichem, elysischen Reiz“. In Essen dürfen sich Kunstfreunde tatsächlich wie auf der Insel der Seligen fühlen.
- Das Museum Folkwang will nach dem Konzept seines Gründers Karl Ernst Osthaus Besucher auch jenseits der klassischen Museumsklientel ansprechen. „Ohne die Mitwirkung der Kunst sind die wichtigsten Fragen des sozialen Lebens unlösbar“, hat der Sammler einmal gesagt.
- Der Begriff „Folkwang“ („Folkwangar“ – Volkshalle) stammt aus dem altnordischen Versepos Edda. Osthaus wollte 1902 in Hagen eine Volkshalle für die Kunst schaffen, in der auch Kunstgewerbe seinen Platz hatte. Nach seinem frühen Tod 1921 erwarben Essener Bürger mit Unterstützung von Sponsoren vor allem aus dem Bergbau die Sammlung. Dem damals gegründeten „Folkwang Museumsverein“ gehört bis heute die Hälfte.
- Das Kunstmuseum der Stadt Essen war jedoch zu klein. Der Industrielle Hans Goldschmidt hatte dem Museum schon 1917 eine Villa an der Bismarckstraße geschenkt, sein Bruder Karl zog mit der nebenan liegenden Villa 1922 nach. Am 29. Oktober 1922 konnte Direktor Ernst Gosebruch die erste Präsentation in den Gebäuden eröffnen. In einem Neubau von Edmund Körner war ab 1929 endlich genug Platz.
- Die Nazis warfen dem Museum schon 1933 „Kulturbolschewismus“ vor, Gosebruch wurde zum Rücktritt gezwungen. 1937 entrissen die Nazis dem Museum rund 1400 Werke, darunter fast alle seine Expressionisten. Klaus Graf von Baudissin als Direktor von 1934-37 wirkte kräftig an der Untat mit. 2010 hat der Kurator Mario-Andreas von Lüttichau darauf hingewiesen, dass Baudissin entnazifiziert wurde und „er daraufhin bis zu seinem Tod 1961 eine Pension erhielt.“
- Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Direktor Paul Vogt die Sammlung wieder auf. 1963 bekamen die Werke ein elegantes Zuhause dank der Architekten Werner Kreutzberger, Erich Hösterey und Horst Loy.
- 2010 finanzierte die Krupp-Stiftung Um- und Neubau für 55 Millionen Euro nach dem Entwurf des Star-Architekten David Chipperfield. Die 1983 fertiggestellte Eingangshalle und die Räume des Ruhrlandmuseum mussten dafür fallen. Gleichzeitig entstand das Ruhr Museum auf Zollverein. Seit 2015 nimmt das Museum Folkwang keinen Eintritt mehr für die Dauerausstellung.
- 2015/16 hat das Team mit einer Untersuchung begonnen, ob unter den zurückgekauften Werken Nazi-Raubgut war. Aktuell seien keine Bilder oder Skulpturen mit „Entzugskontext“ bekannt, sagt Peter Gorschlüter.
Kultur ist eine Reise ins Abenteuer, und ich verstehe mich als Ihr Reiseführer. Welche Ausstellung in der Region ist super? Vor welchem Theaterstück muss ich warnen? Da nützt ein Magisterabschluss in Germanistik und Kunstgeschichte von der Ruhr-Uni Bochum nur bedingt. Mir hilft mehr, dass ich seit 1990 Journalistin und ein 1963 in Essen geborener Ruhrgebiets-Fan bin. Mein Ziel: Dass Sie mit unseren Tipps ihre Freizeit gut gestalten.
