Genervte Grundschul-Eltern: "Was soll der Quatsch?"

Schreiben nach Gehör - Missverständnisse und fehlende Informationen 

Grundschul-Eltern, die kritisieren. Lehrer, die sich zu Unrecht kritisiert fühlen. Nach unserer Berichterstattung zum Thema "Schreiben nach Gehör" haben sich jede Menge Mütter und Väter gemeldet. Der Streit um die Rechtschreibung hat in NRW eine klare Tendenz.

NRW

, 04.03.2018, 15:04 Uhr / Lesedauer: 4 min
Schreiben nach Gehör: Viele Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder so lernen. Sie kennen aber scheinbar auch nicht alle Details der Lernmethoden in den Klassen ihrer Kinder.

Schreiben nach Gehör: Viele Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder so lernen. Sie kennen aber scheinbar auch nicht alle Details der Lernmethoden in den Klassen ihrer Kinder. © dpa

Wie lernen Kinder in der Grundschule richtig schreiben? Der Streit, der sich an dieser Frage entbrannt hat, scheint es in sich zu haben.

Kompletter Schwachsinn!!

Weg damit!

Viele Eltern haben ihrem Unmut Luft gemacht, nachdem wir sie nach ihrer Meinung zum Thema gefragt haben. Zum Hintergrund: Die neue nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat gleich zu Beginn ihrer Amtszeit ein großes Fragezeichen hinter die Lernmethode "Schreiben nach Gehör", oder auch "Lesen durch Schreiben", gemacht.

Das "Schreiben nach Gehör" wurde vom Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen erfunden. Schüler verfassen vom ersten Schuljahr an kleine Texte, die Buchstaben lernen sie über eine Anlauttabelle. Lehrer verbessern Fehler nicht, die Rechtschreibung sieht bei den ersten Versuchen dementsprechend abenteuerlich aus.

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Sollte an der Methode "Schreiben nach Gehör" an den Grundschulen in NRW festgehalten werden?

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Baden-Württemberg und Hamburg haben die Methode aus den Lehrplänen verbannt, in anderen Bundesländern wie Schleswig-Holstein und Berlin wird intensiv diskutiert. In Baden-Württemberg wurde "Schreiben nach Gehör" verboten, nachdem die Schüler bei Rechtschreibvergleichen abgesackt waren. Einen Zusammenhang zwischen den Rechtschreibschwächen der Schüler und den Ergebnissen von Studien ist wissenschaftlich aber kaum zu erbringen.

Schulministerin Yvonne Gebauer kündigte für die Schulen in Nordrhein-Westfalen im Gespräch aber an. "Die Methode soll in Zukunft nur noch bis maximal zum Ende des ersten Schuljahres zum Einsatz kommen". Verbunden damit werde eine klare Handreichung zu den Rechtschreibkompetenzen, diese Handreichung wird gerade von Experten erarbeitet. Hessen geht bereits einen ähnlichen Weg. 

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Gebauer sagt, dass sie von Beginn an mehr Wert auf eine saubere Rechtschreibung legen will - sehr zur Verwunderung der Lehrer in NRW. Denn die sehen das "Schreiben nach Gehör" nur als einen Teil im Methodenmix, das "Schreiben nach Gehör" in Reinkultur gebe es so gar nicht. Auch, so die Lehrer, werde in den Grundschulen ohnehin sehr früh und sehr intensiv auf die Rechtschreibung geachtet.

Doch die Sorge bei den Eltern ist angesichts der ersten Schreibversuche ihrer Kinder groß. Beispiele aus den Kommentaren, die uns erreicht haben:

  • Was soll der Quatsch. Erst falsch, dann wird korrigiert. Meine Eltern, meine Kinder und ich, also drei Generationen haben es auf die alte Methode gelernt und siehe da, wir können schreiben und lesen. Und ich denke, sogar fast ohne Fehler. In meinen Augen völliger Unsinn.

  • Ich fand es schon ganz schlimm, als ich noch nicht betroffen war und habe immer gedacht, dass das längst wieder abgeschafft wurde, wenn mein Sohn in die Schule kommt. War leider nicht so und er lernt diesen Quatsch dann jetzt ab Sommer in der Schule. :(

  • Das Schreiben nach Gehör sorgt nur für Probleme.  Kinder brauchen in den ersten Jahren Führung um etwas zu lernen. Sie wissen es nicht besser. Die Grundschule ist so wichtig und wir fangen an die Kinder zu „verkorksen“. Da brauch man sich nicht wundern, warum Deutschland bei Pisa soweit hinten ist.

  • Ich finde es ganz schlimm, dass man die Kinder nicht einmal verbessern darf/soll. Aber meiner Ansicht nach wird es so falsch gelernt und gemerkt. Was einmal auf Papier geschrieben steht und nicht als falsch angesehen wird, prägt sich auch falsch ein. Warum ist Fuks (Fuchs) im ersten Schuljahr noch richtig, aber im zweiten falsch. Wie sollen die Kinder das verstehen!?

  • Ich war vor 21 Jahren in der 1. Klasse und habe schreiben ganz klassisch gelernt. Erst Druckschrift, dann Schreibschrift, Rechtschreibung aber von Anfang an fachlich richtig. Was ist seit dem passiert? Selbstgemachte Legasthenie oder was soll das werden?

  • Das ist der allerletzte Schwachsinn.  Ich und auch frühere Generationen haben es auch "normal" gelernt.  Meine Kinder haben es nach der neuen Methode gelernt und was soll ich sagen, sie können jetzt in der 6. und 7. Klasse auch noch nicht richtig schreiben. Das ist der größte Mist überhaupt gewesen. In Bayern gibt es so einen Schwachsinn nicht und die Kinder lernen schreiben wie eh und je.  Hier hat man das Gefühl, dass die Kinder dumm gemacht werden. Spricht man Lehrer darauf an, so heißt es, dass es nicht deren Aufgabe sei in der weiterführenden Schule eine korrekte Rechtschreibung weiter zu lehren.  Einfach nur traurig.

Die meisten Kommentare gehen in diese Richtung. Die Methode, die es nach Auskunft der Lehrer so ja gar nicht gibt, fällt durch.

Die Grundschulpädagogin Erika Brinkmann, Professorin für deutsche Sprache, Literatur und Didaktik, sagt dazu allerdings in einem Interview:

"Die Sorge vieler Eltern, dass sich die Kinder mit ihren lautgerechten Schreibungen, die noch nicht allen orthografischen Normen entsprechen, etwas Falsches einprägen könnten, ist meines Erachtens verständlich, aber unbegründet. Beim lautierenden Schreiben konstruieren die Kinder jedes Wort jedes Mal Laut für Laut neu. Dass sich dabei diese Schreibungen nicht in den Köpfen der Kinder festsetzen, belegen eindrucksvoll die Variationen, die die Kinder immer wieder finden: Oftmals wird das gleiche Wort in kurzer Zeit mehrfach unterschiedlich geschrieben, z. B. Fahrat, Fahrrat, Farrat. In Übungssituationen jedoch, die auf das bewusste Merken von Wörtern abzielen, ist es selbstverständlich unabdingbar, dass hier die Wörter richtig geschrieben sind, weil sonst tatsächlich Fehler antrainiert werden."

Nur bei wenigen Eltern scheint diese komplette Sicht der Methoden anzukommen. Fehlt es an Informationen? Eine Mutter schreibt: 

  • Wenn man aber die Anzahl an Gegnern der Methode hier (in den Kommentaren, Anmerkung der Redaktion) als repräsentativ nehmen würde, und wenn man bedenkt, dass die Kinder diejenigen sind, die unter der Verwirrung leiden, die herrscht zwischen dem, was die Lehrer sagen und dass was die Eltern dann versuchen zuhause zu “korrigieren” aus Sorge, dass ihre Sprösslinge nie vernünftig schreiben lernen – dann scheint es mir, dass man doch entweder mehr informieren muss oder vielleicht immer wieder. Die Eltern sollten verstehen, dass sie kontraproduktiv arbeiten und ihre Kinder nur verwirren, wenn sie zu “doll” intervenieren.

Die Befürworter der Methode sind in der Minderheit, ihre Beiträge:

  • Normalerweise werden auf dem ersten Elternabend im 1 Schuljahr ausführlich Infos zur Methode gegeben. Eltern können auch jederzeit nachfragen.

  • Es geht bei der Methode darum, zunächst die Schreibmotivation der Kinder zu wecken. Dann gehört vonseiten der Eltern Vertrauen dazu. Wenn sie immer eingreifen und ihre Kinder korrigieren, kann die Methode nicht funktionieren.  Als wir sprechen gelernt haben, wurden wir auch nicht pausenlos korrigiert.  Meine Kinder studieren mittlerweile und haben beide nach der Methode gelernt. Sie machen keine Fehler und haben Spaß am Schreiben!
  • Man muss auch im Hinterkopf behalten, dass man besser lernt, wenn man Spaß hat, indem man schneller Ergebnisse erzielt, und auch mal Fehler machen darf ohne gleich getadelt zu werden. Sowas kann auf Dauer nämlich auch verunsichern und deutlich mehr Schwierigkeiten für ein selbstbestimmtes Leben bedeuten als so ein paar blöde Rechtschreibfehler.