Wie lernen Kinder richtig schreiben?

Wie lernen Kinder richtig schreiben?

rnSchreiben nach Gehör in der Grundschule - Kritik der Ministerin

An vielen Grundschulen in Nordrhein-Westfalen lernen Schüler nach der Methode Schreiben nach Gehör. Einige Sprachwissenschaftler, manche Eltern und auch die neue NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer sehen das kritisch. Sie fürchten um die Rechtschreibfähigkeiten der Kinder. Grundschullehrer in NRW schütteln angesichts der Diskussion oft ratlos den Kopf.

NRW

, 27.02.2018, 16:15 Uhr / Lesedauer: 4 min

"ich hab fasucht rükwers seilban su fan."

Ein Satz aus dem Tagebuch eines Erstklässlers. Beim Blick in die Hefte werden Mama und Papa nicht selten nervös. Was für ein Kauderwelsch. Gleich am Anfang der Schullaufbahn. Doch "ich hab fasucht rükwers seilban su fan" darf so in den Heften stehen. Beim "Schreiben nach Gehör" lernen die Schüler mit der sogenannten Anlauttabelle und verfassen von Anfang an kleine Texte - die Lehrer verbessern Fehler aber nicht. Sagt man.

Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) ist erst seit einigen Monaten im Amt. Das "Lesen durch Schreiben" - wie die Methode des Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen eigentlich heißt - hat Gebauer bereits bewertet. "Die Methode soll in Zukunft nur noch bis maximal zum Ende des ersten Schuljahres zum Einsatz kommen", erklärt die Ministerin. Verbunden damit werde eine klare Handreichung zu den Rechtschreibkompetenzen, diese Handreichung wird gerade von Experten erarbeitet.

Vielen spricht Gebauer damit aus der Seele. Denn Reichens Idee, dass „Kinder umso mehr lernen, je weniger sie belehrt werden“, teilen Eltern nicht immer.

"Wir haben Kopfball geüpt und Opa hat gesagt das nächste mal trift du du flaume."

Die Meinung einer Mutter aus Dortmund: "Ich finde das schwierig, so zu lernen. Ich habe meiner Tochter von Anfang an gesagt, dass es eine Kinderschrift und eine Erwachsenenschrift gibt. Wenn du willst, dass das jemand lesen kann, dann musst du dich an Regeln halten." Eine der konstruktiveren Einschätzungen der Dinge. Eltern-Beiträge zum Thema landen gerne auch mal unterhalb der Gürtellinie. 

Nur: Einen Zusammenhang zwischen der Rechtschreibschwäche von Kindern und der Lernmethode von Jürgen Reichen herzustellen - das ist kaum möglich. Dennoch rudern viele Bundesländer radikal zurück. In Baden-Württemberg und Hamburg ist das "Schreiben nach Gehör" oder "Lesen durch Schreiben" in den Grundschulen bereits verboten. Auch in Schleswig-Holstein ist die Skepsis groß. Lehrpläne wurden gestoppt und werden noch einmal überarbeitet.

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Sollte an der Methode "Schreiben nach Gehör" an den Grundschulen in NRW festgehalten werden?

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Im Düsseldorfer Schulministerium setzt man auf den "Masterplan Grundschule", der durchaus eine Reaktion darauf ist, dass die NRW-Schüler in den letzten Studien mit Blick auf die Mathematik- und Rechtschreibkompetenzen nicht überragend abgeschnitten haben. Ministerin Gebauer sagt: "Im ersten Schuljahr macht die Methode von Jürgen Reichen in meinen Augen noch Sinn, um die Kinder zum Schreiben zu bringen. Aber eben immer begleitet durch einen verbindlichen Grundwortschatz." Der ist auf den Weg gebracht. Es müsse, so Gebauer, von Beginn an auf die Rechtschreibung geachtet werden. Denn schließlich möchte die schwarz-gelbe Landesregierung laut Koalitionsvertrag ausdrücklich das Lesen, Schreiben und Rechnen in den Schulen wieder stärken.

Das würde ein Teil der Eltern von Grundschulkindern in NRW so unterstützen. Kritiker der "Schreiben-nach-Gehör-Methode" sagen: „Für uns Eltern ist das zu Hause Arbeit. Man korrigiert und frustriert das Kind, wenn man immer sagt: das schreibt man aber anders“, berichtet eine Mutter. Und was ist, wenn sich Eltern diese Mühe erst gar nicht machen wollen oder es einfach nicht können?

ich habe kelbchen und küe angekukt

Wie viele Eltern sind es aber nun, die angesichts solcher Sätze nervös werden? „Wir bekommen Rückmeldungen zu dem Thema. Aber nicht im Ansatz so viele, wie man im Ministerium zu glauben scheint“, sagt Birgit Völxen von der Landeselternschaft NRW. „Lehrer machen in der Grundschule nicht, was sie wollen. Keiner sagt ihnen, dass sie nicht auf die Rechtschreibung achten sollen.“

Die Reichen-Lehre in den Vordergrund der Kritik zu stellen, sei falsch. Sie sei eine von vielen Methoden für Lehrer, um den Kindern das Lesen und Schreiben beizubringen. Aber nicht die einzige. Vielmehr gebe es einen Methodenmix an den Schulen, entscheidend sei die individuelle Förderung eines jeden Kindes. Lehrer müssten schauen, was für welches Kind gerade richtig ist. Und das sei auch gut so.

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Im Lehrplan ist festgehalten: Die Schüler sollen nach der zweiten Klasse "erste Rechtschreibmuster" anwenden und nach der vierten Klasse "grundlegende Regelungen der Rechtschreibung" kennen. Der Weg zum Ziel einer guten Rechtschreibung ist in NRW und vielen anderen Bundesländern von didaktischer Freiheit geprägt. Die Lehrer suchen sich ihre Methoden aus. Durch den Einsatz von Büchern, deren Anschaffung die Schulkonferenz beschließt, wird allerdings ein Weg an der jeweiligen Schule vorgegeben. Und auch, wie lange Grundschulkinder fehlerhaft schreiben dürfen, ist recht klar geregelt.

Nicht nur aus diesem Grund nervt Lehrer die Diskussion.

Methode gibt es so nicht

Die Forderung von Yvonne Gebauer, möglichst früh auf die Rechtschreibung zu achten, kann Christiane Mika vom Grundschulverband NRW nur unterstreichen. Die Leiterin der Libellen-Grundschule in der Dortmunder Nordstadt sagt aber auch: Die Methodiken sind richtig - und warnt vor einer „Engführung“ durch die Politik.

Die Methode „Schreiben nach Gehör“, die gebe es so an den Grundschulen in NRW nicht. „Die Vorstellung, dass den Kindern vermittelt wird, es ist egal, wie du schreibst – die stimmt so nicht“, stellt Mika klar.

Mit den Kindern werde natürlich von Anfang an auch über die Regeln gesprochen. Und ihnen werde gesagt: „Wenn du möchtest, dass alle das lesen können, was du da jetzt geschrieben hast, dann muss das in Erwachsenenschrift sein.“ Eine Schrift mit Regeln - von allen lesbar. Dieses Bewusstsein müsse geweckt werden.

Was Lehrern und Lehrerinnen vor allem fehle, das sei die Zeit. Mika: "Wenn die Schule noch der einzige Ort ist, an dem gelesen und geschrieben wird, dann brauchen Kinder sehr viel mehr Zeit, in sinnvollen und für sie bedeutsamen Kontexten die Funktionalität von Schrift zu erleben und zu nutzen.“

Eltern können das nicht leisten

An vielen Grundschulstandorten können Eltern nicht mehr leisten, was zu Hause vielleicht nötig wäre. Und dabei sei es so wichtig, dass Kinder erleben:

"Es ist nicht egal, was du machst, was du produzierst." 

"Es lohnt sich, sich anzustrengen, um etwas zu erreichen."

Mika: Wenn trotz erprobter Konzepte die Rechtschreibleistungen in der vierjährigen Grundschulzeit nicht immer ausreichend erbracht werden, spielt die Zeit, die Kinder brauchen, um diese zu erlangen, eine entscheidende Rolle.

Birgit Völxen von der Landeselternschaft sagt: Die Rechtschreibung hat so eine enorme Wichtigkeit, wir brauchen sie im Alltag. Selbst eine Google-Suche geht ohne Rechtschreibung nicht." Mit der Methodik in der Schule habe das wenig zu tun.

Für die Kinder ist eines im Alltag aber selbstverständlich: Sie verstehen sich, wenn es sein muss, gut ohne saubere Rechtschreibung. Bei Whatsapp beispielsweise, hier sind Fehler eher normal.

Wir haben lider for gsungen.

Viele Eltern in Nordrhein-Westfalen sehen die Sache mit der Rechtschreibung dann auch weitaus gelassener. Wir haben lider for gsungen - der Satz eines Erstklässlers. Und kein Grund zur Panik. Eine Mutter: "Meine Tochter ist in der dritten Klasse und hat natürlich auch Schreiben nach Gehör gelernt. Sie hat immer noch Probleme mit der Rechtschreibung. Dennoch: Ich finde das ganz großartig. Sie hat in der ersten Klasse angefangen, Geschichten und ganze Bücher zu schreiben. Diese Form der Kreativität halte ich auch in Hinblick auf künftige Herausforderungen in der Arbeitswelt für weitaus gewichtiger, als eine tadellose Rechtschreibung."