Zehn Vorstrafen, meistens Täter, aber auch mal Opfer: Der Werkstatt-Chef (42), der am 22. Juni vergangenen Jahres am Rande einer Razzia in Oer-Erkenschwick festgenommen wurde, ist bei der Justiz kein unbeschriebenes Blatt. Seine Autowerkstatt an der Ludwigstraße spielte dabei mehrfach eine zentrale Rolle. Vor Gericht zog der Familienvater, ein Cousin des bekannten Berliner Clanchefs Arafat Abou-Chaker, allein schon durch seine außergewöhnlich muskulöse Statur immer viele Blicke auf sich. Wenn er redete, dann immer frei Schnauze, nie nahm er ein Blatt vor den Mund. „Er ist wie ein tapsiger Bär“, porträtierte ihn vor Jahren mal ein Anwalt.
Verteidiger verordnet Schweigen
Einer seiner Rechtsanwälte im aktuellen Schwarzarbeits-Komplex ist Lars Volkenborn. Und der hatte sich und dem 42-Jährigen vor dem im April gestarteten Prozess erst einmal eisernes Schweigen verordnet. Nachdem der Prozess gestartet war, wurde das Schweigen aber zügig gebrochen und es fiel der Satz: „Ich habe große Scheiße gebaut.“
Vom Haftbefehl kalt erwischt
Am Rande der Razzia vom 22. Juni 2023 war auf Bildern zu beobachten, wie der Werkstatt-Inhaber aufgebracht und wild gestikulierend mit einer Gruppe von Polizeibeamten diskutiert. Dass Ermittlungen gegen ihn liefen, wusste der heute 42-Jährige zwar schon länger. Die Verkündung eines Haftbefehls inklusive sofortiger Festnahme erwischte ihn an jenem Tag jedoch augenscheinlich völlig kalt.
Vorgeworfen werden dem Oer-Erkenschwicker unter anderem bandenmäßiger Betrug, Schwarzarbeit, Geldwäsche und Steuerdelikte. Außerdem stehen mutmaßlich überhöhte Rechnungen durch eine Gleissicherungsfirma im Fokus der Ermittler. Im Raum steht ein Schaden von rund 2 Millionen Euro.
Der Haftbefehl gegen den Oer-Erkenschwicker stützt sich neben Flucht- auch auf Verdunkelungsgefahr. Denn es bestand nach Ansicht der Staatsanwaltschaft der dringende Verdacht, dass womöglich Beweismittel vernichtet, versteckt, verändert oder potenzielle Zeugen oder Mittäter beeinflusst werden könnten.

Dass NRW-Innenminister Herbert Reul noch am Abend der Razzia beim WDR von der Festnahme eines „hochrangigen Clanmitglieds aus einer bekannten Clan-Familie“ sprach – und damit erkennbar auf den Namen Abou-Chaker anspielte - dürfte den Oer-Erkenschwicker bis heute massiv verärgern.
Der 42-Jährige trägt zwar selbst nicht den Namen Abou-Chaker, ist mit der Zugehörigkeit zu der bekannten Großfamilie aber stets offensiv umgegangen. Pauschale Vorverurteilungen gegen sämtliche Familienmitglieder hatte er gegenüber Medien auch schon scharf kritisiert („Das ist nicht korrekt“).

Seine Historie als Angeklagter vor Gericht konzentriert sich in den vergangenen rund zehn Jahren auf zwei einschneidende Ereignisse. Schon im Jahr 2011 hatte es eine Razzia bei dem Familienvater gegeben. Die Polizei hatte damals im Schlafzimmer seiner Oer-Erkenschwicker Wohnung 93 Ampullen mit Testosteron, in einem Kühlschrank seiner Autowerkstatt weitere 50 Ampullen mit Steroiden beschlagnahmt.
Zehn Monate Haft auf Bewährung
Ins Anabolika-Visier war der Werkstatt-Chef seinerzeit nur deshalb geraten, weil er am Telefon eine Hormon-Bestellung aufgegeben hatte. Was er dabei nicht geahnt hat: Seine Lieferanten waren bereits aufgeflogen, die Telefone angezapft, jedes Gespräch belauscht worden. So auch das mit dem Werkstatt-Chef.
Am 10. November 2014 verhängte das Schöffengericht in Recklinghausen gegen den damals 32-Jährigen zehn Monate Haft auf Bewährung. Das Urteil lautete auf illegalen Besitz und Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken.
Täter und Opfer zugleich
Im seinem bislang spektakulärsten Gerichtsfall war der Oer-Erkenschwicker sogar Täter und Opfer in einer Person. Am 13. Juni 2017 hatten sich am frühen Abend vor seiner Werkstatt an der Ludwigstraße unfassbare Prügel-Szenen abgespielt, außerdem waren Schüsse gefallen. Medial wurde schon damals schnell über eine Racheaktion gegen den Abou-Chaker-Clan spekuliert.
Ein Handyvideo, das den Werkstatt-Besitzer damals erst knüppelschwingend zeigt, dann humpelnd, weil durch einen Pistolenschuss in den Oberschenkel getroffen, war viral gegangen. „Meine Haut war voll zerfetzt“, hatte er im späteren Prozess am Bochumer Landgericht erklärt.
Als Auslöser für den völlig außer Kontrolle geratenen „Straßenkampf“ zweier bewaffneter und wild aufeinander einschlagenden Männergruppen, hatte sich ein Facebook-Streit entpuppt. Im Mittelpunkt: der Berliner Clan-Chef Arafat Abou-Chaker.
Der Cousin des Oer-Erkenschwickers war jahrelang Manager und Geschäftspartner des Musikers „Bushido“ und hatte Ende Januar 2018 in Bochum vor Gericht ausgesagt, dass ein Essener Rapper seinerzeit aus heiterem Himmel angefangen habe, ihn wegen einer Konzertankündigung in den sozialen Medien anzupöbeln.

Inhaltlich, so der Berliner Clan-Chef, sei es darum gegangen, dass der Mann mit dem Künstlernamen „Hamad45“ es eine Schande genannt habe, wenn muslimische Rapper in Zeiten des Fastenmonats Ramadan Konzerte veranstalten.
Auch der Werkstatt-Chef mischte sich damals in den Online-Streit ein, will mehrfach mit „Hamad45“ telefoniert haben. Und ihm dann nach eigenen Angaben sogar eine SMS geschickt haben nach dem Motto: „Komm‘ vorbei. Auge um Auge. Zahn um Zahn.“ Schlussendlich kam es zu der exzessiven Massenschlägerei auf offener Straße.
Weil der Werkstatt-Chef (trotz der Schusswunde) später mit zwei Brüdern auch noch zunächst vom Tatort flüchtende Männer aus der Gruppe um „Hamad45“ in einem nahen Autohaus in Oer-Erkenschwick brutal zugerichtet hatte, war ihm gemeinsam mit dem Rapper der Prozess gemacht worden. „Wir waren so voll Adrenalin und hatten so eine Wut, dass wir wie im Rausch draufgeschlagen haben. Das war ein Fehler von uns“, hatte der Werkstatt-Chef dort zugegeben.

Am 30. April 2018 verurteilte das Bochumer Schwurgericht den Rap-Musiker „Hamad45“ aus Essen wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren und drei Monaten Haft.
Gegen den heute 42-jährigen Oer-Erkenschwicker wurden zunächst zwei Jahre und sechs Monate Haft verhängt, die später in einem zweiten Prozess (nach erfolgreicher Revision) auf eine zweijährige Bewährungsstrafe reduziert wurden.
Bei der Abmilderung hatte das Gericht besonders honoriert, dass der Werkstatt-Chef und seine Brüder im Vorfeld finanzielle Schadenswiedergutmachung in Höhe von insgesamt 9000 Euro an verprügelte Opfer gezahlt hatten.
Im Moment der Verkündung der Bewährungsstrafe im Februar 2020 hatten Freunde und Verwandte des Oer-Erkenschwickers aus dem Zuschauerbereich im Saal spontan applaudiert. Was den Werkstatt-Chef damals zufrieden lächeln ließ. Aktuell sieht die Situation für ihn deutlich ungünstiger aus. Denn nicht nur der Widerruf der Bewährungsstrafe droht, sondern am kommenden Dienstag (10.9.) noch eine weitere Haftstrafe in dem Schwarzarbeit-Prozess.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist ursprünglich am 19. April 2024 erschienen, wir haben ihn aktualisiert.
Urteil im Prozess um Schießerei in Oer-Erkenschwick