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Fakten-Check zu den Argumenten der Corona-Impfkritiker: Was stimmt und was ist Unsinn?
Coronavirus
Corona-Impfungen schaden mehr als dass sie schützen. Sie lösen selbst schwere Krankheiten aus, sind nicht erprobt. Die Vorwürfe der Impfkritiker wiegen schwer. Wir machen den Fakten-Check.
Rund um die Corona-Impfungen gibt es viele Behauptungen, Gerüchte, angeblich immer neue, schlimme Erkenntnisse. Wer im Internet nach Antworten auf seine Fragen stößt, wird schnell fündig. Doch leider sind viele der vor allem in den Sozialen Medien gelieferten Antworten bestenfalls die halbe Wahrheit.
In vielen Fällen wird haarsträubender Unfug und rundweg Falsches behauptet. Wir haben einige der kursierenden Behauptungen unter die Lupe genommen und machen den Fakten-Check.
Behauptung: Es gibt eine Impfpflicht
Ja, inzwischen haben Bundesrat und Bundestag eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen im Gesundheitswesen beschlossen. Die Diskussion um eine allgemeine Corona-Impfpflicht ist noch nicht abgeschlossen. Allerdings zeichnet sich derzeit eine Mehrheit für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab.
Zur Zeit es noch keine allgemeine Impfpflicht, sehr wohl aber eine nachdrückliche Impfempfehlung, um sich nicht nur selbst, sondern auch die Gemeinschaft zu schützen. Inzwischen haben an vielen Stellen nur Geimpfte und Genesene Zutritt noch Zutritt. Ungeimpfte müssen dann trotz eines negativen Tests draußen bleiben. Das gilt für den Handel außerhalb des täglichen Bedarfs genauso wie für Restaurants, Kinos, Fitnessstudios oder Theater. Kritiker bezeichnen diese Maßnahmen als „Impfpflicht durch die Hintertür“. Befürworter von 2G weisen das zurück und bezeichnen es lediglich als die Konsequenz, die ein bestimmtes Handeln nach sich zieht.
Behauptung: Bei der Entwicklung der Corona-Impfstoffe ging Schnelligkeit vor Sicherheit
Die Herstellung und Zulassung von Impfstoffen ist ein extrem streng kontrolliertes, genormtes Verfahren, in das sowohl nationale als auch europäische Behörden, vor allem die Europäische Arzneimittelagentur, eingebunden sind. Ein Impfstoff wird in Deutschland nur dann zugelassen, wenn er an ausreichend vielen Personen getestet wurde und bestätigt wurde, dass die gewünschte Wirkung gegenüber den aufgetretenen Nebenwirkungen deutlich überwiegt.
Dass die Entwicklung der Corona-Impfstoffe extrem schnell ging, lag daran, dass diverse Prozesse, die sonst nacheinander abgewickelt werden, parallel liefen. Dabei werden unter anderem in klinischen Prüfungen auch mögliche Nebenwirkungen untersucht, die dann nach der Zulassung transparent veröffentlicht werden, unter anderem in der Packungsbeilage.
Behauptung: Die Impfung ist für Kinder ab 12 Jahren gefährlich
Bevor die Ständige Impfkommission (Stiko) die Empfehlung gegeben hat, auch 12- bis 17-Jährige mit Biontech zu impfen, hat sie die Daten von annähernd zehn Millionen geimpften Kindern und Jugendlichen weltweit ausgewertet. Dabei ist sie zu dem Schluss gekommen: Der Nutzen einer Impfung überwiegt das Risiko von Nebenwirkungen bei weitem.
Als Nebenwirkung wurden sehr selten Herzmuskelentzündungen beobachtet, die allerdings in der Regel einen sehr milden Verlauf hatten. Sicher ist, dass die bei uns bisher praktisch ausschließlich vorzufindende Delta-Variante ein höheres Risiko für eine Covid-Infektion in sich trägt und die Ende November neu aufgetauchte Omikron-Variante eine noch höhere Ansteckungsgefahr in sich birgt. Welche Bedeutung Long-Covid, also Langzeitfolgen einer Corona-Infektion, gerade für Kinder und Jugendliche hat, ist derzeit noch nicht genau absehbar.
Behauptung: Aufgrund der schnellen Zulassung sind Langzeitzeitschäden durch die Impfung nicht auszuschließen
Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums, das sich wiederum auf das Robert-Koch-Institut stützt, liegt das Risiko einer unerwünschten, schweren Nebenwirkung einer Impfung bei 0,02 Prozent. Anders ausgedrückt: Es trifft einen von 5.000 Geimpften.
Alle bisherigen Erfahrungen mit Impfstoffen zeigen, dass Nebenwirkungen innerhalb kürzester Frist nach einer Impfung auftreten. In der Regel handelt es sich um Stunden oder Tage. Langzeitfolgen, die sich erst Jahre später zeigen, sind – da sind sich eigentlich alle Forscher einig – von bisherigen Impfungen nicht bekannt und auch bei den Corona-Impfstoffen nicht zu erwarten.
Gerade bei den mRNA-Impfstoffen, so versichern die Experten, sei das rein wissenschaftlich praktisch auch ausgeschlossen. Viele andere Impfungen beruhen darauf, dass man Teile eines Virus oder abgestorbene Viren verimpft, gegen die dann der Körper Abwehrstoffe produziert. Das ist bei Biontech und Moderna anders. Mit diesem Impfstoff wird lediglich der Körper angeregt, Abwehrstoffe gegen das Virus zu bilden. Die mRNA baut sich dann sehr schnell wieder ab.
Inzwischen sind weltweit etwa 8,5 Milliarden Impfungen gegen Corona verabreicht. Sämtliche dabei gemeldeten Nebenwirkungen werden in Deutschland vom Paul-Ehrlich-Institut gesammelt und ausgewertet.
Findet man dabei Auffälligkeiten, wird die Impfempfehlung gegebenenfalls angepasst. Das geschah etwa, als nach Impfungen mit Astrazeneca im Frühjahr in einigen wenigen Fällen Thrombosen auftraten. So geschah das etwa auch, als Anfang November für unter 30-Jährige nicht mehr der Impfstoff von Moderna, sondern der von Biontech empfohlen wurde. Grund: In sehr, sehr seltenen Fällen waren Herzmuskelerkrankungen (die dann milde verliefen) nach einer Impfung aufgetreten. Das geschah auch bei Moderna sehr selten, aber eben öfter als bei Biontech. Deshalb hat man reagiert.
Behauptung: Auch bei früheren Impfungen traten schwere Langzeitfolgen erst spät auf
In diesem Zusammenhang dient Kritikern gerne die Impfung gegen die Schweinegrippe in den Jahren 2009/ 2010 als Beispiel. Seinerzeit gab es tatsächlich in sehr seltenen Fällen Nebenwirkungen wie schwere Schlafstörungen (Narkolepsie).
Die traten allerdings in einem sehr kurzen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auf und wurden entsprechend gemeldet. Wenn man hier von Spätfolgen spricht, bedeutet das nicht, dass diese Nebenwirkungen erst Monate oder gar Jahre nach der Impfung auftraten, sondern kurz nach der Impfung, allerdings sehr lange nachwirken können.
Die Nebenwirkung der Narkolepsie hatte man in den klinischen Studien nicht gefunden, auch weil sie nur sehr selten auftrat. Mit den Corona-Vakzinen sind allerdings mittlerweile so viele Milliarden Menschen geimpft, dass hier auch die extremst seltenen Nebenwirkungen aufgefallen wären.
Bei der Schweinegrippen-Impfung fand man übrigens heraus, dass sehr wahrscheinlich ein Impfverstärker für die Nebenwirkungen verantwortlich war. Dieser Stoff wird mittlerweile nicht mehr benutzt und kommt bei mRNA-Impfstoffen wie Biontech und Moderna ohnehin nicht zum Einsatz.
Behauptung: Die Zahl der Nebenwirkungen durch Impfungen wird verschwiegen
Alle Nebenwirkungen, die nach Impfungen auftreten, werden registriert und bewertet. Die Ergebnisse veröffentlicht das Paul-Ehrlich-Institut regelmäßig in Sicherheitsberichten, die von allen Interessierten jederzeit eingesehen werden können.
Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht dazu an jedem Donnerstag einen Wochenbericht, in dem auch detaillierte Angaben über Impfdurchbrüche sowie wegen Corona hospitalisierte oder gestorbene Menschen, die vollständig geimpft waren, gemacht werden.
Behauptung: Die Zahl der Todesfälle in der Prüfungsphase vor der Zulassung der Corona-Impfstoffe wurde unterschlagen
Die klinischen Prüfungen vor der Einführung neuer Medikamente oder Impfstoffe unterliegen einer sehr strengen Kontrolle. Selbstverständlich ist es dabei, gerade bei einer hohen Patientenzahl auch mit hochbetagten Menschen, möglich, dass im Verlauf einer Studie Menschen sterben.
Das gilt umso mehr, als die Impfstoffe nicht nur – wie zuweilen von Impfkritikern behauptet – gesunden Menschen, sondern auch Risikopatienten verabreicht wurden. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Impfung hierfür todesursächlich war. Jeder einzelne Todesfall in zeitlicher Nähe zu einer Impfung wird auf einen möglichen Zusammenhang mit der Impfung überprüft.
Behauptung: Die Impfungen wirken gar nicht wirklich, auch Geimpfte sterben
Ja, auch Geimpfte sterben. Nach dem Stand vom 9. Dezember starben seit dem 5. Februar 2021 – erst seit diesem Datum kann es in Deutschland vollständig geimpfte Menschen geben – 2.707 vollständig Geimpfte im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion. Das ist wahr. Von diesen 2.707 Menschen waren 1.845 (68 Prozent) 80 Jahre und älter und daher ohnehin stark gefährdet.
Es starben allerdings seit dem 5. Februar auch 43.915 nicht vollständig geimpfte Menschen an oder mit Corona. Das bedeutet: An allen Corona-Toten haben Geimpfte lediglich einen Anteil von 5,8 Prozent. Das gilt es zu beachten angesichts einer Quote von inzwischen 69,7 Prozent vollständig geimpften Menschen.
Insgesamt gibt es bisher 362.130 Menschen, die nach einer vollständigen Impfung an Covid19 erkrankten. Allerdings sind das lediglich 8,8 Prozent der 4.097.323 Neuinfektionen seit dem 5. Februar, also seit es vollständig Geimpfte gibt.
Nach Angaben des RKI bieten Corona-Impfungen generell einen bisher bestätigten Schutz von rund 73 Prozent gegen eine Infektion mit dem Coronavirus, einen Schutz von – je nach Alter – 85 bis 89 Prozent vor Hospitalisierung, einen Schutz von 90 bis 94 Prozent vor der Notwendigkeit einer Intensiv-Behandlung und einen Schutz von 86 bis 92 Prozent vor einem Corona-Tod.
Behauptung: Auch Menschen, die schon einmal geimpft wurden, werden als Ungeimpfte gezählt
Ja, als geimpft gilt nur, wer vollständig geimpft wurde. Das bedeutet: Zwei Wochen nach der zweiten Corona-Schutzimpfung gilt man als geimpft, weil erst dann der vollständige Immunschutz aufgebaut sein kann.
Behauptung: Mehr als 50 Prozent der Corona-Patienten im Krankenhaus sind trotz Impfung dort
Das mag in einzelnen Kliniken der Fall sein, die Regel ist es allerdings nicht. Beim Blick beispielsweise auf die vier Wochen zwischen dem 8. November und 5. Dezember ergibt sich dieses Bild: In dieser Zeit erkrankten 340.437 Menschen mit Symptomen an Covid 19. Von ihnen waren 168.403 (49,5 Prozent) vollständig geimpft.
In einer Klinik eingewiesen wurden in dieser Zeit 11.410 Covid-Kranke. Von ihnen waren 3.712 (32,5 Prozent) vollständig geimpft.
Auf einer Intensivstation behandelt werden mussten im fraglichen Zeitraum 5.100 Covid-Kranke. 585 von ihnen (11,5 Prozent) waren vollständig geimpft. Anders ausgedrückt: Auf den Intensivstationen waren von allen Covid-Patienten 88,5 Prozent nicht vollständig geimpft.
Behauptung: Weil das Risiko von Impfschäden so groß ist, haftet niemand für Schäden, sondern nur man selbst. Deshalb muss man vor der Impfung eine Einverständniserklärung unterschreiben.
Das ist falsch. Eine Einverständniserklärung muss man unterschreiben, weil eine Impfung – völlig neutral und wertfrei betrachtet – erst einmal eine „Körperverletzung“ ist. Damit der Impfende nicht wegen eines solchen Delikts verklagt werden kann, muss man sein Einverständnis erteilen.
Auch die Haftungsfrage hat der Bund durch einen entsprechenden Passus im Infektionsschutzgesetz geklärt. Damit ist klar, dass „für alle gesundheitlichen Schäden, die im Zusammenhang mit Schutzimpfungen eingetreten sind, die auf Grundlage der Coronavirus-Impfverordnung seit 27. Dezember 2020 vorgenommen wurden, bundeseinheitlich ein Anspruch auf Entschädigung besteht. Dieser Anspruch besteht unabhängig von den öffentlichen Empfehlungen der Landesbehörden“, so die offizielle Information des Bundesgesundheitsministeriums.
Behauptung: Die Intensivstationen sind gar nicht wegen der Covid-Kranken überlastet, sondern weil Betten abgebaut wurden
An dieser Behauptung ist richtig, dass heute weniger Intensivbetten zur Verfügung stehen als etwa vor einem Jahr. Am 15. Dezember 2020 standen nach Angaben des Intensivregisters insgesamt 35.382 Intensivbetten zur Verfügung: 20.659 waren belegt, 3.731 frei und 10.992 wurden als Notfall-Reserve freigehalten.
Ein Jahr später stehen am 15. Dezember 2021 genau 30.395 und damit 4.987 Intensivbetten weniger zur Verfügung: 19.904 von ihnen sind belegt, 2.297 sind frei und 8.194 stehen für den Notfall bereit.
Das sind die Zahlen. Nun ist es aber nicht so, dass tausende Betten aus den Krankenhäusern hinausgetragen wurden, sondern: Die Kliniken haben diese Betten abgemeldet, weil sie schlicht und einfach nicht mehr das Personal hatten, um Menschen in diesen Betten zu betreuen. Der seit Jahren grassierende Pflegemangel ist zum entscheidenden Begrenzungsfaktor für die Behandlungskapazitäten der Kliniken geworden.
Anders als Betten kann man Pflegekräfte nicht innerhalb kurzer Zeit irgendwo einkaufen, sondern man muss Interessierte finden und ausbilden. Dieses Problem hat sich in den vergangenen Monaten weiter verschärft, da sehr viele Pflegekräfte aufgrund der lang anhaltenden Corona-Überlastung ihren Beruf aufgegeben haben.
Behauptung: Der mRNA-Impfstoff verändert das Erbgut
Ein direkter Einbau von RNA in die DNA, also in das menschliche Erbgut, ist aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur gar nicht möglich. Die mRNA (das m steht für messenger), also die Boten-RNA, gelangt nur in das Zellplasma und nicht in den Zellkern, wo unsere DNA sitzt. Das heißt: Die mRNA kommt nicht in Kontakt mit unserer DNA, kann sie folglich weder verändern noch beeinflussen.
Behauptung: Die Corona-Impfung macht unfruchtbar
In den sehr umfangreichen Prüfungen, die der Zulassung von Impfstoffen generell vorausgehen, spielt auch die Frage der Beeinflussung der Fruchtbarkeit eine große Rolle. Bei der Überprüfung und Testung der Corona-Impfungen hat sich dabei keinerlei Hinweis ergeben, dass eine Corona-Impfung zu weiblicher oder männlicher Unfruchtbarkeit führen könnte.
Behauptung: Die Corona-Impfung schadet Schwangeren und löst Fehlgeburten aus
Die Ständige Impfkommission empfiehlt Schwangeren ausdrücklich eine Corona-Schutzimpfung. Nach ihrer Darstellung gebe es keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt. Elf deutsche gynäkologische Fachgesellschaften haben nach Darstellung der Bundesregierung inzwischen bestätigt, dass die Impfung nicht zu mehr Komplikationen in der Schwangerschaft führt.
Auf der anderen Seite steht fest, dass eine Covid-Erkrankung sehr wohl schwangere Frauen besonders schwer treffen kann. In den vergangenen Monaten gab es allein in Nordrhein-Westfalen mehrere Todesfälle.
Behauptung: Die Corona-Impfung kann Krebs auslösen
Dass eine Corona-Impfung Krebs auslösen könnte, ist ein reines Gerücht. In keiner bisher bekannten wissenschaftlichen Studie gibt es einen Hinweis auf einen solchen Zusammenhang. Im Übrigen gilt grundsätzlich, dass ein Impfstoff vor seiner Zulassung an vielen Menschen getestet wird. Zugelassen wird er nur, wenn die erwünschte Wirkung des Impfstoffs die Risiken deutlich überwiegt.
Behauptung: Die Impfung wirkt nur eine kurze Zeit
Es ist richtig, dass sich nach einer Impfung im Laufe der Monate die Wirkung abschwächt. Das bedeutet: Die Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, steigt mit einem größeren Abstand zur Impfung wieder an. Daher werden Auffrischungs- oder Booster-Impfungen empfohlen. Richtig ist aber auch, dass der Schutz vor einer schweren oder gar lebensbedrohlichen Covid-Erkrankung noch fortbesteht, auch wenn sich die Schutzwirkung generell abgeschwächt hat.
Behauptung: Durch den großen Druck auf Ungeimpfte wird das grundgesetzlich geschützte Recht auf körperliche Unversehrtheit ignoriert
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein sehr hohes Gut, das unser Staat zu schützen hat. Dieses Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt in einem Staat allerdings nicht nur für Menschen, die eine Corona-Schutzimpfung ablehnen, sondern für alle Menschen und damit beispielsweise auch für die, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen dürfen oder die trotz einer Impfung bei einer Infektion Gefahr laufen, schwer oder gar tödlich zu erkranken.
Hier muss der Staat eine gesamtgesellschaftliche Güterabwägung treffen: Was wiegt schwerer: eine Impfpflicht und die damit verbundene Einschränkung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit oder die Gefährdung der Gesamtgesellschaft?
Behauptung: Die Impfkampagne nutzt nur der Pharmaindustrie und wird von ihr gesteuert
Selbstverständlich will jedes Pharma-Unternehmen auch Geld verdienen. Die Entwicklung eines hoch wirksamen und sicheren Impfstoffs ist zudem ein äußerst langwieriges, mit hohen unternehmerischen Risiken behaftetes Geschäft. Privatwirtschaftliche Interessen bei der Impfstoffentwicklung zu leugnen, wäre daher falsch.
Aber: Ein sicherer Impfstoff muss gut erforscht sein. In der „Global Response“-Initiative, die auch von Nichtregierungsorganisationen wie der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung unterstützt wird, erfolgt dazu ein internationaler Austausch. Hier spielen privatwirtschaftliche Interessen keine Rolle. Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung verkauft selbst keine Impfstoffe und verdient auch nicht am Vertrieb von Impfstoffen. Sie setzt sich seit mehr als 20 Jahren für die Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen ein.
Behauptung: In China, Russland und Indien gibt es super Impfstoffe, die hier nicht eingesetzt werden dürfen, weil die heimische Pharmaindustrie geschützt werden soll
Es ist richtig, dass Pharmaunternehmen in aller Welt Impfstoffe gegen Covid 19 entwickeln. Zahlreiche dieser Firmen haben noch nie für irgendein Produkt eine Zulassung in der EU beantragt. Bisher hat weder ein chinesischer noch ein russischer oder ein indischer Hersteller eine Impfstoffzulassung in der EU. Das könnte sich allerdings rasch ändern, wenn ein Unternehmen aus diesen Ländern die dafür aufgestellten Bedingungen erfüllen würde, die in einer EU-Richtlinie (EG-Richtlinie 2001/83/EG) dargelegt sind.
Einige wichtige Punkte daraus: Nur ein in der EU ansässiges Unternehmen kann eine EU-Zulassung für einen Impfstoff beantragen. Dabei reicht eine Niederlassung in der EU, es muss nicht der Hauptsitz sein.
Außerdem muss das Unternehmen bei der EU-Arzneimittelagentur (EMA) – wie deutsche Firmen ganz genauso – Unterlagen zu den Ergebnissen der Labor- und Tierversuche sowie die Daten aus allen klinischen Studien mit Freiwilligen einreichen, außerdem Angaben zum Herstellungsverfahren und Analysen von Produktionschargen. Zudem müssen Wirksamkeit und Sicherheit nachgewiesen werden. Die Produktionsanlagen werden – wo auch immer sie auf der Welt stehen (für USA und Australien gibt es Sonderregeln) – durch Prüfer der EMA begutachtet.
Für den russischen Impfstoff „Sputnik V“ hat der Hersteller R-Pharm, der eine gleichnamige deutsche Tochter in Illertissen hat, im März 2021 bei der EMA das erste Kapitel eines Zulassungsantrags eingereicht. Seit Mai 2021 gilt das gleiche für den chinesischen Impfstoff „Covid-19 Vaccine (Vero Cell) Inactivated“ des chinesischen Unternehmens Sinovac Life Sciences. Dieser Impfstoff ist mittlerweile auch von der WHO anerkannt. Der Impfstoff Covivaxx eines anderen indischen Unternehmens, für das das deutsche Unternehmen Vakzine Projekt Management einen EU-Zulassungsantrag stellen soll, befindet sich noch in der klinischen Erprobung.
Das EU-Recht sieht keine Notfallzulassungen vor. Dies kann allerdings jedes EU-Land für sich anders handhaben. So wird unter anderem Sputnik V in Ungarn und der Slowakei eingesetzt. Bayern hat Sputnik V bestellt, will das Serum aber erst nach einer EU-Zulassung einsetzen.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
