Fahnenflucht, Sprachkenntnisse und Passangelegenheiten

Entscheidungen zum Asylrecht

Das beherrschende Thema der Zeit ist der Flüchtlingsstrom und seine Auswirkungen. Politiker lamentieren, Talkshowgäste diskutieren und Flüchtlinge demonstrieren. Außerdem beschäftigen sich auch die Gerichte mit dem Thema Asyl. Wie Richter bei Fahnenflucht oder fehlenden Sprachkenntnissen entscheiden, hat unser Rechtsexperte Wolfgang Büser zusammengetragen.

DÜSSELDORF

14.10.2015, 05:33 Uhr / Lesedauer: 4 min
Wenn sich ein Asylbewerber nicht an der Ausstellung seines Passes beteiligt, kann ihm das Geld gekürzt werden.

Wenn sich ein Asylbewerber nicht an der Ausstellung seines Passes beteiligt, kann ihm das Geld gekürzt werden.

Einzelfallprüfung - Vor dem Oldenburger Verwaltungsgericht kämpfte eine Mazedonierin um die Anerkennung als Asylberechtigte. Die Frau ist in der Bundesrepublik aufgewachsen, hat in ihrer Heimat einen Verein für die Rechte der Roma gegründet und sich für Minderheitenrechte eingesetzt. Später beantragte sie Asyl in Deutschland, obwohl sie aus dem „sicheren Herkunftsland Mazedonien“ (zurück-)kam. Grund: Sie und ihr Ehemann waren dort auch noch Jahre später nach dem Ende ihrer Arbeit für die Roma - unter anderem hatte sie Gewalt staatlicher Stellen dokumentiert - gewalttätigen Übergriffen der örtlichen Polizei ausgesetzt.

Das Verwaltungsgericht gab dem Bundesamt für Migration und Flücht­linge auf, den Status eines anerkannten Flüchtlings zu erteilen. Das Amt dürfe nicht pauschal darauf verweisen, dass Mazedonien ein sicheres Herkunftsland sei. Bestünden an „der Richtigkeit der Ausführungen der Hilfesuchenden keine Zweifel“, so sei ihr Asyl zu gewähren. (AZ: 6 A 32/15)

Homosexualität - Ein Kameruner, bei dem „eine gleichgeschlechtliche sexuelle Orientierung vorliegt“, und der in seinem Heimatland bereits verfolgt worden ist, hat Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Das gelte insbesondere dann, wenn er bei einer Rückkehr vor weiterer Verfolgung nicht sicher sein kann. Die Ahndung von Homosexualität stelle eine „asylrelevante politische Verfolgung dar“. (VwG Düsseldorf, 23 K 3686/10)

Fahnenflüchtiger GI - Bis zum Europäischen Gerichtshof ging der Fall eines amerikanischen Deserteurs der US-Armee, der Deutschland Asyl beantragt hat. Er gab als Grund an, dass ihm in seinem Heimatland eine Freiheitsstrafe drohe. Aber weder diese drohende Strafe noch die Tatsache, dass er aus der Armee entlassen und danach „geächtet“ werde, seien nach EU-Recht Asylgründe. Das ergebe sich aus dem „legitimen Recht der USA auf Unterhaltung einer Streitkraft und sei weder unverhältnismäßig noch diskriminierend".

In dem Fall ging es um einen Wartungstechniker für Hubschrauber im Irak-Krieg, der dort ein halbes Jahr im Einsatz war. Nach der Rückkehr an seinen US-Stützpunkt in Deutschland erhielt er einen neuen Einsatzbefehl für den Irak. Er stellte Asylantrag. Begründung: Gewissensbisse. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte ab und wurde vom Europäischen Gerichtshof bestätigt. (EuGH, C 472/13)

Fingerkuppen "schadlos" halten? - Haben Flüchtlinge (die angeben, aus Somalia zu stammen) Asyl in der Bundesrepublik beantragt und manipulieren sie ihre Fingerkuppen, damit sie nicht mehr für einen Abgleich mit der Europäischen Fingerabdruckdatenbank zu gebrauchen sind, so kann die Ausweisung angedroht werden. Zwar sei ein Asylbewerber nicht verpflichtet, „positiv die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke zu garantieren“. Jedoch ergebe sich aus der Pflicht, eine solche Abnahme zu dulden, gleichzeitig die Pflicht, „jede Manipulation seiner Fingerkuppen zu unterlassen“. (Die Vorinstanz muss nun noch klären, ob der Vorwurf der Manipulation bewiesen ist.) (BVwG, 10 C 1/13)

Ohne Stütze im Bebauungsplan darf Leerstand nicht zum Asylbewerber-heim werden - Plant ein Landkreis (hier in Nordsachsen), eine Genehmigung für die Nutzung eines leer stehenden Gebäudes (ursprünglich genutzt als Boardinghouse) als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber zu bekommen, so kann der Eigentümer eines Nachbargrundstücks dagegen angehen, weil die geplante Nutzung nicht dem Bebauungsplan entspricht. Eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber stellt keinen "Beherbergungsbetrieb" im Sinne des Bebauungsplans dar. (VwG Leipzig, 4 L 1187/14)

Asylbewerber nehmen keinen Parkplatz weg, wenn eine Garage vorhanden ist - Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat eine Anwohnerin in die Schranken gewiesen, die verhindern wollte, dass in unmittelbarer Nähe auf einer Grünanlage zwei Häuser für insgesamt 160 Asylbewerber gebaut werden. Die Grünanlage sei nicht lebensnotwendig (wie von der klagenden Frau ins Feld geführt), sondern dienten nur "städtebaulichen Zielen". Auch die befürchteten Ausuferungen durch die Bewohner seien kein Problem: Dafür gebe es "ordnungsrechtliche Mittel", die das unterbinden würden. Und dass etwa die Hälfte der vorhandenen Parkplätze wegfalle, sei ebenfalls hinzunehmen; denn es handele sich nicht um "notwendige Stellplätze". Außerdem verfüge die Klägerin über eine Garage. (VwG Stuttgart, 13 K 2041/14)

Auch ohne Sprachkenntnisse kann eingebürgert werden - Zwar kann ein Ausländer an sich nur dann die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, wenn er - unter anderem - ausreichende deutsche Sprachkenntnisse vorzuweisen hat. Ist er jedoch wegen seines hohen Alters oder krankheitsbedingt nicht (mehr) in der Lage, die Sprache hinreichend zu erlernen, so kann dieser Punkt ausgeklammert und der Ausländer eingebürgert werden.

Dabei, so das Bundesverwaltungsgericht, sei nur auf die Sprachkenntnisse abzustellen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbürgerung vorliegen. (Das war hier deswegen von Bedeutung, weil die iranische Frau aus dem konkreten Fall bereits fast 20 Jahre in der Bundesrepublik - die meiste Zeit als Asylantin - lebte. Ob sie es versäumt hatte, in der Vergangenheit Deutsch zu lernen, müsse nicht geprüft werden. Sie ist einzubürgern, wenn die anderen Voraussetzungen gegeben sind.) (BVwG, 10 C 2/14)

Auch rechtskräftig entschiedene Anerkennung kann gekippt werden - Auch eine auf einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung beruhende Anerkennung als Flüchtling kann vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zurückgenommen werden. Dies dann, wenn „über zentrale Elemente des Flüchtlings-Schicksals“ getäuscht worden ist. So ent-schieden vom Bundesverwaltungsgericht im Fall einer Mutter mit zwei Kindern, die 1998 unter falschem Namen Anträge auf Asyl gestellt und dabei - ebenfalls unzutreffend - behauptet hatten, sie seien syrisch-orthodoxe Christen aus der Türkei und würden dort verfolgt.

Zehn Jahre später kam heraus, dass sie armenische Bürger sind, nie in der Türkei gelebt hatten und auch in ihrer Heimat nicht verfolgt worden sind. Das Bundesverwaltungsgericht beendete schließlich die Gerichts-Odyssee damit, dass eine rechtskräftige Anerkennung später "trotz allem" nicht mehr zurückgenommen werden könne. Die damalige gezielte Täuschung der Behörde genüge, um den Flüchtlings-Status zu canceln. (BVwG, 10 C 27/12)

Wer sich nicht um gültige Pässe kümmert, spürt das in der Geldbörse - Das Landessozialgericht Hamburg hat entschieden, dass Leistungs-kürzungen für geduldete Asylbewerber rechtens sind, wenn die Bewer-ber ihren Pflichten nicht ausreichend nachkommen. Im konkreten Fall ging es um eine geduldete Asylbewerberin ohne gültige Passpapiere, die sich trotz mehrfacher Aufforderung rund drei Jahre geweigert hatte, an der Beschaffung der Papiere mitzuwirken. Ihr wurde der Unterhalt von monatlich 354 Euro um 40,90 Euro gekürzt - dagegen ging sie an. Vergeblich.

Eine solche Kürzung sei mit der Verfassung vereinbar, so das Gericht. Zwar gelte die Menschenwürde unabhängig vom Migrationshintergrund, dennoch dürften Asylbewerberleistungen in Fällen gekürzt werden, wo das Verhalten des Asylbewerbers dazu führen könnte, die staatliche Unterstützung zu vermeiden. Notwendig sei allerdings eine Prüfung nach strengen Maßstäben. (LSG Hamburg, L 4 AY 5/13 B ER)

7,30 Euro pro Tag und Asylant - In einem Fall vor dem Verwaltungsgericht Gießen ging es um schnöden Mammon. Die Richter dort haben entschieden, dass Kommunen auch dann nicht mehr Geld vom Landkreis für die Unterbringung für Flüchtlinge fordern können, wenn die erhaltene Summe die Kosten für die Unterbringung nicht decke. Im konkreten Fall ging es um umgerechnet 7,30 Euro-Pauschale pro Tag und Flüchtling, die zwei Kommunen auf 13,40 Euro aufgestockt haben wollten. Das war hier die Summe, die der Kreis seinerseits vom Land erhält.

Der Kreis argumentierte, dass ein Teil dieser Pauschale direkt an die Asylsuchenden gehe und ein weiterer Teil für die Krankenversicherung oder für Sozialarbeiter verwendet werde. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Kommune zum Beispiel am Personal sparen könne, das nach den Flüchtlingen schaue. Das seien keine „notwendigen Kosten“. Ob dieses Argument mit Blick auf die Geschehnisse in den Lagern (Gewaltausbrüche und Probleme im Umgang untereinander) Bestand haben wird, ist zumindest zu bezweifeln.) (AZ: 2 K 2415/15 u. a.)